„Die heutige Jugend ist besser als die 68er“
Der Fotograf und Regisseur setzt sich in seinem Film „Now“mit der Klimabewegung auseinander, die er als alternativlos betrachtet.
DÜSSELDORF/BERLIN Jim Rakete ist berühmt für seine Porträts von Prominenten wie David Bowie, Helen Mirren oder Paula Beer. Jetzt hat er eine Dokumentation über die junge Klimabewegung gedreht. Wir haben ihn in Berlin erreicht.
Ihr Film trägt den Titel „Now“, jetzt, das klingt dringend.
JIM RAKETE Ja, so ist es auch. Als Claudia Rinke mir ihr Drehbuch vorgestellt hat, fand ich den Titel sehr treffend. Die Kipppunkte, von denen die Klimabewegung spricht, sind längst überschritten. Schauen Sie nur auf den CO2-Anstieg oder die Folgen des tauenden Permafrosts. Wir müssen das Gleichgewicht in größter Geschwindigkeit wiederherstellen.
Diese Dramatik bilden Sie optisch nicht ab. Warum haben Sie eine sachliche Filmästhetik gewählt? RAKETE Zu Beginn des Projekts haben wir noch auf symbolische Orte geguckt, wie die Malediven. Ich sah mich schon weinende Jugendliche am Strand filmen. Das haben wir dann aber schnell weggewischt. Wir wollten ja nicht zeigen, was wir draufhaben, sondern was die jungen Leute vermögen. Uns ging es um Information, Information, Information. Der Naturforscher David Attenborough hat gerade einen neuen Film gemacht, der fantastisch ist. Wer sehen möchte, wie schön unser Planet sein kann, sollte seinen Beitrag anschauen. Unser Film richtet sich an unser Verhalten und an die Politik: Frau Merkel, Sie müssen Schaden von der Bevölkerung abwenden!
Was hat Sie an dem Thema gereizt? RAKETE Ich habe die 1968er-Bewegung als junger Kerl miterlebt und ging noch zur Schule. Als Benno Ohnesorg erschossen wurde, beschloss ich, Fotograf zu werden, weil ich tätig sein wollte. Jetzt gibt es eine neue Bewegung, und ich stehe in meinem zarten Lebensalter wieder an derselben Stelle.
Wie ist die Jugend, die Sie aktuell erleben? Was ist anders als 1968? RAKETE Soll ich mal sagen, was ich besser finde?
Gerne.
RAKETE Die jungen Aktivisten heute sehen sehr klar Gewalt als rote Linie. Gleichzeitig sind alle sehr entschieden und stark im Argumentieren. Ein zweiter Unterschied, den ich fast noch wichtiger finde, ist der Umgang mit den Frauen. Die Klimabewegung
wird zu großen Teilen von Frauen gestaltet. Die 1968er hingegen haben Frauen schlecht behandelt. Es gab damals endlose Diskussionen in stickigen Räumen. Wenn alle Aschenbecher voll waren, und einer sagte, er habe Hunger, haben sich alle mit ihren langen Bärten zu der einzigen Frau im Raum umgedreht und gefragt, was es denn noch im Kühlschrank gebe. Das war typisch 1968. Klar, wir haben uns weiterentwickelt. Aber das geht nur langsam vonstatten und frustriert – auch die Klimaaktivisten.
Was genau frustriert sie?
RAKETE Die Ergebnisferne. Man klopft ihnen auf die Schulter und lobt sie für ihr Engagement, aber wenn sie auf die absoluten Zahlen dessen schauen, wofür sie kämpfen, sind das Kommastellen. Recht zu haben ist, psychologisch gesehen, nicht allein das, was einen antreibt. Luisa Neubauer sagte mir, der Weltschmerz habe sie total runtergezogen, sie sei in eine tiefe Depression gefallen. Dann hielt sie plötzlich inne und sagte: „Aber ich kann mich davor nicht verstecken, es gibt keine Alternative.“Und so ist es ja, es gibt keine Alternative zum Engagement. Man hat nur das eine Leben, und man hat nur die eine Zukunft.
Was verbindet die Protagonisten mit Patti Smith und Wim Wenders, die im Film zu Wort kommen? RAKETE Ich wollte wissen, woran frühere Bewegungen gescheitert sind. Was bremst sie? Wim erklärt das so: Jede Revolte, die er miterlebt habe, habe sich ab einem gewissen Punkt in einen gewaltbereiten und einen nicht-gewaltbereiten Teil gespalten. In diesem Moment ermattet ein Protest. Wim war in der Friedensbewegung engagiert, in der Anti-Atombewegung und auch 1968. Als es damals in Richtung Gewalt ging, ist er ausgestiegen. Patti Smith wiederum hat ganz wunderbar aus ihrer Kindheit erzählt, als man noch glaubte, dass Plastikkugelschreiber oder Einwegrasierer ein großes Wunder seien. Sie hat sich schon als Kind gefragt, wo kommen diese Dinge alle mal hin? Heute haben wir Berge davon.
Warum gibt es kein Interview mit Greta Thunberg?
RAKETE Ich interessiere mich nicht für die Stofftier-Sammlung von Greta, ich interessiere mich für Argumente.
Greta ist in diesem Film das immer wieder auftauchende Phantom. Sie wählt sich Publikum und Zeitpunkt für ihre Auftritte aus und gibt dort Antworten auf alle Fragen. Ihre Verzweiflungsrede vor der UN haben wir natürlich ganz drin. Und wir haben sehr viele Bilder davon, wie ihre Worte wirken. Wir haben Bilder von gelangweilten Journalisten und von Politikern, die klatschen, die Dringlichkeit der Rede aber vermutlich schon Tage später wieder ignorieren.
Sie haben mit Musikern wie den Ärzten und Nina Hagen gearbeitet. Wie könnte der Soundtrack der Klimabewegung klingen?
RAKETE Ich warte stündlich darauf, dass Bruce Springsteen einen Song schreibt. Es wäre eine Rocknummer
RAKETE Ich habe mir ein paar Verschärfungen auferlegt. Wann immer es geht, fahre ich Rad, gehe zu Fuß oder nutze den ÖPNV. Wenn ich aufs Land fahre, muss ich mein Auto wecken, aber das tue ich mit zunehmend schlechtem Gewissen. Ich trenne hysterisch Plastik und bemühe mich, es aus meinem Leben zu verbannen. Aber ich bin vollkommen unwichtig, ich bin nicht das Ziel. Das Ziel ist die große Mehrheit, die etwa im Lockdown Essen bestellt und damit riesige Verpackungsberge verursacht. Das ist gruselig. Immerhin eine gute Sache hat Corona gezeigt. Frank Walter Steinmeier hat es in seiner jüngsten Rede erwähnt: Globales Handeln ist möglich. Das werden wir auf die Klimaproblematik übertragen.