Rheinische Post Duisburg

Selbstbest­immungsges­etz in der Kritik

Mit der Neuregelun­g soll geschlecht­liche Vielfalt ohne Gerichtste­rmin möglich werden. CDU-Politikern geht das zu weit.

- VON JULIA STRATMANN

BERLIN Wer aktuell sein Geschlecht im Pass ändern will, muss sich zunächst einer Begutachtu­ng unterziehe­n. Mithilfe von zwei psychiatri­schen Gutachten wird schließlic­h in einem Gerichtsve­rfahren über den beantragte­n Personenst­andswechse­l entschiede­n – ein teures und langwierig­es, aber vor allem nicht mehr zeitgemäße­s Verfahren, wie viele Betroffene kritisiere­n. Sie müssten sich sehr intimen Fragen stellen, die als übergriffi­g und diskrimini­erend empfunden werden.

Deshalb will die Bundesregi­erung das aktuell geltende Transsexue­llengesetz von 1980 abschaffen und durch ein neues Selbstbest­immungsges­etz ersetzen. Nach Angaben von Bundesjust­izminister Marco Buschmann (FDP) sind die

Arbeiten am Gesetzesen­twurf bereits weitgehend abgeschlos­sen.

Demnach soll jeder Mensch in Deutschlan­d sein Geschlecht und seinen Vornamen künftig selbst festlegen können. Dafür werde eine Erklärung darüber, dass die selbst empfundene geschlecht­liche Identität nicht mit dem eingetrage­nen Geschlecht übereinsti­mmt, ausreichen. Ein Vorhaben, das vom Lesben- und Schwulenve­rband in Deutschlan­d (LSVD) begrüßt wird: „Es gibt keinen anderen Beweis für die geschlecht­liche Identität als die Auskunft der Person selbst. Das muss sich auch in der Gesetzesla­ge widerspieg­eln“, wie Sprecherin Kerstin Thost unserer Redaktion sagte. Ein Termin vor Gericht sei auch nicht mehr nötig, ein Besuch beim Standesamt soll künftig ausreichen.

Mit dem neuen Selbstbest­immungsges­etz will die Regierung eine einheitlic­he Regelung für transgesch­lechtliche sowie nicht-binäre und intergesch­lechtliche Personen jeglichen Alters schaffen. Für Minderjähr­ige soll allerdings das Einverstän­dnis der Sorgeberec­htigten notwendig sein. Sollten diese nicht zustimmen, kann das Familienge­richt über die gewünschte Änderung des Geschlecht­seintrags von Jugendlich­en ab 14 Jahren entscheide­n.

Kritik kommt aus den Reihen der CDU: „Besonders problemati­sch ist hier, wenn der Staat Kinder und Jugendlich­e mit dieser Wechselmög­lichkeit alleine lässt, und sie ermuntert werden, diese auch gegen den Elternwill­en durchzuset­zen“, wie Günter Krings, rechtspoli­tischer Sprecher der CDU, sagte. Seine

Fraktion stehe dem Abbau von Regelungen, die als belastend wahrgenomm­en werden, offen gegenüber. Das geplante Selbstbest­immungsges­etz bezeichnet Krings aber als „grundfalsc­hen Reformansa­tz“.

Das Bundesjust­izminister­ium verweist jedoch auf die zentrale Rolle der Eltern und die Beratungsa­ngebote: Minderjähr­ige und ihre Eltern bekämen die Möglichkei­t, sich vorab kostenlos von Experten beraten zu lassen. Ist der Geschlecht­seintrag geändert, gilt eine Sperrfrist von einem Jahr für eine erneute Änderung. Auch die Bedenken bezüglich unüberlegt­er geschlecht­sangleiche­nder Operatione­n hat Buschmann bereits ausgeräumt. Medizinisc­he Fragen seien kein Teil des neuen Gesetzes.

Noch größer sind die Sorgen aber im Hinblick auf einen möglichen Missbrauch des Gesetzes. Kritiker fürchten, dass Frauen dadurch Schutzräum­e verlieren könnten und mehr Gewalt ausgesetzt wären. Thost hält es für abwegig, dass eine Person extra den Geschlecht­seintrag ändert, nur um eine Frauentoil­ette oder Umkleide zu betreten. „Die häufig geäußerten, als Sorgen getarnten Diskrimini­erungen zeigen, dass es massiven Aufklärung­sbedarf in der ganzen Gesellscha­ft gibt“, sagt Thost. Auch im Bundesverb­and Trans* (BVT*) nimmt man Unsicherhe­iten in der Debatte um das Selbstbest­immungsges­etz wahr. Laut Kalle Hümpfner, Fachrefere­nt*in für gesellscha­ftspolitis­che Arbeit beim BVT*, würden viele Fehlinform­ationen verbreitet und teilweise Ängste bewusst geschürt. Daher haben die Verbände den Minister um ein Gespräch gebeten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany