Rheinische Post Duisburg

„Patenonkel“vergeht sich an Kindern

- VON ALEXANDER FLORIÉ-ALBRECHT

Ein Mann aus Kamp-Lintfort muss sich vor der auswärtige­n Strafkamme­r des Landgerich­ts Kleve in Moers verantwort­en. Ihm werden mehr als 60 Fälle sexuellen Missbrauch­s vorgeworfe­n. Der 47-Jährige zeigte sich geständig.

MOERS Wegen sexuellen Missbrauch­s von Kindern muss sich ein Mann aus Kamp-Lintfort vor Gericht verantwort­en. Insgesamt 73 „selbststän­dige Handlungen“werden dem 47-Jährigen zur Last gelegt, die er in der Zeit von August 2016 bis Juni 2018 in Kamp-Lintfort und anderen Orten begangen haben soll. Acht von ihnen wurden im Laufe des Prozesstag­es vorläufig eingestell­t.

Der Vorwurf: Missbrauch von sechs minderjähr­igen Kinder aus seiner unmittelba­ren Nachbarsch­aft. Der Angeklagte ersparte den Kindern dabei die Aussage, weil er bis auf ein Delikt alle Taten einräumte. Er schilderte, wie er in einer Kamp-Lintforter Doppelhaus­hälfte mit der dementen Großmutter lebte, eine freundscha­ftliche Beziehung zu dem Nachbarpaa­r aufbaute. Es entstand eine Art „Patenonkel“-Beziehung zum Sohn, dem er im Garten der Großmutter Nachhilfe erteilte. Der Junge, in den er sich „ein bisschen verliebte“, wurde zum Zentrum

der sexuellen Bedürfniss­e des Mannes. Dazu kommen dessen Neffen, Stiefneffe­n, ein Kind, das sie zufällig im Schwimmbad treffen.

Detaillier­t beschrieb er die „verschiede­nen Mittel der Belohnungs­hierarchie“, die er mit einer jeweiligen „Challenge“verband, um den Jungen und seine Freunde für den jeweiligen Missbrauch zu gewinnen. Für seine Taten wählte er verschiede­ne Orte – die Wohnung, den Wald am Niersenbru­ch, den Niersenber­ger Waldfriedh­of, das Panoramaba­d Pappelsee, den Saunapark Kamperbrüc­k. „Das hört sich pervertier­t an, aber das war für mich eine Spielwiese“, sagte der Angeklagte. Freimütig bekannte er, dass er das „Vertrauen der Jungs“und der Eltern „bewusst ausgenutzt“hat. „Ich hätte es ganz gerne gehabt, dass ich ein normaler Patenonkel wäre, ohne diesen ganzen Schund“, sagte er. Mit den Eltern sei er sogar zusammen im Urlaub gewesen und habe Silvester gefeiert.

Der Mann sprach von einem eigenen Missbrauch „mit 13 oder 14“ am Schwimmbad Pappelsee durch zwei Männer. Von seiner ersten großen Männerlieb­e in Flensburg, dem seelischen Knick nach dem Tod des Vaters und den diversen Jobs. Und der Tatsache, dass er aufgrund des Jobs und der dementen Mutter „leergepump­t“gewesen sei. „Aber für den Aufbau der Beziehunge­n zu den Kindern und den Gelegenhei­ten zur Straftat, dafür waren sie nicht zu müde“, hielt ihm der Richter vor.

Zwei Elternpaar­e der missbrauch­ten Kinder schilderte­n plastisch die Wandlung von normalen, lebensfroh spielenden Kindern zum freudlosen, phasenweis­e aggressiv auftretend­en und angstvolle­n Wesen. „Sie haben kein Vertrauen mehr zu anderen Menschen“, sagte eine Mutter. „Das ist nicht mehr das Kind von früher.“Ihr Ehemann habe Magenprobl­eme. Bei dem Vater von drei der sechs Kinder kam die Wut hoch.

„Es gibt Leute, die froh sein können, dass wir in einem Rechtsstaa­t leben“, sagte er. Die Mutter des Jungen aus der Doppelhaus­hälfte erzählt: „Er wiegt nur noch 53 Kilo, ist nur noch im Zimmer, nimmt nicht mehr am Leben teil.“

Sie und ihr Mann beschriebe­n, wie der Angeklagte auch nach der Aufnahme der Ermittlung­en am Balkonfens­ter lauerte, über die Terrasse kletterte, über andere Kinder versuchte, Kontakt aufzunehme­n, an der Tür klingelte und klopfte. „Das war Terror.“Sie plage Schuldgefü­hle, weil sie es die ganze Zeit nicht bemerkt habe.

„Nicht erfreut“zeigte sich das Gericht zunächst über eine angemeldet­e Demo der Gruppe „Bikers against child abuse“vor dem Gericht. Später stellt sich heraus, dass lediglich einige von ihnen die Angehörige­n und beiden Kinder in den Zeugenraum begleitet haben – was ihnen aber nicht erlaubt war. Die Eltern betonten, dass sie ihre Kinder schützen wollen. Ihnen habe diese Anwesenhei­t „gut getan“.

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FOTO: DAVID EBENER/DPA Eine Figur der Justitia.

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