„Sich einfach mal zu testen, bringt nichts“
Der Vorsitzende der Akkreditierten Labore in Deutschland spricht über neue Wertschätzung, Teststrategien und Corona-Mutationen.
Herr Müller, wie groß war und ist aktuell die Belastung der Labore durch die Pandemie?
MÜLLER Für unsere rund 200 beim ALM angeschlossenen Labore stellt sich die Lage ganz unterschiedlich dar. Alle Einrichtungen führen labormedizinische Diagnostik aller Arten durch. 114 davon führen nun seit rund einem Jahr zusätzlich zu ihrer Routine-Arbeit täglich Corona-PCR-Tests durch. Dort ist die Belastung natürlich hoch. Andererseits ist es immer noch so, dass durch die Pandemie weniger Menschen wegen anderer akuter und chronischer Erkrankungen zum Arzt gehen. Das heißt, Labore, die keine Corona-Tests durchführen, haben weniger Aufträge und daher wie andere Arztpraxen auch entsprechend weniger Einnahmen.
Werden Sie heute mehr wahrgenommen als früher?
MÜLLER Ja, auf jeden Fall. Die Labore und ihre Mitarbeiter erleben durch die Pandemie eine bisher nicht gekannte Wertschätzung, wie ja auch die Wissenschaft allgemein sehr in den Fokus gerückt ist. Und zum Glück gilt auch für fachärztliche Labore in wirtschaftlichen Engpässen der Rettungsschirm der Kassenärztlichen Vereinigungen. Daher ist die Stimmung insgesamt trotz der Belastung ganz okay.
Die Bürger werden täglich auf allen Kanälen mit Infektionszahlen und Todesraten konfrontiert. Dabei heißt es häufig, dass die Daten nicht aussagekräftig seien, etwa wegen Feiertagen oder Nachmeldungen. Wäre es nicht besser, seltener Zahlen zu veröffentlichen, dann aber verlässliche?
MÜLLER Wichtig ist, dass alle Daten, die erhoben werden, so schnell wie möglich zur Verfügung stehen, damit die Verantwortlichen die Pandemie möglichst gut einschätzen und zur Eindämmung geeignete Maßnahmen einleiten können. Durch das zum 1. Januar verbindlich eingeführte elektronische Meldeverfahren Dimes sind die Übertragungswege von Laboren zu den Gesundheitsämtern und zum RKI deutlich kurzfristiger geworden. Eine tägliche Veröffentlichung mag vielleicht nicht unbedingt nötig sein. Aber es gibt sicher Menschen, die permanent die neuesten Infektionszahlen
und Entwicklungen wissen möchten. Wir vom ALM geben einmal wöchentlich am Montag die aus der zurückliegenden Woche gesammelten Daten zu den durchgeführten Tests und den positiven Befunden sowie zu den aktuellen Kapazitäten der teilnehmenden Labore an das Robert-Koch-Institut, das Bundesministerium für Gesundheit und die Kassenärztliche Bundesvereinigung weiter.
Wie stehen Sie zu Antigen-Schnelltests?
MÜLLER Auch hier muss man klar trennen, was man möchte: Für den Nachweis einer Infektion bei einem Patienten mit Symptomen ist die PCR der Goldstandard, also die beste Methode der Wahl. Sie ist empfindlich und spezifisch. Antigentests untersuchen die Eiweißbestandteile des Coronavirus. Das heißt, sie sind nicht so sicher wie eine PCR und können auch mal falsch-negativ oder falsch-positiv sein. Ein positiver Antigentest muss daher immer von der PCR bestätigt werden. Sich also ins Blaue hinein einfach mal zu testen, wenn man keinerlei Symptome hat, bringt nichts. Es ist nur eine Momentaufnahme und kann zu einem Scheinsicherheitsgefühl führen. Wenn man dagegen einen Menschen im Pflegeheim besucht und kurz zuvor einen Schnelltest macht, kann das schon Sinn machen. Denn in den folgenden drei Stunden des Besuchs wird sich der Zustand nicht dramatisch verändern. Aber jeder muss wissen: Das Testen befreit nicht von den „AHA plus Lüften plus App nutzen plus Kontakte reduzieren“-Regeln, auch nicht beim Besuch im Altenheim. Sie gelten für jeden und jederzeit.
Was ist mit der Probennahme? Ergibt es Sinn, dass Bürger selber Abstriche vornehmen? Da kann man ja einiges falsch machen. MÜLLER Das ist richtig. Anleitung, Begleitung und Kontrolle sind sehr wichtig. Mitarbeiter im Krankenhaus oder Pflegekräfte können nach Schulung den Test sicher auch selbst durchführen; der Hausarzt kann seine Patienten anleiten und bei der Probenentnahme beobachten.
Stichwort Corona-App: Sie wurde seitens der Politik aufwendig beworben. Nun hat man den Eindruck, dass sie bei der Bekämpfung der Pandemie keine große Rolle spielt. Stimmt das?
MÜLLER Ich kann die Kritik an der App ehrlich gesagt nicht nachvollziehen. Jeder lädt doch heutzutage permanent Bilder und Persönliches auf seinem Handy hoch. Da sollte man auch diese App bedienen können. Und das neu eingeführte Kontakttagebuch halte ich auch für hilfreich.
Die neue Virus-Mutante aus Großbritannien bereitet Wissenschaftlern zunehmend Sorge. Spielt sie im deutschen Laboralltag eine Rolle? Wurde bisher in Deutschland zu wenig sequenziert?
MÜLLER Von Beginn der Pandemie an haben die Labore auch immer wieder die kompletten Genome von Sars-CoV-2 untersucht, allen voran das Konsiliarlabor der Berliner Charité. Seltener als etwa in Großbritannien, das stimmt. Aber trotzdem ist die Mutation auch dort erst kürzlich entdeckt worden. Das zeigt: Quantität alleine reicht nicht. Man muss auch gezielt prüfen. Mit der neuen Rechtsverordnung wird aber nun auch hierzulande häufiger eine Sequenzierung erfolgen.
Sehen Sie Licht am
Ende des Tunnels?
MÜLLER Ja, ich bin positiv gestimmt. Es war von Beginn an klar, dass der Weg zur Bekämpfung der Pandemie ein Marathon wird. Wo wir heute stehen, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Aber in einem Jahr ist die Lage sicher deutlich besser als heute. Wir sind in Deutschland in Medizin, ambulanter Versorgung und Diagnostik fantastisch aufgestellt. Entscheidend ist, dass die Covid-19-Pandemie eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Jeder Einzelne kann dazu beitragen, dass der Weg ein Stück leichter und kürzer wird.