Rheinische Post Duisburg

Tanz auf dem Vulkan

Ein Jahr nach dem Ausbruch des Tajogaite herrscht auf La Palma noch immer keine Normalität. Giftige Gase steigen auf, erkaltete Lava blockiert noch immer viele Straßen. Die verwüstete Landschaft ist dagegen eine Touristena­ttraktion.

- VON RALPH SCHULZE FOTOS: KIKE RINCÓN/DPA

LA PALMA Auch ein Jahr nach dem Vulkanausb­ruch auf La Palma, der die Ferieninse­l drei Monate lang in Atem hielt, ist die Gefahr auf dem paradiesis­chen Eiland noch nicht restlos verschwund­en. Im Urlaubsort Puerto Naos, der im vergangene­n Herbst evakuiert und wenig später von den Lavamassen eingeschlo­ssen wurde, wabern immer noch giftige Gase durch die Straßen.

Der Badeort, der unterhalb des Vulkankrat­ers an der Westküste der spanischen Kanarenins­el La Palma liegt, ist neun Monate nach Ende des Vulkanausb­ruchs weiterhin hermetisch abgesperrt. Die Messgeräte schlagen regelmäßig Alarm, weil sie dort tödliche Gaskonzent­rationen entdecken. „Erstickung­sgefahr wegen Kohlendiox­id“, steht am Ortseingan­g. Der schwarze Totenkopf in den dreieckige­n Warnschild­ern spricht eine klare Sprache. Ein Albtraum für die 900 Einwohner von Puerto Naos, die immer noch nicht in ihre Häuser und Wohnungen zurückkönn­en. Auch in den 4000 Hotelbette­n, ein Drittel aller Übernachtu­ngsplätze auf der Insel, darf niemand schlafen.

Zwei Männer aus Puerto Naos, die nach so langer Zeit sehen wollten, was von ihrem Wohneigent­um noch übrig ist, schlichen sich dieser Tage unerlaubt in ihre Häuser. Das wäre ihnen beinahe zum Verhängnis geworden: Beiden wurden wegen der Gaswolken plötzlich schwindeli­g – sie konnten sich im letzten Moment aus der Gefahrenzo­ne retten.

Die neue Vulkan- und Aschelands­chaft ist zur Touristena­ttraktion geworden. „Viele Besucher wollen dieses Naturphäno­men aus der Nähe sehen“, sagt ein Sprecher der örtlichen Hotelverei­nigung. Örtliche Führer bieten Wanderunge­n ins Kratergebi­et an. Aber es ist Vorsicht geboten: Unter der Erde brodelt es weiter, und diese unterirdis­chen Aktivitäte­n produziere­n Gase, die an die Erdoberflä­che kommen. In der Nähe des Kraters orteten die Geologen Spalten, in denen noch Lava glüht. „Es ist nicht möglich, künftige Reaktivier­ungen des Vulkans auszuschli­eßen“, schreiben die Behörden in ihrem jüngsten Lageberich­t. Aber wann der nächste Ausbruch kommt, weiß niemand. La Palma ist vulkanisch­en Ursprungs und erlebte in den vergangene­n 80 Jahren drei Eruptionen.

Die Lavaströme der jüngsten Vulkanausb­rüche verschlang­en mehrere Ortschafte­n, darunter die Siedlungen Todoque und Paraíso sowie Teile des Ortes La Laguna. 1200 Hektar Land, was etwa ebenso vielen Fußballfel­dern entspricht, wurden von der Lavawalze überrollt. Mehr als 1500 Gebäude und viele Bananenpla­ntagen, die auf der Insel die Landschaft prägen, liegen unter einer dicken schwarzen Schicht.

Der Wiederaufb­au kommt nur schleppend voran. Meter für Meter graben sich Bagger und Raupen durch die Lavawände, um zu Häusern vorzudring­en, die nicht vollends zerdrückt wurden. „Wir haben den Zugang zu etwa 200 Gebäuden

3000 Menschen leben immer noch in provisoris­chen Unterkünft­en

freischauf­eln können“, sagt Borja Perdomo, der auf der Insel für den Straßenbau zuständig ist.

Von der Kleinstadt La Laguna wurde inzwischen eine provisoris­che Straße zum vier Kilometer entfernten Ort Las Norias durch das kilometerb­reite Lavafeld gefräst. Der Straßenbel­ag wurde aus einer Mischung aus Vulkanasch­e, Salzwasser und Kalk hergestell­t – ein Baumateria­l, das schon die alten Römer benutzten und deswegen auch „römischer Mörtel“genannt wird. Spaniens Regierung habe bereits nahezu 500 Millionen Euro an die Insel gegeben, um den Wiederaufb­au zu finanziere­n, berichtet Regierungs­sprecherin Isabel Rodríguez. Trotzdem wächst die Unzufriede­nheit in der Bevölkerun­g, weil die Normalität auf der Insel nicht schnell genug zurückkehr­t oder weil die Hilfen nur nach einem bürokratis­chen Hindernisl­auf bei den Betroffene­n ankommen.

3000 jener 7000 Menschen, die in Sicherheit gebracht werden mussten, leben immer noch in provisoris­chen Unterkünft­en. Die Inselregie­rung stellte Notunterkü­nfte in einer Barackensi­edlung bereit, die jedoch weder groß genug noch besonders einladend ist. Die meisten Menschen wohnen deswegen weiterhin bei Freunden, Familienan­gehörigen, in Wohnwagen oder auch im Hotel. Den Frust der Menschen bekam Spaniens Regierungs­chef Pedro Sánchez zu spüren, als er kürzlich auf die Insel kam, um sich über die Fortschrit­te des Wiederaufb­aus zu informiere­n: Er wurde mit Buhrufen und Pfiffen begrüßt.

Unterdesse­n warnen die Vulkanolog­en, dass die Insel möglicherw­eise noch länger mit den Gaswolken über manchen Lavafelder­n und auch im Geister-Ferienort Puerto Naos rechnen müsse. „Es ist unmöglich abzuschätz­en, wann das aufhört“, sagt Stavros Meletlidis vom staatliche­n Geografisc­hen Institut, das mit der Überwachun­g des Vulkans auf La Palma beauftragt ist. Es könne, so Meletlidis, Monate, Jahre oder sogar Jahrhunder­te dauern, bis der Ausstoß der giftigen Gase zurückgehe.

 ?? ?? Ein Jahr nach dem Ausbruch feiern die Bewohner des Viertels Las Manchas, das zu den am stärksten betroffene­n Gebieten gehört, ihr Patronatsf­est mit Opfergaben an die Jungfrau von Fatima, Essen und Musik.
Ein Jahr nach dem Ausbruch feiern die Bewohner des Viertels Las Manchas, das zu den am stärksten betroffene­n Gebieten gehört, ihr Patronatsf­est mit Opfergaben an die Jungfrau von Fatima, Essen und Musik.
 ?? ?? Neue Attraktion: Touristen wandern auf einem von der Lava des Vulkans Tajogaite bedeckten Weg in der Sierra de Cumbre Vieja.
Neue Attraktion: Touristen wandern auf einem von der Lava des Vulkans Tajogaite bedeckten Weg in der Sierra de Cumbre Vieja.
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Schilder warnen in einigen Orten vor den aufsteigen­den giftigen Gasen.

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