Uwe Weidemanns Auftritt vor 100.000 Fans
Der ehemalige Fußballer des MSV Duisburg und heutige Talentscout spielte vor 30 Jahren mit dem DDR-Team im Maracanã-Stadion.
Vor 30 Jahren lag Uwe Weidemann an der Copacabana. 2020 sind eher unspektakuläre Fußballplätze wie das Ischelandstadion in Hagen oder das Sportgelände an der Deutsch-Luxemburger-Straße in Dortmund-Hombruch seine Ziele. Doch es gefällt ihm. „Das macht richtig Spaß“, sagt Weidemann, der seit vielen Jahren in Bottrop lebt. Wie er in sich ruht, der frühere Nationalspieler der DDR, beim Gespräch in einem Bottroper Café, und freundlich und empathisch von seiner Arbeit erzählt, da merkt man, dass er aus einem Hobby seinen Beruf gemacht hat.
Scout in der Nachwuchsabteilung des Drittligisten MSV Duisburg ist Weidemann „und im Januar gehe ich da in mein zehntes Jahr“. Er tingelt
„Es war ‘ne schöne Zeit. Ich habe viel erreicht und manches gesehen.“
Uwe Weidemann ehemaliger Profi-Fußballer
über die Dörfer, Stadtteile, Städte und durch die kleinen Stadien in NRW und genießt es, „die Erfahrung, die man gesammelt hat, weiterzugeben.“Seine Aufgabe: für den MSV Talente an Land zu ziehen. Das ist nichts für jeden Ex-Profi, im Jugendbereich zu arbeiten – aber für den früheren Mittelfeldmann sei es das Richtige. „Das stellt mich auch total zufrieden“, sagt er. Auf mehr als 300 Profi-Spiele blickt Uwe Weidemann zurück, in der DDR-Oberliga, in den Bundesligen und auch auf zehn Länderspiele. Schnell war er immer, geschickt am Ball und mit Übersicht – einige Verletzungen verhinderten eine noch glanzvollere Karriere.
Höhepunkt mit der DDR-Nationalmannschaft war vor 30 Jahren ein Auftritt im legendären Maracanã von Rio de Janeiro, vor mehr als 100.000 Zuschauern. Ein großartiges, abwechslungsreiches und stimmungsvolles Fußballspiel mit einem 3:3 als Resultat, doch der damals 26-jährige Spielmacher hätte es gerne versäumt: „Viel lieber wäre ich zur Weltmeisterschaft gefahren.“Die nämlich hatte die DDR einige Monate zuvor knapp verpasst – durch eine Niederlage im letzten Qualifikationsspiel gegen Österreich. Dabei hätte ein Unentschieden genügt. „Was wir an Sitzungen hatten, jeden Tag. Und dann liegt man nach zwei Minuten mit 0:1 hinten.“Toni Polster machte alle drei Treffer beim 3:0 der Österreicher.
Daher durfte das DDR-Team nicht zur WM in Italien 1990, war aber ein gerngesehener Sparringspartner für Brasilien wenige Wochen vor Beginn des Turniers. Für Weidemann und seine Kollegen war es eine „schöne Sache. Es war eine tolle Reise, wir wohnten nahe der Copacabana und hatten nach dem Spiel noch zwei, drei Tage“. Die strenge Bewachung, die in der DDR bei Reisen jahrzehntelang üblich war, gab es in den Monaten zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung ja nicht mehr. Weidemann: „Es war da schon ein bisschen lockerer. Und nach dem Spiel konnten wir unsere Freizeit am Strand genießen.“An der Copacabana seien die DDR-Nationalspieler von den brasilianischen Badegästen geradezu gefeiert worden.
Das DDR-System hat den Mann aus Thüringen geprägt. In Weißensee
nahe Erfurt wuchs er auf, spielte lange für Rot-Weiß Erfurt, wurde 1985 Nationalspieler. Nur einmal war er gegen seinen Willen 1987/88 ein Jahr nach Leipzig delegiert worden zu einem größeren Klub, wie es in der DDR damals üblich war. Doch bei Lokomotive Leipzig hatte Weidemann wegen einer schweren Verletzung wenig Freude und setzte die Rückdelegation nach Erfurt durch. Dafür wurde er gesperrt. Dennoch kehrte er später in die Nationalelf unter Trainer Eduard Geyer zurück und absolvierte in Rio eines der letzten Spiele der DDR-Auswahl neben Ulf Kirsten, Thomas Doll und Dirk Schuster. „Ich kann mich noch erinnern, als man aus den Katakomben herauskam. Das Spielfeld war weit weg, ein riesiges Areal. Lang, lang ist‘s her,“sagt der Mittelfeldspieler, der in der 77. Minute ausgewechselt wurde.
Beim 3:3 erzielten Doll, Rainer Ernst und Rico Steinmann die Tore. Es gibt in den Archiven kaum Fotos von diesem Spiel vor gewaltiger Kulisse,
Weidemann selbst hat aber drei – in Rio selbst gekauft: „Da kam ein brasilianischer Fotograf zum Flughafen beim Einchecken. Die Bilder waren ein bisschen teuer, etwa zehn Dollar pro Stück.“Auch daran erinnert er sich noch: „Ich hab das Trikot nicht getauscht. Die hatten alte Lumpen an, kann man wirklich sagen. Die waren oben eingerissen.“
Nach der Wende spielte Uwe Weidemann für den 1. FC Nürnberg, Waldhof Mannheim, den MSV Duisburg, Schalke 04, wo er mit drei
Einsätzen auch zu den Eurofightern zählt, die 1997 den UEFA-Cup gewannen, Hertha BSC, FC Gütersloh und Fortuna Düsseldorf. Dort wurde er später auch Trainer.
Dankbar sei er, dass er weiter im Fußball-Geschäft tätig sein kann. Im Schatten von Dortmund und Schalke talentierten Nachwuchs zum MSV Duisburg zu locken, sei „schwer, aber auch reizvoll. Es bedeutet, viel Überzeugungsarbeit zu leisten.“Uwe Weidemann sagt dann: „Bleibt erst mal hier. Hier seid ihr Top-Spieler und bei normaler Entwicklung klopfen die großen Vereine später an.“Was an Weidemann imponiert, ist sein klarer Blick auf die Dinge: „Es ist doch klar. Wir müssen schnell sein und gut ausbilden.“Die talentiertesten Jungen würden halt – oft auf Druck auch ehrgeiziger Eltern – zu den Bundesliga-Klubs gehen.
Der früher so dynamische Mittelfeldmann lebt seit den 1990er Jahren in Bottrop, in Kirchhellen erst und inzwischen hat er in der Stadt ein kleines Reihenhäuschen. „Thüringen ist meine Heimat, aber hier fühle ich mich sehr wohl. Ich mag die Mentalität des Ruhrgebiets. Die Menschen sind offen, sie sind ehrlich, sie sagen auch mal, was sie denken. Und das passt auch ganz gut zu mir.“
Wegen der unterschiedlichen Arbeitszeiten sehe er selbst seine Frau – „meine stärkere Hälfte“, wie Weidemann sagt – manchmal zwei Tage nicht, wenn er noch ein Training besucht und erst nach 21 Uhr zu Hause ist. Sie muss als Filialleiterin einer Bäckerei um vier Uhr raus. Humorvoll analysiert Uwe Weidemann: „Da kann ich mich nicht groß streiten mit ihr.“
Seine empathische Art belegt eine kleine Geschichte, die er beim MSV erlebt hat. Da kam ein Spieler im Teenager-Alter zu ihm, der Kummer mit seinem Trainer hatte wegen seines Übergewichts. Weidemann wusste Rat. „Hör zu. Der Trainer hat dir ‘ne Aufgabe gegeben, dass du in den nächsten Wochen vier Kilo abnimmst. Und wenn du dann zwei Kilo mehr hast, muss der sich ja veralbert fühlen.“Der Junge gab ihm Recht. „Weißt du“, fuhr Weidemann damals fort, „du hast Schulspeisung, da isst du gut bürgerlich. Nach dem Training zu Hause hast du Hunger und deine Mama kocht dir was. Mach einfach mal zu Hause nur Fleisch und ein bisschen Salat.“Und Weidemanns Ansage wirkte. „Der hat in drei Wochen vier oder fünf Kilo abgenommen. Wir haben darüber Stillschweigen bewahrt, das wusste keiner.“
Weidemann erzählt noch weitere nette Anekdoten, die Zeit im Bottroper Café verfliegt förmlich. Er ruhe in sich, sagt der frühere Fußballstar mit dem heute eher unspektakulären und uneitlen Job und zieht ein zufriedenes Fazit: „Es war ‘ne schöne Zeit, ich habe viel erreicht und manches gesehen.“