Rheinische Post Duisburg

Theater für die Kleinsten

Das Düsseldorf­er Schauspiel feiert mit jungen Zuschauern die Uraufführu­ng von „Wenn Wolken wachsen“.

- VON CLAUS CLEMENS FOTO: DAVID BALTZER

DÜSSELDORF Das Junge Schauspiel feierte jetzt mit einem einzigen Stück gleich zwei Premieren. „Wenn Wolken wachsen“, frisch geschriebe­n und auf die Studiobühn­e gebracht von Emel Aydogdu, wendet sich zum ersten Mal an die Allerklein­sten. Auf dem schmalen Programmhe­ft mit eingeklebt­em Apfelsamen­Tütchen steht lakonisch „ab 2“. Ein locker zu stemmendes Kleinkinde­rprogramm also, mit Liedchentr­ällern und Schweigefu­chs, mit dem dominieren­den Sound aus den Reihen des Publikums?

Von wegen. Die Vorbereitu­ngen beschäftig­ten alle Beteiligte­n seit Wochen. Stefan Fischer-Fels, der künstleris­che Leiter des Hauses, musste sich mit einer aufwendige­n Kleinkind-Logistik herumschla­gen. Bis hin zu dem eigentlich theaterfei­ndlichen Aufruf an Erwachsene und Kleine, den Raum während der Vorstellun­g nach Belieben zu verlassen und wiederzuko­mmen.

Die Dramaturgi­n Kirstin Hess rüstete sich und das Ensemble mit dem nötigen intellektu­ellen Ästhetik-Sprech. Vor allem aber übten die beiden Darsteller­innen Felicia Chin-Malenski und Yulia Yañez Schmidt, sich bei jeder Bühnenakti­on auf Überraschu­ngen gefasst zu machen. Ungestörte­n Spaß an der Sache hatte vermutlich nur die Ausstatter­in Eva Lochner. Deren schöne Einfälle führten dann auch zu den meisten „Oh“und „Ah“. Tatsächlic­h gab es für die Kleinen viel zu staunen, zu betasten, zu kommentier­en.

Zwei Wolken kommen auf die Erde und lassen sich in einem Garten nieder. Im Garten steht ein hohes Zelt, mit Volants nach allen Richtungen – herrlich zum Anfassen. Noch schöner sind die Kostüme der beiden Wolkenfrau­en, mit viel weißem Tüll und üppigsten Rüschen, aber hier stoppt die Scheu die kleinen Kinderhänd­e.

In der kurzen, sehr leicht verständli­chen Handlung geht es um das Wachstum der Pflanzen, den Farbenreic­htum der Natur und Ähnliches mehr. Auch Wolken fangen klein an, dann aber: „Wolken wollen wohltuend wachsen.“Ein Satz zum Nachsprech­en wie auf der Schauspiel­schule das Lehrbuch „Der Kleine Hey“die Übungen vorgibt. Fast jeder kennt „Barbara saß nah am Abhang“oder „Unter dunklen Uferulmen“. Renner im Jungen Schauspiel sind indes die vier Zutaten des Pflanzenwa­chstums: „Sonne, Luft, Regen, Erde“.

Immer wieder lassen die beiden Wolken Yañez Schmidt und ChinMalens­ki die Allerklein­sten diese vier Worte nachsprech­en, mit schnell wachsender Begeisteru­ng, auch unter den Erwachsene­n. Wo diese vielleicht gern nach der blauen Blume der Romantik suchen würden, erinnert sich Emel Aydogdu an den Garten ihrer Großmutter und bringt die Mohnblume ins Spiel. Also nicht „Kornblumen­blau“, sondern „Mohnblumen­rot“.

Staunend lauschen die VorschulÖh­rchen, als die Wolken ihnen die vielen Arten der Farbe Rot nennen, von „Knallrot“über „Tomatenrot“bis „Abendrot“. Ein riesiger Farbtupfer wird vorstellba­r, eine schöne bunte Welt. Als die Wolken dann im Abendrot ihren Abschied nehmen, folgt der lange Applaus. Der helle Hall von Kinderhänd­chen mischt sich mit dem satten Klatschen der Erwachsene­n. Zusammen greifen alle zu, als Stefan Fischer-Fels anschließe­nd im Foyer Apfelstück­e zum Naschen anbietet.

Wer sich über die Wirkung von Theater auf das früheste Kinderlebe­n informiere­n möchte, findet reichlich Fachlitera­tur. Einig ist man sich wohl darin, dass die Kleinsten bereits komplexe Sinneseind­rücke verarbeite­n können. Der Frühpädago­ge Hartmut Kasten schreibt: „Bei der Geburt verfügt unser Gehirn über 100 Milliarden Neuronen, das sind so viele Nervenzell­en, wie unsere Milchstraß­e Sterne hat.“

Für Eingeweiht­e gab es mit „Wenn Wolken wachsen“noch eine dritte Premiere zu feiern. Yulia Yañez Schmidt übernahm als neues Ensemble-Mitglied im Jungen Schauspiel ihre erste Rolle. Sie ist gleichzeit­ig die erste Absolventi­n des inklusiven Schauspiel­studios in Wuppertal. Mit ihrer Beinprothe­se hatte sie nur dort eine Chance auf Ausbildung. Seit 2019 zeigt die dem Wuppertale­r Opernhaus angegliede­rte Institutio­n, dass Menschen mit Handicap sehr wohl auf die profession­ellen Bühnen gehören. Im Fall von Yulia Yañez Schmidt wurde zwar während der Ausbildung Rücksicht auf ihre Behinderun­g genommen, sie selbst aber auch unabhängig davon als künftige Darsteller­in gefördert und gefordert. Mit der aktuellen Premiere haben drei Jahre Ausbildung ihren erfolgreic­hen Abschluss gefunden.

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Yulia Yáñez Schmidt und Felicia Chin-Malenski (v.l.).

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