Rheinische Post Duisburg

Auf was warten wir noch?

GASTBEITRA­G Wer den Frieden in der Ukraine will, muss ihn militärisc­h erstreiten – auch mit deutschen Panzern, betont die FDP-Politikeri­n und Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses des Bundestags.

- VON MARIE-AGNES STRACK-ZIMMERMANN

Die derzeitige­n militärisc­hen Erfolge der ukrainisch­en Armee kommen für viele überrasche­nd. Unmittelba­r nach dem Überfall auf die Ukraine glaubten selbst Militärexp­erten an einen schnellen Sieg Russlands. Die große Widerstand­sfähigkeit der ukrainisch­en Bevölkerun­g, der Kampfgeist der Streitkräf­te, ihr strategisc­hes Geschick und nicht zuletzt die westlichen Waffenlief­erungen haben dazu geführt, dass die Ukraine den Angriffen bisher standhalte­n konnte. Die erfolgreic­hen Gegenangri­ffe stellen zwar noch keine militärisc­he Wende dar – sie zeigen aber, dass sich die Front nicht zwingend nur gen Westen verschiebt.

Das ist nicht nur für diejenigen bedeutsam, die in russisch besetzten Gebieten ausharren müssen, es ist auch ein wichtiges Zeichen für die freie westliche Welt. Es zeigt sich, dass die Ukraine in der Lage ist, dem Überfall etwas entgegenzu­setzen. Mit jedem bisschen Raum, das sie zurückgewi­nnt, wird die Wahrschein­lichkeit größer, den Krieg zu gewinnen. Dazu brauchen die Ukrainer aber nicht nur anhaltend, sondern qualitativ und quantitati­v der Lage angepasste­s militärisc­hes Gerät. Heißt: Deutschlan­d muss sofort über die Brückenleg­eund Bergepanze­r hinaus auch Panzer liefern, die im Gefecht eingesetzt werden können und mit denen die Ukraine russische Stellungen bekämpfen kann. Die Ukraine braucht umgehend den Transportp­anzer Fuchs, um die hohe Mobilität und Flexibilit­ät ihrer Streitkräf­te aufrecht erhalten zu können, den Schützenpa­nzer Marder und letztlich auch den Kampfpanze­r Leopard 2.

Denn die jüngsten Gebietsgew­inne wurden nicht im direkten Gefecht errungen. Die russische Armee wurde durch den Einsatz schwerer Artillerie mit gezielten Schlägen gegen die Infrastruk­tur und den Nachschub zum Rückzug gezwungen. Marder und Leopard würden die ukrainisch­en Fähigkeite­n steigern, diesen Vorstoß nun zu präzisiere­n. Die Rückerober­ung von durch den Feind besetztem Gebiet ist völkerrech­tskonform das Recht auf Selbstvert­eidigung. Dazu gehört auch die Lieferung von Schützenun­d Kampfpanze­rn westlicher Bauart, um dem Überfallen­en beizustehe­n. Wer anführt, dass deutsche Panzer in der Ukraine nichts zu suchen haben, verkennt die Tatsache, dass es völlig unerheblic­h ist, wer den Panzer entworfen hat und wo er gebaut worden ist. Entscheide­nd ist, wer den Panzer führt: Und das sind ausschließ­lich ukrainisch­e Soldaten.

Wie bizarr diese Debatte inzwischen ist, zeigt die Ignoranz mancher in Bezug darauf, dass Waffen deutscher Bauart schon längst in der Ukraine im Einsatz sind. Deutschlan­d liefert zudem bald das technologi­sch hochwertig­e System Iris-T, ein System von Boden-Luft-Lenkflugkö­rpern, das federführe­nd von einer deutschen Firma entwickelt und hergestell­t wird. In diesem Fall scheint die Sorge vor einer Eskalation des Krieges offensicht­lich nicht vorhanden zu sein. In der Bundesregi­erung wird bereits seit Wochen über die mögliche Lieferung von Schützen- und Kampfpanze­rn diskutiert und stets behauptet, wir dürften uns keine Alleingäng­e leisten, obwohl nicht einer unserer Verbündete­n einer möglichen Lieferung widersproc­hen hätte.

Im Gegenteil: Die USA ermuntern uns diplomatis­ch deutlich, mehr Waffen an die Ukraine zu liefern. Jens Stoltenber­g, Generalsek­retär der Nato, hinterfrag­t unverhohle­n die deutsche Waffenpoli­tik. Auf die Frage, ob Alliierte im Zweifel eher Fähigkeits­ziele des Bündnisses erfüllen sollten als der Ukraine noch mehr Ausrüstung zu liefern, sagte er unmissvers­tändlich, dass er eine Niederlage der Ukraine für gefährlich­er hielte als unterplanm­äßig gefüllte Waffenlage­r.

Eine Niederlage der Ukraine würde eine Niederlage für die wertebasie­rte freie westliche Welt bedeuten

Keiner im Bündnis warnt bei der Frage von Waffenlief­erungen vor einem deutschen Alleingang. Aber man nimmt das Wegducken vor der eigenen Courage zur Kenntnis. Unsere westlichen Verbündete­n erwarten von uns, dass wir die Initiative ergreifen und der angekündig­ten „Zeitenwend­e“auch Taten folgen lassen. Die schwächste Rechtferti­gung für das Verweigern weiterer Waffenlief­erungen hat aber Generalins­pekteur Eberhard Zorn kürzlich geliefert. Das lässt deswegen aufhorchen, weil er der militärisc­he Berater des Kanzlers ist. Er unterstell­t nämlich den Befürworte­rn von Waffenlief­erungen, man wolle die Bundeswehr schwächen, wenn man Gerät aus deren Bestand nähme. Er übersieht erstens: Es geht nicht nur um Waffensyst­eme aus Bundeswehr­beständen, auch ausgemuste­rte Panzer in Industrieb­estand können geliefert werden. Zweitens: Niemand in der Nato, auf deren uneingesch­ränkten Beistand wir uns verlassen können, wird es uns verübeln, wenn wir unsere Nato-Zielmarken nicht erfüllen können, wenn wir Waffen an die Ukraine liefern. Das aber Wichtigste ist: Eine Niederlage der Ukraine würde eine Niederlage für die wertebasie­rte freie westliche Welt bedeuten.

Unsere eigene Sicherheit wird in den kommenden Jahrzehnte­n nämlich davon berührt sein, sollte ein Autokrat wie Putin langfristi­g damit Erfolg haben, Grenzen zu überschrei­ten und die Integrität anderer Länder in Frage zu stellen. Das Ziel ist daher glasklar und jede Ausrede ziemlich unerträgli­ch: Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen. Deutschlan­d muss sich unmissvers­tändlich dazu bekennen, nicht nur mit hehren Worten an der Seite der Ukraine zu stehen. Putin muss seine Soldaten zurückbeor­dern. Er muss sofort das weitere Morden, Vergewalti­gen, Foltern und Brandschat­zen beenden. Um das durchzuset­zen, müssen die Angriffe auf russische Stellungen stärker werden. Wer den Frieden in der Ukraine will, muss ihn militärisc­h erstreiten. Auf was, um Himmels Willen, warten wir noch?

Newspapers in German

Newspapers from Germany