Über 60-Jährige verweigern Astrazeneca
In Hausarztpraxen und im Impfzentrum kommt es Ärzten zufolge immer wieder zu Diskussionen um die Wahl des Impfstoffs. Auch Ältere wollen Biontech bekommen, obwohl dieser lange für unter 60-Jährige die einzige Option war.
DÜSSELDORF Immer wieder kommt es vor, dass Impfberechtigte über 60 Jahren das Mittel des Herstellers Astrazenca verweigern und stattdessen lieber mit Biontech geimpft werden wollen, berichten Ärztinnen und Ärzte. Eine Medizinerin aus Düsseldorf, die in einer Hausarztpraxis tätig ist und zudem im Impfzentrum arbeitet, erzählt von teilweise lautstarken Diskussionen und gar Drohungen. „Alle wollen nur Biontech und wollen sich selbst auf Moderna nicht einlassen“, sagt die Ärztin, die anonym bleiben möchte.
In den Gesprächen mit den Patientinnen und Patienten versucht sie, über die Wirksamkeit und mögliche Impfreaktionen aufzuklären. Meist aber ohne Erfolg, wie sie sagt. „Die Meinungen sind sehr festgefahren. Letztendlich sind wir dann auf die Wünsche der Leute eingegangen. Das Ziel ist ja, möglichst viele Menschen zu impfen.“Die strikte Ablehnung eines Impfstoffs könne sie aber nicht verstehen, und sie mache sie wütend, sagt die Ärztin. Denn mit den Biontech-Dosen könnte sie sonst Jüngere impfen, für die das Mittel von Astrazeneca lange nicht zugelassen war.
Zumal die Biontech-Präparate deutlich knapper sind: Vom Astrazeneca-Präparat haben die Hausärzte in der aktuellen Woche bis zu 50 Dosen bekommen, heißt es von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Ab der nächsten Woche gibt es hierfür gar keine Obergrenze
mehr, dann können die Praxen so viel Impfstoff bestellen, wie sie verimpfen können. Von Biontech stehen jeder Praxis momentan nur 36 Dosen pro Woche zu.
Im Düsseldorfer Impfzentrum in der Arena hingegen ist eine Auswahl der Impfstoffe bisher nicht möglich. Hier gibt es nach Angaben der Stadt nur vereinzelte Impfungen mit dem Vakzin der Firma Astrazeneca – für Impfberechtigte, die einen Beruf mit einer hohen Infektionsgefahr ausüben. Rund 44.500 Dosen des Vakzins wurden hier verimpft. Alle anderen Impflinge bekommen derzeit die Mittel von Biontech (139.300 Impfdosen) oder Moderna (22.400). Das Mittel von Johnson&Johnson kommt zunächst bei der Impfung von Obdachlosen zum Einsatz.
„Eine Häufung von Diskussionen zum angebotenen Impfstoff können wir in diesem Zusammenhang nicht feststellen“, heißt es von der Stadt, die das Impfzentrum betreibt. Die Ärztin, die auch dort im Einsatz ist, berichtet jedoch, dass es auch hier schon zu lautstarken Diskussionen gekommen sei. So habe ein älterer
Herr etwa das Personal beschimpft und mit einer Klage gedroht, weil er Moderna statt Biontech bekommen sollte. Schließlich habe er freiwillig das Impfzentrum ohne Impfung verlassen.
Auch Orthopäde Rüdiger Dohmann, der als Facharzt in dieser Woche die ersten Impfdosen bekommen hat, berichtet von „deutlich spürbaren Vorbehalten“bei über 60-Jährigen. „Sie brüllen alle nach Biontech“, sagt er. „Das ist sehr schade, denn für die meisten wäre Astrazeneca bestens geeignet. Sie nehmen den Jüngeren den Impfstoff weg.“Wer über 60 Jahre alt ist und außer den üblichen altersentsprechenden Beschwerden keine Vorerkrankungen habe, könne bedenkenlos den Impfstoff bekommen, sagt er. „Es ist sehr viel Unwissenheit und Angst im Spiel. Astrazeneca ist ein wirklich guter Impfstoff, der poltisch sehr schlecht kommuniziert wurde.“Im Gespräch könne er den ein oder anderen Skeptiker überzeugen, sagt Dohmann. Dazu gehöre aber viel Geduld. „Da muss man als Arzt auch schon mal deutlicher werden, aber ich wirke darauf ein, dass Patienten über 60 auch Astrazeneca bekommen.“
Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) appellierte am Mittwoch an die Altersgruppe, sich auch bei den niedergelassenen Ärzten mit Astrazeneca impfen zu lassen. „Das ist auch ein Gebot der Solidarität gegenüber der jüngeren Bevölkerung.“Der Impfstoff ist in Deutschland nur für Menschen über 60 Jahren empfohlen, weil es bei Jüngeren nach Impfungen mit dem Vakzin vereinzelt zu teilweise tödlichen Thrombosen gekommen ist. Unter 60-Jährige waren bisher auf Impfstoff von Biontech, Moderna und Johnson & Johnson angewiesen. Am Donnerstag gab Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bekannt, dass die Priorisierung für Astrazeneca aufgehoben wird. In den Arztpraxen soll sich künftig jeder – unabhängig von Alter oder Vorerkrankung – mit dem Präparat impfen lassen können.