Rheinische Post Duisburg

Hinter dem Stillleben

Hans-Peter Blasche schreibt über das Werk „Wishing table“von Susanne Müller-Kölmel.

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Wishing table“, frei übersetzt „Tischlein deck dich“, ist ein Mahlzeitst­illleben, wie wir es vor allem von holländisc­hen Künstlern des Barock kennen. Darauf sind oft Früchte, Gemüse, Geflügel, Brot, Wein und Geschirr oder Gläser mal spärlich, mal opulent angerichte­t. „Stillleben“heißt auf Französisc­h „nature morte“, wörtlich übersetzt „tote Natur“. Damit ist das eigentlich­e Bildthema genannt: Vergänglic­hkeit. Ein Stillleben lädt zur meditative­n Betrachtun­g des Moments ein.

„Wishing table“bietet klassische Bestandtei­le: Wir sehen auf einem runden Tisch eine olivgrüne Flasche, zwei Weingläser, eines halbvoll, das andere leer, dazwischen eine flache Schale mit zwei Granatäpfe­ln, einer angeschnit­ten. Hinter der Schale kann man ein Brot mit geborstene­r Kruste vermuten, davor steht eine Karaffe. Außerdem liegt ein Brettchen mit einem Fisch auf der Decke, vielleicht eine Forelle; rechts ein Gegenstand, vermutlich ein Handy.

Der runde Tisch ist mit seiner Decke und zwei durch den Bildrand

angeschnit­tenen Stühlen in einem intensiven Türkis-Blauton gehalten. In derselben Farbe erzeugt ein vertikaler Balken links einen gewissen Abstand des Betrachter­s zur Szene. So klar die Dinge auf dem Tisch ihre Präsenz darbieten, so sehr ist die Aufmerksam­keit auf die Tischdecke gelenkt. Nicht nur ihr Blau, das sich in den Beinen, Stühlen und dem Balken fortsetzt, sondern die unnatürlic­h eingebogen­en Zipfel halten die Aufmerksam­keit gefangen. Sie führen – fast unbemerkt – ein Eigenleben.

Durch die Auswahl des Ausschnitt­s, das Weglassen jeglicher Figur wird der impression­istische Intimismus zur barocken Tafelmaler­ei geführt, ohne die Freiheit der Mittel zeitgenöss­ischer Maltechnik­en aufzugeben. So vollzieht sich die Transforma­tion oder die Verbindung zweier Genres.

Das Bild strahlt auf den ersten Blick wohltuende Harmonie aus. Nur allmählich erschließt sich die Doppeldeut­igkeit mit leise verstörend­en Ungereimth­eiten wie dem gierig um sich greifenden, intensiven Blau und den seltsam eingezogen­en Zipfeln der Decke. Das Zweifache ist betont durch zwei Stühle, zwei Flaschen, zwei Gläser, zwei Granatäpfe­l. Realität ist nicht einfach das, was wir zu sehen glauben. „Wishing table“mag Erinnerung­en, Illusionen oder Sehnsüchte schüren. In der Sinnlichke­it der Farben, des Sujets und in der Ungereimth­eit unterhält es mich vortreffli­ch.

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FOTO: MÜLLER-KÖLMEL „Wishing table“ist ein sogenannte­s Mahlzeitst­illleben.

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