„Patenonkel“vergeht sich an Kindern
Ein Mann aus Kamp-Lintfort muss sich vor der auswärtigen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers verantworten. Ihm werden mehr als 60 Fälle sexuellen Missbrauchs vorgeworfen. Der 47-Jährige zeigte sich geständig.
MOERS Wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern muss sich ein Mann aus Kamp-Lintfort vor Gericht verantworten. Insgesamt 73 „selbstständige Handlungen“werden dem 47-Jährigen zur Last gelegt, die er in der Zeit von August 2016 bis Juni 2018 in Kamp-Lintfort und anderen Orten begangen haben soll. Acht von ihnen wurden im Laufe des Prozesstages vorläufig eingestellt.
Der Vorwurf: Missbrauch von sechs minderjährigen Kinder aus seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Der Angeklagte ersparte den Kindern dabei die Aussage, weil er bis auf ein Delikt alle Taten einräumte. Er schilderte, wie er in einer Kamp-Lintforter Doppelhaushälfte mit der dementen Großmutter lebte, eine freundschaftliche Beziehung zu dem Nachbarpaar aufbaute. Es entstand eine Art „Patenonkel“-Beziehung zum Sohn, dem er im Garten der Großmutter Nachhilfe erteilte. Der Junge, in den er sich „ein bisschen verliebte“, wurde zum Zentrum
der sexuellen Bedürfnisse des Mannes. Dazu kommen dessen Neffen, Stiefneffen, ein Kind, das sie zufällig im Schwimmbad treffen.
Detailliert beschrieb er die „verschiedenen Mittel der Belohnungshierarchie“, die er mit einer jeweiligen „Challenge“verband, um den Jungen und seine Freunde für den jeweiligen Missbrauch zu gewinnen. Für seine Taten wählte er verschiedene Orte – die Wohnung, den Wald am Niersenbruch, den Niersenberger Waldfriedhof, das Panoramabad Pappelsee, den Saunapark Kamperbrück. „Das hört sich pervertiert an, aber das war für mich eine Spielwiese“, sagte der Angeklagte. Freimütig bekannte er, dass er das „Vertrauen der Jungs“und der Eltern „bewusst ausgenutzt“hat. „Ich hätte es ganz gerne gehabt, dass ich ein normaler Patenonkel wäre, ohne diesen ganzen Schund“, sagte er. Mit den Eltern sei er sogar zusammen im Urlaub gewesen und habe Silvester gefeiert.
Der Mann sprach von einem eigenen Missbrauch „mit 13 oder 14“ am Schwimmbad Pappelsee durch zwei Männer. Von seiner ersten großen Männerliebe in Flensburg, dem seelischen Knick nach dem Tod des Vaters und den diversen Jobs. Und der Tatsache, dass er aufgrund des Jobs und der dementen Mutter „leergepumpt“gewesen sei. „Aber für den Aufbau der Beziehungen zu den Kindern und den Gelegenheiten zur Straftat, dafür waren sie nicht zu müde“, hielt ihm der Richter vor.
Zwei Elternpaare der missbrauchten Kinder schilderten plastisch die Wandlung von normalen, lebensfroh spielenden Kindern zum freudlosen, phasenweise aggressiv auftretenden und angstvollen Wesen. „Sie haben kein Vertrauen mehr zu anderen Menschen“, sagte eine Mutter. „Das ist nicht mehr das Kind von früher.“Ihr Ehemann habe Magenprobleme. Bei dem Vater von drei der sechs Kinder kam die Wut hoch.
„Es gibt Leute, die froh sein können, dass wir in einem Rechtsstaat leben“, sagte er. Die Mutter des Jungen aus der Doppelhaushälfte erzählt: „Er wiegt nur noch 53 Kilo, ist nur noch im Zimmer, nimmt nicht mehr am Leben teil.“
Sie und ihr Mann beschrieben, wie der Angeklagte auch nach der Aufnahme der Ermittlungen am Balkonfenster lauerte, über die Terrasse kletterte, über andere Kinder versuchte, Kontakt aufzunehmen, an der Tür klingelte und klopfte. „Das war Terror.“Sie plage Schuldgefühle, weil sie es die ganze Zeit nicht bemerkt habe.
„Nicht erfreut“zeigte sich das Gericht zunächst über eine angemeldete Demo der Gruppe „Bikers against child abuse“vor dem Gericht. Später stellt sich heraus, dass lediglich einige von ihnen die Angehörigen und beiden Kinder in den Zeugenraum begleitet haben – was ihnen aber nicht erlaubt war. Die Eltern betonten, dass sie ihre Kinder schützen wollen. Ihnen habe diese Anwesenheit „gut getan“.