Der Mensch unter Strom
Zeichnungen von Andreas Schmitten sind im Jacobihaus des Malkastens zu sehen.
DÜSSELDORF Andreas Schmitten (Jahrgang 1980) startete einst mit einer bunten Lego-Ästhetik in der Galerie Linn Lühn, machte durch den Umbau im Schmela-Haus und die Verwandlung des Wohnhauses von Peter und Irene Ludwig in eine knallige Barbie-Hütte von sich reden. Heute, da er von den mächtigen Galerien Schönewald und König vertreten und von Sammlern wie Gil Bronner gekauft wird, sucht er nach der Figur des Menschen, die ihm allerdings nicht ganz geheuer ist. Zur Eröffnung im Malkasten wurde sogar ein Drink in der Beuys-Bar für ihn gemixt.
Schmitten ist ein kluger Kopf, der zunächst den Magister in Kontinentalund analytischer Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität absolvierte, bevor er Meisterschüler von Georg Herold wurde. Tony Cragg, ein großer Fan, holte ihn 2022 in den Wuppertaler Skulpturenpark. Dort kontrastierten seine ausladenden, weißen Formen mit dem Grün der Natur. Erstmals zeigte er einen Kopf, der an Barlachs Schwebenden Engel im Dom zu Güstrow erinnerte. Doch anstatt dieses Thema weiterzuentwickeln, holte er für die aktuelle Schau seine Zeichnungen aus der Serie „Chimera Electrified“hervor, in denen er mit dem Pigmentstift den Körper auseinandernimmt.
Es sind schlichte Strichzeichnungen von Menschen oder Händen, sie wirken wie grafische Betriebsanleitungen. Die Anregungen nahm der
Künstler aus einem grafisch brillanten japanischen Kochbuch der 50er-Jahre, einem Lehrbuch zum Zerlegen von Fleisch und Fisch, alles ohne Blut. Schmittens Blätter im Malkasten demonstrieren Werkzeuge, die dem Menschen Schaden zufügen. Von einer Hand ist säuberlich ein Finger abgeschnitten. Eine Krawatte baumelt vom Stumpf. Einer Frau wird eine Stichsäge ans Genick gehalten. Ein Föhn schiebt sich in den Hinterkopf und tritt aus dem Mund hervor. Es wird das Kabel einer Computermaus durch die Kehle eines Mannes gebohrt. Derlei sadistische Anleitungen werden nüchtern dargeboten, die Brutalität der Handlungen wird von der Schlichtheit der Darstellungen überspielt.
Klar und sauber sind derlei Absurditäten. Glatte Oberflächen, smartes Design. Die Figur bleibt exemplarisch und anonym, der Körper in Scheiben zersägt und verletzt. Das Ganze erscheint wie ein Comic oder eine zeitgenössische Betrachtung eines chirurgischen Eingriffs. Der Schnitt als Denkfigur von Surrealisten wie Max Ernst, Man Ray, Luis Buñuel und Dalí lässt grüßen.
In die Gegenwart übersetzt, verweisen die Arbeiten auf die irrwitzig fehlgeleiteten Versuche, den Menschen mithilfe moderner Techniken in die nächsthöhere Form von Existenz zu bringen. Schmitten platziert seine Motive auf monochrome Pastellfarbflächen und demonstriert damit, wie der Mensch in eine „elektrifizierte Schimäre“verwandelt wird, um unter Strom all seine Behinderungen zu überstehen und voll funktionsfähig zu bleiben.