Rheinische Post Duisburg

Der Kampf ums Kanzleramt

- VON MARTIN KESSLER UND JULIA RATHCKE

Streit um die Kanzlerkan­didaturen wie zwischen Laschet und Söder hat es in der Bundesrepu­blik immer gegeben – nicht nur innerhalb der Union. Ohne Trickserei, Hauen und Stechen ging es eigentlich nie.

Der Machtkampf um die Kanzlerkan­didatur zwischen CDU-Chef Armin Laschet und CSU-Chef Markus Söder stellt die Union gerade auf eine harte Probe. Von Sticheleie­n bis hin zur Feldschlac­ht ist die Rede – dabei haben die Schwesterp­arteien schon ganz andere Zeiten hinter sich. Um das Spitzenamt wurde in der Geschichte der Bundesrepu­blik immer mit harten Bandagen gekämpft, nicht nur hinter den Kulissen. Auch die SPD war in historisch­e Duelle involviert, und nicht immer ging es gut aus für den jeweils gekürten Kanzlerkan­didaten.

Besonders spannend wurde es immer dann, wenn die SPD an der Macht war und die Union einen Herausford­erer an den Start bringen musste. Den Bundestags­wahlen von 1976 und 1980 etwa gingen harte Wahlkämpfe voraus, die sich – genau wie heute – vor allem zwischen dem CSU-Chef und dem CDU-Vorsitzend­en abspielte. Franz Josef Strauß, damals auch bayerische­r Ministerpr­äsident, machte nie einen Hehl daraus, die Kanzlerkan­didatur innerhalb der Union für sich entscheide­n zu wollen. Er scheute nicht davor zurück, seinen Rivalen auch vor einem größeren Publikum zu diskrediti­eren. „Helmut Kohl wird nie Kanzler werden, er ist total unfähig. Ihm fehlen die charakterl­ichen, die geistigen und die politische­n Voraussetz­ungen. Ihm fehlt alles dafür“, polterte Strauß schon im November 1976 vor dem Landesauss­chuss der Jungen Union Bayern – ein paar Wochen, nachdem Kohl gegen Helmut Schmidt (SPD) die Bundestags­wahl nur ganz knapp verloren hatte.

Entschiede­n wurde das Duell zwischen dem taktierend­en Pfälzer und dem impulsiven Bayer dann vier Jahre

später. Während Strauß an seinem Machtanspr­uch festhielt („Es ist mir egal, wer unter mir Bundeskanz­ler wird.“), gab Kohl mitten im Showdown nach – und verzichtet­e auf die Kanzlerkan­didatur. Es folgte ein bemerkensw­ert scharfer Wahlkampf zwischen Strauß und dem SPD-Kanzler Schmidt. „Strauß war ein wilder Stier, der alle Gatter durchbrech­en wollte“, schrieben die Zeitungen. Sein aggressiv-egozentris­ch geführter Wahlkampf scheiterte aber.

Mehr als 20 Jahre nach der StraußKohl-Ära befanden sich CDU und CSU mit der neuen Parteivors­itzenden Angela Merkel in einer ähnlichen Lage: Es galt, den populären SPD-Kanzler Gerhard Schröder bei der Bundestags­wahl 2002 zu stürzen. Merkel, die den durch die Spendenaff­äre angeschlag­enen Wolfgang Schäuble 2000 an der CDU-Spitze abgelöst hatte, hätte einen Zugriff auf die Kanzlerkan­didatur gehabt – verzichtet­e aber.

Bei dem legendären „Wolfratsha­user Frühstück“teilte Merkel ihrem Rivalen Edmund Stoiber (CSU) unter vier Augen in seiner Wohnung mit, dass es für die Union besser sei, wenn er antrete. Dass sie dem von sich so überzeugte­n CSUChef Edmund Stoiber den Vortritt ließ, hatte auch den Vorteil, damit zugleich den Parteikoll­egen Friedrich Merz aus dem Weg zu räumen, der ebenfalls Kanzlerkan­didat werden wollte. Merkels Vorgehen erinnert an Kohls taktisch kluge Entscheidu­ng für Strauß 1980. Auch CSU-Politiker Stoiber verlor die Wahl gegen Schröder – und Merkel konnte 2005 auftrumpfe­n.

Legendär sind die Machtkämpf­e in der SPD. In den 90er-Jahren versuchten die Sozialdemo­kraten zunächst vergeblich, den Einheitska­nzler Kohl von der Macht zu verdrängen. Drei Männer kristallis­ierten sich heraus: der SPD-Vorsitzend­e Rudolf Scharping und die Ministerpr­äsidenten von Niedersach­sen und

„Helmut Kohl wird nie

Kanzler werden, er ist total unfähig, ihm fehlt alles dafür“

Franz Josef Strauß Bayerische­r Ministerpr­äsident, 1976

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FOTOS (4): DPA Angela Merkel ließ 2002 Edmund Stoiber den Vortritt.
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1961 kandidiert­e Willy Brandt (r.) statt Parteichef Erich Ollenhauer für die SPD.
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1980 kandidiert­e Franz Josef Strauß (r.) für die Union, nicht Helmut Kohl.
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1998 setzte sich Gerhard Schröder (r.) gegen Oskar Lafontaine durch.

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