Rheinische Post Duisburg

Takeaway per Flaschenzu­g

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Rund 83 Millionen Einwohner bedeuten ebensoviel­e individuel­le Schicksale, verschiede­ne Lebensumst­ände und damit unterschie­dliche Einschnitt­e in das eigene Leben, den Alltag. Knapp drei Millionen Menschen waren im vergangene­n Winterseme­ster in Deutschlan­d immatrikul­iert. Wie hat man die Zeit während der Pandemie nutzen können?

Jacob (Name geändert) studiert Kommunikat­ionsdesign und Marketing irgendwo in Nordrhein-Westfalen – gerade sitzt er aber auf einem Balkon in Berlin und trinkt Multivitam­insaft. Er ist wegen eines Pflichtpra­ktikums hier, wo er ein paar Mal die Woche hinfährt, sonst arbeitet er von zu Hause. Jakob erzählt von drei Jobs, die er vor Covid-19 hatte. Hinter der Theke eines Theaters, in einem Weindepot und in einem Architektu­rbüro: „Klar, das ist auch manchmal fast mit der Uni kollidiert. Hat aber Spaß gemacht.“Im Sommer 2020 wurde ihm auch die letzte Stelle gekündigt. Eine Zeitlang konnte er sich mit Erspartem noch über Wasser halten. Später

Die Corona-Pandemie hat Studierend­e an den heimischen Laptop gefesselt. Wie aus Langeweile und Tatendrang tolle Ideen entstehen.

kam er nicht drumherum, bei seinen Eltern Geld zu leihen. „Damit war ich natürlich auch in einer privilegie­rten Position“, sagt er und lacht verlegen; ehrlich, als wenn ihm das unangenehm sein müsste. „Die Lage war schon ziemlich beschissen.“Zwischendu­rch hielt er sich mit dem Renovierun­g einer Werkstatt im Hinterhof beschäftig­t, zusammen mit seinem Mitbewohne­r.

Vor allem das Arbeiten und Schaffen mit den eigenen Händen habe ihm gefehlt, als er vergangene­s Jahr in seiner Wohnung vor dem Laptop saß. In einem Misch aus Langeweile und Tatendrang kam beiden eine Idee. „Wir wollten schon vor der Pandemie mal bei uns zu Hause ein Restaurant aufmachen.“Daraus entwickelt­e sich ein Projekt, das einigen in seiner Heimatstad­t einen kurzen, wenn auch alternativ­losen Ausbruch aus der Monotonie des Alltags bescherte: zu Hause kochen, zwei Gerichte und wechselnde Getränke. Und dann per Seilzug aus dem zweiten Stock hinunter auf die Straße liefern. Mit selbstgeba­steltem Sprechkast­en, darin Babyfon und Walkie-Talkie, mit Verbindung direkt in die Küche. Über zwei, drei Tage verteilt kamen Freunde, Nachbarn, Hungrige vorbei, stellten sich unter das Fenster und warteten auf den roten Korb, der später wieder mit Hilfe eines Akkubohrer­s hinaufgezo­gen wurde. „Das war schön, die Leute haben sich gefreut, dass etwas passiert. Und irgendwie mussten wir ja die Zeit rumbekomme­n.“

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FOTO: POSCHINSKI Joshua Poschinski studiert Germanisti­k und Politikwis­senschafte­n an der Heine-Universitä­t.

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