Wo ist Jack Ma?
Der Gründer des chinesischen Technologie-Unternehmens Alibaba ist seit Oktober öffentlich nicht mehr aufgetaucht. Kurz zuvor hatte er deutliche Kritik an den Behörden geübt. Seitdem gerät sein Imperium immer mehr unter Druck.
DÜSSELDORF Der letzte Beitrag beim Kurznachrichtendienst Twitter datiert vom 10. Oktober 2020. Jack Ma gab darin seine Mitgliedschaft in der Jury des „Earthshot Prize“bekannt, einer Auszeichnung im Umweltbereich, die vom britischen Thronfolger Prinz William ins Leben gerufen wurde. Seitdem: nichts. Sogar beim Finale des Programms „Africa’s Business Heroes“fehlte Ma – obwohl dieses von seiner Stiftung ins Leben gerufen wurde und er noch im August bei Twitter schrieb, wie sehr er sich auf ein Treffen mit den Finalisten freue.
Ein Zufall? Oder doch die Folge einer Rede, die Ma nur wenige Tage nach seinem letzten Twitter-Eintrag hielt? Eine Rede, in der Ma die chinesische Regulierung der Banken kritisiert hatte. Eine Rede, die dazu geführt haben soll, dass der Milliarden-Börsengang des Finanzunternehmens Ant, einer Beteiligung des von Jack Ma gegründeten Technologie-Konzerns Alibaba, nur zwei Tage vor dem geplanten Start abgesagt wurde. Ma, heißt es, soll chinesische Offizielle mit seiner Kritik erzürnt haben. Und in China, so sollte die Botschaft wohl lauten, erhebt sich niemand über den Staat. Auch nicht Jack Ma.
Dabei ist der frühere Englischlehrer eigentlich einer der Vorzeige-Unternehmer des Landes. Vor 20 Jahren baute er mit Alibaba einen Technologie-Konzern auf, der den US-Giganten Amazon und vorher Ebay in all den Jahren Paroli bieten konnte. „Ebay ist vielleicht ein Hai im Ozean, aber ich bin ein Krokodil im Jangtse“, soll Ma gesagt haben, als das US-Unternehmen Anfang des Jahrtausends auf den chinesischen Markt vordringen wollte. Auf dem Weltmarkt sah Ma damals den US-Konkurrenten im Vorteil, doch in China witterte er seine Chance – und sollte recht behalten: Bis heute hat es kein US-Unternehmen geschafft, auf dem abgeschotteten Markt wirklich Fuß zu fassen. Das Geschäft macht Alibaba mit Online-Marktplätzen wie Taobao.
Ma wiederum stieg in den vergangenen Jahren zum reichsten Mann Chinas auf. Das Magazin „Forbes“schätzte sein Vermögen noch im November auf rund 66 Milliarden US-Dollar. Als Donald Trump 2016 zum US-Präsidenten gewählt wurde, war Jack Ma der erste hochrangige Chinese, den er traf. Kein chinesischer Unternehmer ist weltweit so bekannt wie Ma, der in seiner Heimat sogar die Hauptrolle in einem Kung-Fu-Kurzfilm spielte.
Der Börsengang des Finanzunternehmens Ant, das unter anderem den beliebten Bezahldienst Alipay betreibt, wäre der nächste Meilenstein in dieser Erfolgsgeschichte gewesen. Mit einem erwarteten Volumen von 34,5 Milliarden US-Dollar wäre es der größte Börsengang der Geschichte gewesen. Im November sollte Ant in Shanghai und Hongkong an die Börse gehen.
Dann stoppten die chinesischen Behörden die Pläne – nur wenige Tage nachdem Ma in einer Rede in Shanghai den chinesischen Behörden vorgeworfen hatte, Innovationen zu bremsen. „Gute Innovation hat keine Angst vor Regulierung, aber sie hat Angst vor veralteten Vorschriften“, wurde Ma zitiert. Die Zukunft dürfe nicht „mit Methoden von gestern“reguliert werden.
Jack Ma hat sich 2019 aus dem Vorstand von Alibaba zurückgezogen. Doch seit seiner Rede ist nichts mehr, wie es war: Erst wurde der Börsengang von Ant abgesagt, kurz vor dem Jahreswechsel ordnete die chinesische Zentralbank dann an, dass sich Ant wieder auf sein Kerngeschäft konzentrieren müsse. Eine Zerschlagung des Unternehmens, das neben dem Bezahldienst auch Versicherungen und andere Finanzgeschäfte anbietet, wurde zwar nicht angeordnet – doch der Druck reichte aus. Vor wenigen Tagen gab Ant einen Konzernumbau bekannt. Chinas Kartellbehörde erklärte unterdessen, dass man gegen Alibaba wegen mutmaßlicher Monopol-Vergehen ermittele. Seit Anfang November hat die seit 2014 in den USA und seit 2019 in Hongkong an der Börse notierte Alibaba-Aktie rund 25 Prozent ihres Wertes verloren.
„Grundsätzlich hat es den Anschein, dass die Einflussnahme der chinesischen Regierung auf chinesische Privatunternehmen zunimmt“, heißt es in deutschen Diplomatenkreisen: „Von diesen Maßnahmen sind nicht nur Alibaba und seine Tochterunternehmen betroffen. Auch Konkurrenten wie Tencent unterliegen einer stärkeren Regulierung durch chinesische Behörden.“
Jahrelang hatten die chinesischen Behörden Unternehmen wie Ant kaum reguliert. Doch ähnlich wie bei den großen US-Digitalfirmen ist die Macht der chinesischen Tech-Riesen inzwischen so groß, dass sich die Regierung offenbar zu einem Kurswechsel entschlossen hat. Denn kein Land hat inzwischen mehr Milliardäre als China – was angesichts der kommunistischen Staatsführung fast zwangsläufig zu Widersprüchen führen muss.
Jack Ma wusste sich jahrelang mit der chinesischen Regierung zu arrangieren. Doch die Auswirkungen seiner Rede hat er offenbar unterschätzt. Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert eine enge Kontaktperson von Ma mit den Worten: „Jack ist Jack. Er wollte lediglich sagen, was er denkt.“Ob er dafür nun den Preis bezahlt, ist unklar. China scheute in der Vergangenheit nicht davor zurück, auch gegen in Ungnade gefallene ranghohe Manager und Politiker vorzugehen. Eine Anfrage an Alibaba, ob es Kontakt zu Ma gebe, blieb unbeantwortet.