Kein Konsens beim Klima-Kampf
Beim Petersberger Klimadialog stellen Kanzlerin Merkel und Umweltministerin Schulze neue Pläne ins Schaufenster. Doch in Deutschland gibt es nicht nur Bewunderer: Wissenschaftler und Aktivisten haben sehr konkrete Vorstellungen.
DÜSSELDORF Das Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts wirkt auch beim Petersberger Klimadialog nach. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Umweltminsterin Svenja Schulze (SPD) sprachen zum Auftakt der virtuellen Veranstaltung vor weltweit versammelten Ministern von einem „wegweisenden Urteil“. „Das möchte ich zum Anlass nehmen, beim Klimaschutz in Deutschland noch eine Schippe draufzulegen und unser Klimaschutzziel anzuschärfen“, sagte Schulze.
Und tatsächlich hat das Urteil die große Koalition in den letzten Zügen dieser Legislaturperiode unter massiven Handlungsdruck gesetzt. Im Rekordtempo von neun Tagen haben Union und SPD sich auf Eckpunkte verständigt, um beim Klimaschutzgesetz nachzubessern. Zu den Plänen, die am Mittwoch bekannt wurden, gehört das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 – fünf Jahre früher als bisher geplant. Daneben sollen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden (bisher 55 Prozent) und neue Ziele für die Zeit nach 2030 vereinbart werden. Schulze setzte beim Klimadialog das Ziel, die Pläne vor der Sommerpause zu verabschieden.
Neben nationalen Zielsetzungen rief die Bundeskanzlerin die Staaten zur „internationalen Solidarität“auf. „Im Interesse der nachfolgenden Generationen überall auf der Welt kommt es darauf an, dass wir rasch und entschlossen handeln, um die dramatischen Folgen der Erderwärmung zu begrenzen“, appellierte Merkel. Zugleich warb sie international für das Instrument der CO2-Bepreisung, das in Deutschland bereits in Kraft ist.
Deutliche Kritik an den Plänen der Bundesregierung und weitergehende Forderungen kamen unter anderem aus der Wissenschaft und von Klimaaktivisten. Johan Rockström, Direktor des Potsdamer Instituts für
Klimafolgenforschung, begrüßte die Verschärfung als Schritt in die richtige Richtung, doch weitere müssten folgen: „Die Ausschöpfung der Covid-19-Rettungsfonds zur Förderung grüner Investitionen in erneuerbare Energien und Stromnetze statt in die Verlängerung des fossilen Brennstoffzeitalters sollte dies ergänzen.“
Laut Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erfüllt Deutschland mit seinen Nachbesserungen die EU-Klimaziele, aber nicht die 1,5-Grad-Ziele von Paris: „Deutschland hat noch 6,7 Gigatonnen CO2-Budget zur Verfügung und sollte die Emissionen so schnell wie möglich senken, bis spätestens 2040 müssen sie auf null sein.“Konkret forderte Kemfert: Genehmigungsverfahren für Windenergie müssten erleichtert werden, alle Anlagen sofort erneuert werden können, Abstandsregeln abgeschafft werden und Akzeptanz über Bürgerenergie gestärkt werden.
Die Klimaaktivisten der „Fridays for Future“-Bewegung pochten ebenfalls auf die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels und Klimaneutralität sogar bis 2035. „Die Regierung und gerade Merkel braucht gar nicht erst zu denken, dass sie mit diesem Ziel genug getan hat. Gerade jetzt, vor der Bundestagswahl, sorgt sich die große Koalition hauptsächlich um ein klimafreundliches Image“, sagte „Fridays for Future“-Sprecherin Leonie Bremer. Die Verantwortung reicher Länder wie Deutschland gehe außerdem über Klimaschutz im eigenen Land hinaus. Die Regierung
müsse Solidarität mit betroffenen Ländern im globalen Süden zeigen: „Bislang zeigt die Groko noch lange nicht, dass sie die Auswirkungen der Klimakrise und das Leben unter diesen Bedingungen in betroffenen Ländern in Gänze verstanden hat.“
SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch hingegen verwies auf das Klimaziel von mindestens 55 Prozent Reduktion bis 2030, auf sich die EU unter deutscher Ratspräsidentschaft verständigt habe: „Mit diesem Schwung werden wir auch in den Dialog gehen. Uns ist klar: Klimaschutz können wir nur gemeinsam erreichen.“
„Bislang zeigt die Groko
nicht, dass sie die Auswirkungen der Krise verstanden hat“Leonie Bremer
„Fridays for Future“