Das Tierwohl steht heute im Mittelpunkt
Wilhelm Hellmanns züchtet in seinem landwirtschaftlichen Betrieb auf der Aldekerker Platte Ferkel und mästet Schweine. Die moderne Technik hat in den letzten 30 Jahren die Arbeitsabläufe grundlegend verändert.
NIEDERRRHEIN „Aufstockung von 90 auf 150 Sauen in einem Schweinezuchtbetrieb“– über dieses Thema schrieb Wilhelm Hellmanns 1990 seine Meisterarbeit an der Fachschule für Landwirtschaft in Kleve. „Vor gut 30 Jahren waren 150 Sauen für einen Zuchtbetrieb viel“, erzählt der staatlich geprüfte Landwirt. „Heute haben wir 480 Sauen. Mit dem Jahr 1990 begann in der Landwirtschaft ein grundlegender Wandel. Dieser Wandel hat die Arbeit der Landwirte stark verändert.“
Als Wilhelm Hellmanns im Jahr seiner Meisterarbeit 21 Jahre alt wurde, endete der „Kalte Krieg“zwischen den Nato-Staaten des Westens und den Warschauer-Pakt-Staaten des Ostens. Der „Eiserne Vorhang“fiel, wie ab dem 11. November 1989 die Berliner Mauer zwischen der DDR und der BRD. Und am 3. Oktober 1990 unterschrieben Vertreter beider deutschen Staaten den Vertrag zur Wiedervereinigung.
„1990 änderte sich aber noch viel mehr“, sagt Hellmanns. „Bis in die 1980er Jahre herrschte in Deutschland Nachkriegszeit. Der Hunger der Kriegs- und frühen Nachkriegsjahre war präsent. Der Fleischkonsum stieg jedes Jahr an. Danach war er zwei Jahrzehnte fast konstant und ist jetzt ganz leicht rückläufig. Es bestand ein gesellschaftlicher Konsens, Fleisch für alle möglichst günstig zu produzieren. Das Tierwohl spielte vor 30 Jahren nur in Fachkreisen eine Rolle.“
So versuchten Landwirte auf ihren Feldern möglichst viel Ertrag zu erzielen sowie die Kosten für die Zucht und Mast von Tieren zu reduzieren, insbesondere die Arbeitskosten. Das passierte auch im Betrieb von Matthias und Elisabeth in der Bauernschaft Kengen, auf dem Wilhelm Hellmanns mitarbeitete. „Vor 30 Jahren wurden für eine Sau pro Jahr 30 Arbeitsstunden gerechnet“, erzählt der 50 Jahre alte Landwirt. „Heute sind es nur noch 15.“Seine Eltern und er konnten die Arbeitsstunden je Sau halbieren, weil sie durch Spaltenböden das Misten überflüssig machten und die Fütterung automatisierten. So konnten sie die Anzahl der Tiere erhöhen.
Heute hält Wilhelm Hellmanns 480 Sauen, um im Jahr 13.500 Ferkel zu erzeugen, von den er 2200 selber mästet. Dabei hat er anders als seine Eltern, von denen er den Hof auf der Aldekerker Platte übernahm, Mitarbeiter. „In den 1970er und 1980er Jahren haben auf den landwirtschaftlichen Betrieben fast nur Familienmitglieder gearbeitet“, blickt Wilhelm Hellmanns zurück. „Es waren keine anderen Arbeitskräfte zu finden, die bezahlbar waren und in der Landwirtschaft arbeiten wollten. Das hat sich geändert, als nach 1990 Arbeitskräfte aus Polen, Rumänien oder anderen Ostblockländern kommen konnten. So ist die Personalplanung als Aufgabe hinzugekommen, die es vor drei Jahrzehnten nicht gab.“
Er beschäftigt heute zwei Vollzeitkräfte und drei Kräfte auf 450-Euro-Basis. Außerdem legen seine Frau Christiane Hellmanns wie die vier Kinder Theresa (23) Clemens (20), Caroline (18) und Matthias (17) Hand an, wenn viel Arbeit anfällt.
Weil er Mitarbeiter hat, können die Familienmitglieder und er einmal im Jahr für zehn Tage in Urlaub fahren. „Das war ein Motiv, Mitarbeiter einzustellen“, sagt er. Ein wichtiger Teil der Arbeit ist heute die Dokumentation, die seit den 1990er Jahren stetig zunahm, weil Tierschutzorganisationen Druck machten und den gesellschaftlichen Konsens veränderten. So haben die Landwirte immer mehr Daten aus dem Leben ihrer Tiere zu sammeln und festzuhalten.
„Heute steht das Wohl der Tiere im Mittelpunkt unserer Arbeit, nicht mehr die günstige Produktion von Fleisch, die auch von Verbrauchern bezahlt werden muss“, blickt Christiane Hellmanns auf den Paradigmenwechsel der zurückliegenden gut drei Jahrzehnte. „Die Tiere haben mehr Platz als früher. Alles wird dokumentiert. Viele Landwirte ärgert es, dass sie heute mehr Arbeit im Büro verbringen müssen als früher. Aber das lässt sich nicht ändern.“
Weil die Landwirte viele Daten zu dokumentieren haben, sind sie bei der Digitalisierung vorne mit dabei. „Wenn ich heute Ackerbohnen oder Weizen aussäe, wird der Traktor über GPS gelenkt“, nennt Wilhelm Hellmanns ein Beispiel. „Dadurch kann ich Abstände optimal einhalten und den Ertrag erhöhen.“
Die moderne Technologie hilft auch bei der Gülle, die er über Schleppschlauchverteiler wenige Zentimeter über der Oberfläche seiner 130 Hektar Ackerböden fein verteilt. „So entsteht wenig Geruch“, berichtet er. „Außerdem gelangt der Stickstoff in die Pflanzen und nicht als Nitrat ins Grundwasser.“Als Vorsitzender der Kreisbauernschaft Geldern kennt er die Diskussion um die Gülle, die stellvertretend für die Frage nach einer nachhaltigen Landwirtschaft geführt wird.
„Heute ist die Öffentlichkeitsarbeit ein Teil der Arbeit der Landwirte geworden“, berichtet er. „Ich verbringe damit 20 bis 30 Stunden im Monat. Die Landwirte haben Vertrauen zurückzugewinnen. Das ist nicht einfach, da sich die Verbraucher noch weiter von der Landwirtschaft entfernt haben. Die Landwirte haben Anerkennung verdient, weil sie Lebensmittel herstellen und damit die Ernährung sichern.“
Er würde sich wieder entscheiden, Landwirt zu werden, genauso wie sich seine älteste Tochter Theresa Hellmanns entschieden hat, Landwirtin zu werden und gerade ihre Ausbildung an der Fachschule für Agrarwirtschaft in Kleve abschließt. „Das Auge des Herrn füttert das Tier“zitiert er gerne einen historischen Spruch, wenn er heute auf seine Meisterarbeit von 1990 schaut. „Dieser Spruch gilt seit Jahrhunderten“, sagt er. „Das Wichtigste ist, das einzelne Tier zu beobachten, es im Auge zu haben. Dabei ändern sich über die Jahrzehnte die landwirtschaftlichen Hilfsmittel wie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.“