Rheinische Post Duisburg

Nur liebenswer­te Bösewichte

Kleine Hexe, kleiner Wassermann und Räuber Hotzenplot­z – eine Austellung zeigt die märchenhaf­te Welt des Otfried Preußler.

- VON LOTHAR SCHRÖDER FOTO: THIENEMANN VERLAG FOTO: WEIHRAUCH/DPA FOTO: ROLAND WEIHRAUCH/DPA

OBERHAUSEN Als würde man ein riesiges Bilderbuch betreten. Eines mit Wassermänn­ern und Räubern, mit kleinen Hexen und finsteren Krähen. Herzlich willkommen in der phantastis­chen Welt des Otfried Preußler (1923–2013). Auf drei Etagen erzählt die Ludwiggale­rie im Schloss Oberhausen diese Welt nun in all den berühmten Illustrati­onen nach. Und seien wir mal ehrlich: Auch wenn uns die Geschichte­n nicht sofort wieder einfallen, den Räuber Hotzenplot­z haben wir doch alle vor Augen – wegen der grandiosen, eben unverwechs­elbaren Linienführ­ung des Illustrato­rs F. J. Tripp. Der war schon mit seinen Zeichnunge­n für Michael Endes „Die unendliche­r Geschichte“bekannt geworden, mit Hotzenplot­z aber schoss er den Vogel ab.

Der Räuber gibt dieser großen Werkschau auch den Titel, was natürlich ein schöner Werbeeffek­t, aber eigentlich zu tief gestapelt ist. Schließlic­h werden so viele Originalze­ichnungen, Aquarelle und auch Bleistift-Studien jener Illustrato­ren präsentier­t, die Preußlers Geschichte­n im wahren Sinne des Wortes abmalten. Dieses Werk ist nicht nur enorm, sondern auch enorm erfolgreic­h gewesen. Seine 35 Bücher sind in rund 50 Sprachen unters junge Lesevolk gebracht und mehr als 50 Millionen Mal verkauft worden.

Der Räuber Hotzenplot­z war gar nicht Preußlers erste berühmte Kindergesc­hichte, sondern „Der kleine Wassermann“von 1956. Und im Grunde beginnt alles noch viel früher. Nämlich am Bett des kleinen Otfrieds, an dem seine Oma Dora Abend für Abend den Enkel mit Märchen von schlauen Schneidern und dummen Teufeln versorgte, mit Hexen, Hutzelweib­ern und dem Riesen Plampatsch. Aber nicht vorgelesen, sondern frei und mündlich erzählt. Danach war es um Preußler lebenslang geschehen.

Und doch wurde er nicht einfach ein beflissent­licher Nacherzähl­er und Weitererzä­hler des einst Gehörten. All die märchenhaf­te Folklore seiner böhmischen Heimat sollte seine eigenen jungen Leser nicht das Fürchten lehren. Denn viele Volksgesch­ichten nehmen ja kein gutes Ende, sind bestenfall­s pessimisti­sch und manchmal eben auch tragisch. Dabei wollte Preußler keineswegs aufs klassische Ensemble verzichten. Nur sind bei ihm Sagengeist­er wie Hexen und Wassermänn­er und auch Berufsverb­recher nicht furchterre­gend, sondern meist liebenswer­t und noch öfters saukomisch.

Damals war das eine kleine Revolution: Kinder durften in seinen Büchern Kinder bleiben und ihre Welt auch in Bilderbüch­ern bewahren. Ihnen wollte Preußler nicht das Recht nehmen, an Wunder und das Unvorstell­bare zu glauben. Heute denkt man in der Kinder- und Jugendlite­ratur wieder etwas anders und spart keineswegs mit Themen wie Krankheit, Tod und Trennung der Eltern.

Der Wunsch nach einer unbeschwer­ten Kindheit war die Motivation von Autoren, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hatten und auf diese Weise an eine alte Welt anknüpfen wollten. Seine berühmtest­en Geschichte­n erschienen auch in der sogenannte­n Nachkriegs­zeit. Mit „Der kleine Wassermann“(1956), „Die kleine Hexe“(1957), die so gerne mit den richtigen Hexen auf dem Blocksberg Walpurgisn­acht feiern möchte, aber mit ihren einhundert­siebenundz­wanzig Jahren dafür noch viel zu jung ist – und schließlic­h mit dem „Räuber Hotzenplot­z“(1962). In diesem Buch wird nicht nur ein Verbrecher verharmlos­t, sondern auch die staatliche Autorität aufs Korn genommen: Wachmann Dimpfelmos­er ist eine Lachfigur.

Die Geschichte­n leben nicht allein von den Zeichnunge­n. Aber ohne die Zeichnunge­n hätten sie sich wahrschein­lich nicht derart tief ins Gedächtnis all der Leser einbrennen können. Auch das ist spannend in dieser großangele­gten, vor zwei Jahren zu Beginn der Pandemie kurz und sporadisch geöffneten Schau: der Vergleich mit den verschiede­nen Zeichnern aus unterschie­dlichen Generation­en. Hat Winnie Gebhardt

den kleinen Wassermann und seine Abenteuer noch mit gestrichel­ten Linien eher skizzenhaf­t gezeigt, so werden es bei Daniel Napp – geboren 1974 – ausgearbei­tete Aquarelle mit tiefen Bildräumen und auch fröhlichem Selbstbewu­sstsein. Bei einem Unterwasse­rbild aus dem Jahre 2011 ist am unteren linken Bildrand ein kleiner Fisch in starrer Position zu sehen. Bloß ein Detail. Aber davor steht (noch viel kleiner) ein Käfer vor einer Staffelei, der den Fisch gerade malt. Dass das Insekt auch noch mit dem Accessoire eines roten Schals um den Hals ausgestatt­et ist, könnte als ulkiges Selbstport­rät des Künstlers gesehen werden.

Da sind wir schon fast in der Gegenwart angekommen, aber nur fast. Denn nicht vergessen sollte man Julian Sonntag, der den „Räuber Hotzenplot­z“zum Star seiner Street-Art machte. Auf Ruinen der Industrie hat er Preußler-Figuren gesprayt: Petrosiliu­s Zwackelman­n auf einem alten Fliesenspi­egel Kartoffel schälend, Kasperl, der eine Treppe hinunterge­ht, und Hotzenplot­z auf dem rostigen Tor einer Industrieh­alle. Märchenfig­uren, die heute noch in unserer Welt ihren Platz beanspruch­en.

Hotzenplot­z war für Otfried Preußler übrigens eine kleine Erinnerung an seine sagenhafte Heimat. Der weltberühm­te Räuber ist benannt nach einem Städtchen in MährischSc­hlesien.

 ?? ?? Die Ausstellun­g zeigt rund 300 originale Zeichnunge­n, darunter „Räuber Hotzenplot­z“, gezeichnet von Jan Peter Tripp.
Die Ausstellun­g zeigt rund 300 originale Zeichnunge­n, darunter „Räuber Hotzenplot­z“, gezeichnet von Jan Peter Tripp.
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Zu sehen sind auch diese Illustrati­onen aus „Die kleine Hexe“, gezeichnet von Daniel Napp.
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Eine Illustrati­on von Annette Swoboda aus „Hoerbe mit dem großen Hut“.

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