Tanz auf dem Vulkan
Ein Jahr nach dem Ausbruch des Tajogaite herrscht auf La Palma noch immer keine Normalität. Giftige Gase steigen auf, erkaltete Lava blockiert noch immer viele Straßen. Die verwüstete Landschaft ist dagegen eine Touristenattraktion.
LA PALMA Auch ein Jahr nach dem Vulkanausbruch auf La Palma, der die Ferieninsel drei Monate lang in Atem hielt, ist die Gefahr auf dem paradiesischen Eiland noch nicht restlos verschwunden. Im Urlaubsort Puerto Naos, der im vergangenen Herbst evakuiert und wenig später von den Lavamassen eingeschlossen wurde, wabern immer noch giftige Gase durch die Straßen.
Der Badeort, der unterhalb des Vulkankraters an der Westküste der spanischen Kanareninsel La Palma liegt, ist neun Monate nach Ende des Vulkanausbruchs weiterhin hermetisch abgesperrt. Die Messgeräte schlagen regelmäßig Alarm, weil sie dort tödliche Gaskonzentrationen entdecken. „Erstickungsgefahr wegen Kohlendioxid“, steht am Ortseingang. Der schwarze Totenkopf in den dreieckigen Warnschildern spricht eine klare Sprache. Ein Albtraum für die 900 Einwohner von Puerto Naos, die immer noch nicht in ihre Häuser und Wohnungen zurückkönnen. Auch in den 4000 Hotelbetten, ein Drittel aller Übernachtungsplätze auf der Insel, darf niemand schlafen.
Zwei Männer aus Puerto Naos, die nach so langer Zeit sehen wollten, was von ihrem Wohneigentum noch übrig ist, schlichen sich dieser Tage unerlaubt in ihre Häuser. Das wäre ihnen beinahe zum Verhängnis geworden: Beiden wurden wegen der Gaswolken plötzlich schwindelig – sie konnten sich im letzten Moment aus der Gefahrenzone retten.
Die neue Vulkan- und Aschelandschaft ist zur Touristenattraktion geworden. „Viele Besucher wollen dieses Naturphänomen aus der Nähe sehen“, sagt ein Sprecher der örtlichen Hotelvereinigung. Örtliche Führer bieten Wanderungen ins Kratergebiet an. Aber es ist Vorsicht geboten: Unter der Erde brodelt es weiter, und diese unterirdischen Aktivitäten produzieren Gase, die an die Erdoberfläche kommen. In der Nähe des Kraters orteten die Geologen Spalten, in denen noch Lava glüht. „Es ist nicht möglich, künftige Reaktivierungen des Vulkans auszuschließen“, schreiben die Behörden in ihrem jüngsten Lagebericht. Aber wann der nächste Ausbruch kommt, weiß niemand. La Palma ist vulkanischen Ursprungs und erlebte in den vergangenen 80 Jahren drei Eruptionen.
Die Lavaströme der jüngsten Vulkanausbrüche verschlangen mehrere Ortschaften, darunter die Siedlungen Todoque und Paraíso sowie Teile des Ortes La Laguna. 1200 Hektar Land, was etwa ebenso vielen Fußballfeldern entspricht, wurden von der Lavawalze überrollt. Mehr als 1500 Gebäude und viele Bananenplantagen, die auf der Insel die Landschaft prägen, liegen unter einer dicken schwarzen Schicht.
Der Wiederaufbau kommt nur schleppend voran. Meter für Meter graben sich Bagger und Raupen durch die Lavawände, um zu Häusern vorzudringen, die nicht vollends zerdrückt wurden. „Wir haben den Zugang zu etwa 200 Gebäuden
3000 Menschen leben immer noch in provisorischen Unterkünften
freischaufeln können“, sagt Borja Perdomo, der auf der Insel für den Straßenbau zuständig ist.
Von der Kleinstadt La Laguna wurde inzwischen eine provisorische Straße zum vier Kilometer entfernten Ort Las Norias durch das kilometerbreite Lavafeld gefräst. Der Straßenbelag wurde aus einer Mischung aus Vulkanasche, Salzwasser und Kalk hergestellt – ein Baumaterial, das schon die alten Römer benutzten und deswegen auch „römischer Mörtel“genannt wird. Spaniens Regierung habe bereits nahezu 500 Millionen Euro an die Insel gegeben, um den Wiederaufbau zu finanzieren, berichtet Regierungssprecherin Isabel Rodríguez. Trotzdem wächst die Unzufriedenheit in der Bevölkerung, weil die Normalität auf der Insel nicht schnell genug zurückkehrt oder weil die Hilfen nur nach einem bürokratischen Hindernislauf bei den Betroffenen ankommen.
3000 jener 7000 Menschen, die in Sicherheit gebracht werden mussten, leben immer noch in provisorischen Unterkünften. Die Inselregierung stellte Notunterkünfte in einer Barackensiedlung bereit, die jedoch weder groß genug noch besonders einladend ist. Die meisten Menschen wohnen deswegen weiterhin bei Freunden, Familienangehörigen, in Wohnwagen oder auch im Hotel. Den Frust der Menschen bekam Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez zu spüren, als er kürzlich auf die Insel kam, um sich über die Fortschritte des Wiederaufbaus zu informieren: Er wurde mit Buhrufen und Pfiffen begrüßt.
Unterdessen warnen die Vulkanologen, dass die Insel möglicherweise noch länger mit den Gaswolken über manchen Lavafeldern und auch im Geister-Ferienort Puerto Naos rechnen müsse. „Es ist unmöglich abzuschätzen, wann das aufhört“, sagt Stavros Meletlidis vom staatlichen Geografischen Institut, das mit der Überwachung des Vulkans auf La Palma beauftragt ist. Es könne, so Meletlidis, Monate, Jahre oder sogar Jahrhunderte dauern, bis der Ausstoß der giftigen Gase zurückgehe.