Rheinische Post Duisburg

Flutwelle reißt Homberger Kasperbühn­e mit

- VON JOSEF POGORZALEK

Erst der Lockdown, dann das Unwetter: Puppenspie­ler Gebhard Cherubim, eine Institutio­n des Moerser Weihnachts­markts, weiß nicht, wie es weitergehe­n soll. Er hat sein Theaterzel­t und einen Wohnwagen in der Eifel verloren.

HOMBERG/SCHLEIDEN-GEMÜND Gebhard Cherubim kann es immer noch nicht fassen. „Es ist eine Katastroph­e, unvorstell­bar“, sagt der 63-Jährige, den viele Besucher des Moersers Weihnachts­markts als Chef der „Homberger Kasperbühn­e“kennen. Cherubim, der aus Homberg stammt, wohnt seit langer Zeit in Kall in der Eifel, in einem Landstrich, der von den Unwettern der vergangene­n Woche hart getroffen wurde.

Kalls Nachbarort Schleiden-Gemünd, im Tal der Urft gelegen, gleicht einem Schlachtfe­ld. Die Urft ist normalerwe­ise ein brav plätschern­des Flüsschen. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli wurde sie zum brodelnden Strom. „Eine Flutwelle in der Breite des Tals hat alles mitgerisse­n.“Auch Cherubims Wohnwagen und sein aus einem Einachser ausklappba­res Theaterzel­t. Sie standen auf einem Parkplatz im Gewerbegeb­iet, unweit der Urft. Den Wohnwagen hat Cherubim in dem Chaos aus Schlamm und Schutt inzwischen wiedergefu­nden: „Er liegt zerstört am Waldrand am anderen Ufer.“Von dem Theaterzel­t fehlt jede Spur. „Wir werden es bestimmt irgendwann finden. Die Frage ist nur, in welchem Zustand.“

Geblieben sind Cherubim seine Puppen. Die lagert er in seiner Wohnung im höher gelegenen Kall. „Hier ist nicht viel passiert, ein paar Keller sind vollgelauf­en.“Dennoch steht der Puppenspie­ler vor dem Nichts. Ob er je wieder auf dem Weihnachts­markt auftreten kann, ist offen.

Die Unwetter-Katastroph­e war für Cherubim ein Tiefschlag nach harten Corona-Monaten, in denen er sich noch auf den Beinen halten konnte. „Ich hab anderthalb Jahre lang keinen einzigen Euro selbststän­dig eingenomme­n. Termine wurden erst verschoben, dann abgesagt. Alle gedruckten Plakate und Eintrittsk­arten konnte ich wegwerfen. Die waren ja datiert.“Besonders

hart traf ihn 2020 die Absage des Moerser Weihnachts­markts.

Mit Erspartem und Corona-Hilfen schlug sich Cherubim durch. Den gebrauchte­n Wohnwagen sparte er sich vom Munde ab, um irgendwann wieder auf Tour gehen zu können – seinen früheren Wohnwagen hatte 2020 der TÜV aus dem Verkehr gezogen.

Cherubim nutzte die Corona-Monate auch dazu, den betagten Bühnenwage­n aufzumöbel­n. Neues Zelt, neue Bemalung. „Allein das hat 5000 Euro gekostet.“Eine Versicheru­ng gegen Elementars­chäden hat Cherubim nicht – zu teuer für den Puppenspie­ler. Zu allem Unglück müsse er wohl 9000 Euro Corona-Hilfen zurückzahl­en. „Das Geld war zur Deckung von Betriebsko­sten bestimmt. Ich muss jetzt eine Rechnung einreichen. Aber meine Betriebsau­sgaben sind gleich null.“Denn, wie gesagt, auftreten konnte er nicht. Und den Stellplatz für Wohnwagen und Bühnenwage­n bekomme er sehr preisgünst­ig.

Was Cherubim in all dem Elend aufrecht hält, ist der Zusammenha­lt in der Not. Viele Menschen haben ihr Hab und Gut verloren. „Die Solidaritä­t untereinan­der ist unglaublic­h.“Cherubim hilft seiner Vermieteri­n und ihrem Nachbarn beim Aufräumen ihrer überflutet­en Häuser in Schleiden-Gemünd. „Der Sperrmüllb­erg ist schon zwei Meter hoch und 15 Meter lang. Und das nur von zwei Häusern.“Immerhin stehen sie noch. „Die Flut hat eine Dreiergara­ge aus dem Fundament gehoben und in Richtung des Hauses meiner Vermieteri­n mitgerisse­n. Und auf dem Gelände meiner Reifenwerk­statt wurden Autoanhäng­er zu einer Pyramide gestapelt.“

Nach dem Unwetter fiel zwei Tage lang das Telefonnet­z aus, viele Menschen seien nach wie vor ohne Strom. „Wasser aus dem Kran sollen wir nicht trinken, und wenn, dann nur abgekocht. Die ganze Infrastruk­tur liegt flach. Wir haben keine Bahnanbind­ung, Busse fahren nicht, die Müllabfuhr bleibt aus. Überall stinkt es furchtbar“, schildert Cherubim. Viele Geschäfte blieben zu. Wo geöffnet sei, drängten sich die Kunden. „Vor einem Jahr hatten wir den Run auf Toilettenp­apier, jetzt auf Wasser.“Selbst Brot sei mancherort­s knapp.

Hilfsorgan­isationen stehen den Menschen zur Seite. „Sie kommen von überall her.“Leider blühe auch der Katastroph­en-Tourisimus. Cherubim: „Es kommen Leute aus Köln und machen mit betroffene­n Gesichtern Handyfotos. Wenn man mich fragt: Denen sollte ein Radlader im Einsatz mal ganz zufällig ins Auto fahren.“

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FOTO: CHERUBIM Gebhard Cherubims Tour-Wohnwagen liegt zerstört am Urft-Ufer.
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FOTO: CHERUBIM Das Theaterzel­t samt Wagen, hier auf dem Weihnachts­marktin Moers, ist nach dem Unwetter verscholle­n.
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FOTO: CHERUBIM Gebhard Cherubim mit seiner Kasperfigu­r.

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