Flutwelle reißt Homberger Kasperbühne mit
Erst der Lockdown, dann das Unwetter: Puppenspieler Gebhard Cherubim, eine Institution des Moerser Weihnachtsmarkts, weiß nicht, wie es weitergehen soll. Er hat sein Theaterzelt und einen Wohnwagen in der Eifel verloren.
HOMBERG/SCHLEIDEN-GEMÜND Gebhard Cherubim kann es immer noch nicht fassen. „Es ist eine Katastrophe, unvorstellbar“, sagt der 63-Jährige, den viele Besucher des Moersers Weihnachtsmarkts als Chef der „Homberger Kasperbühne“kennen. Cherubim, der aus Homberg stammt, wohnt seit langer Zeit in Kall in der Eifel, in einem Landstrich, der von den Unwettern der vergangenen Woche hart getroffen wurde.
Kalls Nachbarort Schleiden-Gemünd, im Tal der Urft gelegen, gleicht einem Schlachtfeld. Die Urft ist normalerweise ein brav plätscherndes Flüsschen. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli wurde sie zum brodelnden Strom. „Eine Flutwelle in der Breite des Tals hat alles mitgerissen.“Auch Cherubims Wohnwagen und sein aus einem Einachser ausklappbares Theaterzelt. Sie standen auf einem Parkplatz im Gewerbegebiet, unweit der Urft. Den Wohnwagen hat Cherubim in dem Chaos aus Schlamm und Schutt inzwischen wiedergefunden: „Er liegt zerstört am Waldrand am anderen Ufer.“Von dem Theaterzelt fehlt jede Spur. „Wir werden es bestimmt irgendwann finden. Die Frage ist nur, in welchem Zustand.“
Geblieben sind Cherubim seine Puppen. Die lagert er in seiner Wohnung im höher gelegenen Kall. „Hier ist nicht viel passiert, ein paar Keller sind vollgelaufen.“Dennoch steht der Puppenspieler vor dem Nichts. Ob er je wieder auf dem Weihnachtsmarkt auftreten kann, ist offen.
Die Unwetter-Katastrophe war für Cherubim ein Tiefschlag nach harten Corona-Monaten, in denen er sich noch auf den Beinen halten konnte. „Ich hab anderthalb Jahre lang keinen einzigen Euro selbstständig eingenommen. Termine wurden erst verschoben, dann abgesagt. Alle gedruckten Plakate und Eintrittskarten konnte ich wegwerfen. Die waren ja datiert.“Besonders
hart traf ihn 2020 die Absage des Moerser Weihnachtsmarkts.
Mit Erspartem und Corona-Hilfen schlug sich Cherubim durch. Den gebrauchten Wohnwagen sparte er sich vom Munde ab, um irgendwann wieder auf Tour gehen zu können – seinen früheren Wohnwagen hatte 2020 der TÜV aus dem Verkehr gezogen.
Cherubim nutzte die Corona-Monate auch dazu, den betagten Bühnenwagen aufzumöbeln. Neues Zelt, neue Bemalung. „Allein das hat 5000 Euro gekostet.“Eine Versicherung gegen Elementarschäden hat Cherubim nicht – zu teuer für den Puppenspieler. Zu allem Unglück müsse er wohl 9000 Euro Corona-Hilfen zurückzahlen. „Das Geld war zur Deckung von Betriebskosten bestimmt. Ich muss jetzt eine Rechnung einreichen. Aber meine Betriebsausgaben sind gleich null.“Denn, wie gesagt, auftreten konnte er nicht. Und den Stellplatz für Wohnwagen und Bühnenwagen bekomme er sehr preisgünstig.
Was Cherubim in all dem Elend aufrecht hält, ist der Zusammenhalt in der Not. Viele Menschen haben ihr Hab und Gut verloren. „Die Solidarität untereinander ist unglaublich.“Cherubim hilft seiner Vermieterin und ihrem Nachbarn beim Aufräumen ihrer überfluteten Häuser in Schleiden-Gemünd. „Der Sperrmüllberg ist schon zwei Meter hoch und 15 Meter lang. Und das nur von zwei Häusern.“Immerhin stehen sie noch. „Die Flut hat eine Dreiergarage aus dem Fundament gehoben und in Richtung des Hauses meiner Vermieterin mitgerissen. Und auf dem Gelände meiner Reifenwerkstatt wurden Autoanhänger zu einer Pyramide gestapelt.“
Nach dem Unwetter fiel zwei Tage lang das Telefonnetz aus, viele Menschen seien nach wie vor ohne Strom. „Wasser aus dem Kran sollen wir nicht trinken, und wenn, dann nur abgekocht. Die ganze Infrastruktur liegt flach. Wir haben keine Bahnanbindung, Busse fahren nicht, die Müllabfuhr bleibt aus. Überall stinkt es furchtbar“, schildert Cherubim. Viele Geschäfte blieben zu. Wo geöffnet sei, drängten sich die Kunden. „Vor einem Jahr hatten wir den Run auf Toilettenpapier, jetzt auf Wasser.“Selbst Brot sei mancherorts knapp.
Hilfsorganisationen stehen den Menschen zur Seite. „Sie kommen von überall her.“Leider blühe auch der Katastrophen-Tourisimus. Cherubim: „Es kommen Leute aus Köln und machen mit betroffenen Gesichtern Handyfotos. Wenn man mich fragt: Denen sollte ein Radlader im Einsatz mal ganz zufällig ins Auto fahren.“