Eine Ruhrorter Familie mit großem Namen
Walter de Gruyters Lebensweg begann in Ruhrort. Ohne das Startkapital aus dem Kohlenhandel wäre sein renommierter Wissenschaftsverlag in Berlin nie entstanden.
Auf dem Ruhrorter Friedhof an der Eisenbahnstr. 20a befinden sich viele Grabstätten bedeutender Ruhrorter Unternehmer- und Handelsfamilien. Der ehemalige Stadtarchivar Walter Ring hat die „Geschichte der Firma de Gruyter und Co. G.m.b.H., Duisburg-Ruhrort 1844-1944“umfassend aufgearbeitet, so Lisa Hampel vom Stadtarchiv. Der Stammbaum des Spediteurs und Kohlengroßhändlers Albert de Gruyter (1829–1901) weist immerhin 45 Nachkommen auf. Der berühmte Name seines Sohnes sticht dabei besonders hervor: Walter de Gruyter (1862-1923), dessen berufliche Laufbahn in Ruhrort begann und der später in Berlin den Wissenschaftsverlag leitete, der noch heute seinen Namen trägt.
Der in Ruhrort geborene Walter de Gruyter absolvierte nach dem Abitur eine kaufmännische Lehre in seiner Heimatstadt. Mit Stationen in Belgien und England verbreiterte er seine Kompetenzen. Anschließend wandte sich de Gruyter 1883 dem Studium der Germanistik zu. Studienorte waren Berlin und Bonn. 1887 wurde er in Leipzig zum Dr. phil. promoviert.
Nach seiner Promotion kehrte nach Ruhrort zurück und stieg in das väterliche Unternehmen ein. Der junge Walter de Gruyter heiratete Eugenie Müller. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor – Hans, Georg, Clara und Ellen. Neben seiner Geschäftstätigkeit war er Aufsichtsratsmitglied des Kabelwerkes Duisburg, der Gutehoffnungshütte Oberhausen und der Zünderfabrik Mülheim-Ruhr-Saarn GmbH. Kohle und Stahl trieben damals den Wirtschaftsmotor des Kaiserreichs an. Der Kohlengroßhandel erwies sich als lukrativ, die vermögende Familie de Gruyter war in Ruhrort hoch angesehen.
Doch der promovierte Akademiker sah mittelfristig seine berufliche Zukunft in einer anderen prosperierenden Branche. Das neu gewonnene Wissen dieser dynamischen Zeit musste kommuniziert werden, sowohl unter den Wissenschaftlern selbst als auch mit der bildungshungrigen Elite. Es entstand ein Markt mit zahlreichen Wissenschaftsverlagen im Kaiserreich. Nirgendwo sonst gab es eine so aktive Verlags- und Zeitungskultur wie um 1900 in der deutschen Reichshauptstadt.
Nach dem Verkauf des väterlichen Geschäfts in Ruhrort inserierte Walter de Gruyter 1894 eine anonyme Anzeige im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel: „Vermögender Kaufmann, 31 J. alt, verheiratet, Dr. phil. (Germanist), sucht
Beziehungen, die zur thätigen Mitinhaberschaft oder Übernahme einer angesehenen Verlagsbuchhandlung oder Verlagsanstalt führen können.“
Ein Jahr später wurde er vom Verlag Georg Reimer ohne Vergütung als Volontär eingestellt und erwarb Insiderwissen. De Gruyter strebte die Übernahme an. Das gelang. Der Kauf des traditionsreichen Wissenschaftsverlag, dessen Wurzeln bis ins Jahr 1749 zurückreichen, war für de Gruyter der Auftakt für einen langfristig angelegten Plan.
Als umsichtiger und ehrgeiziger Geschäftsmann arbeitete er sich in der Verlagswelt nach oben und verwirklichte 1919 durch Käufe und Teilhaberschaften seinen Traum, mehrere Wissenschaftsverlage unter einem Dach zu vereinen. Sein
Ziel: Er wollte mit dem Programm seiner Verlage das Spektrum der modernen Natur- und Geisteswissenschaften abdecken, wie es sich im Kaiserreich explosionsartig mit einem großen Markt herausbildete. Es erschienen sprachwissenschaftliche, juristische, technische, medizinische und theologische Fachbücher, die das Wissen der Zeit widerspiegelten.
Im Ersten Weltkrieg ereilten den erfolgreichen Verleger tragische Schicksalschläge. Seine beiden Söhne Hans und Georg fielen im Krieg. Doch Walter de Gruyter setzt unbeirrt sein Lebenswerk fort. Der Verlag überstand die schwierigen wirtschaftlichen Zeiten nach dem Krieg. 1923 verstarb Walter de Gruyter unerwartet im Alter von 61 Jahren und wurde in Berlin auf dem Parkfriedhof
Lichterfelde beigesetzt. Die Grabinschrift lautete „Es eifre jeder seiner unbestochnen – Von Vorurteilen freien Liebe nach!“(Lessing).
Seine Nachfolge übernahm sein Schwiegersohn Herbert Cram, der mit de Gruyters ältester Tochter Clara verheiratet war. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen hat das Verlagshaus die Verstrickung in der NSZeit wissenschaftlich von Angelika Königseder aufarbeiten lassen. Das Familienunternehmen de Gruyter in Berlin behauptet sich mit einem 60 Millionen Umsatz erfolgreich im internationalen Wettbewerb.
Zur Vertiefung: Helen Müller: „Wissenschaft und Markt um 1900“. Das Verlagsunternehmen Walter de Gruyters im literarischen Feld der Jahrhundertwende.