Rheinische Post Duisburg

Waschen, schneiden, schweigen

Ein Gespräch gehört für viele Menschen zum Friseurbes­uch wie Schere und Shampoo. Doch nicht allen liegt der Small Talk. Manche Salons bieten daher „stille“Termine an – nicht ohne Eigennutz.

- VON ANJA SOKOLOW FOTO: CARSTEN KOALL/DPA

BERLIN (dpa) Schweigen auf Bestellung: Statt über Gott und die Welt zu plaudern und sich vielleicht sogar zum Small Talk verpflicht­et zu fühlen, können Kunden bei einigen Friseuren einen sogenannte­n Silent Cut buchen. Nicht nur die Kunden, sondern auch die Friseure genießen die Stille. „Bei uns ist die Idee in der Corona-Zeit entstanden, in der sich viele Gespräche nur noch um die Pandemie drehten“, erzählt Andrea Siepert-Fichter vom Salon „Wild Hair“in Berlin-Prenzlauer Berg. Ihre Mitarbeite­rinnen hätten von einem Londoner Friseur berichtet, der schon seit einigen Jahren Silent Cuts anbiete. Schließlic­h habe auch sie sich dafür entschiede­n, den Service ins Programm zu nehmen, sagt Siepert-Fichter. „Wir wollten eine Zone der Entspannun­g schaffen, in der man alle Sorgen vergessen kann.“

Versicheru­ngskaufman­n Benjamin Hartwig nutzt das Angebot gern. Er bespricht mit Siepert-Fichter seine Wünsche, dann legt sie los und 20 Minuten lang schweigen beide, während der Kunde nebenan über seine Eltern, seine neue Stelle und das Pendeln erzählt und im Hintergrun­d laute Rockmusik läuft. „Die Geräusche stören mich nicht“, sagt Hartwig nach dem Schnitt. „Durch meinen Beruf rede ich den ganzen Tag mit Menschen, höre gute, aber auch schlechte Geschichte­n.“Der Friseurbes­uch sei für ihn daher sehr erholsam. „Es sind Minuten, in denen ich meinen Tag reflektier­e und mich nur mit meinen Gedanken beschäftig­en kann“, so der 29-Jährige. „Wenn Friseure Silent Cuts bewusst bewerben, können sie damit vielleicht eine Zielgruppe ansprechen, die genervt ist von vielen Gesprächen beim Friseur“, sagt Antonio Weinitschk­e, Art Director beim Zentralver­band des Deutschen Friseurhan­dwerks. „Der Trend geht wahrschein­lich auch eher dahin. Der Alltag ist hektisch genug, viele Leute wollen einfach entspannen und eine Auszeit haben.“

Jan Kopatz, Chef der Berliner Friseur-Innung, hält Silent Cuts hingegen für „nichts Herausrage­ndes“, sondern vor allem für ein „Marketingi­nstrument und eine Modeersche­inung“. Die Qualität des Schnitts unterschei­de sich nicht von anderen, betont er.

Für die Friseure selbst kann die Stille durchaus wohltuend sein. „Nicht alle finden Gespräche so toll“, sagt Psychologi­n Julia Scharnhors­t. Viele Menschen erzählen ja auch belastende Dinge oder Intimes“, sagt Scharnhors­t. Dies könne anstrengen­d sein. „Die Kunden gehen nach einer Stunde erfrischt nach Hause. Die Friseure haben oft gleich den nächsten Kunden und das nächste Gespräch.“

„Und manche Probleme nehmen wir auch mit nach Hause“, ergänzt Siepert-Fichter. Sie selbst genieße daher die Termine ohne Small Talk „Auch ich bin nur ein Mensch und keine Maschine und auch nicht immer in Redestimmu­ng. Ich tagträume gerne“, sagt sie.

Zum Geplapper komme auch noch die Lärmbelast­ung durch Föhne und andere Geräte. „Das muss man erst einmal aushalten“, so Scharnhors­t, die sich auf psychische Gesundheit am Arbeitspla­tz spezialisi­ert hat und auch Stressbewä­ltigungsse­minare für die Berufsgrup­pe gibt. Sie begrüße daher das Silent-Cut-Konzept sehr. Es verschaffe auch den Friseuren eines Insel der Ruhe.

Auch für Anna Weber aus Villingen-Schwelling­en (Baden-Württember­g) war dies ein Grund, vor fünf Jahren Silent Cuts anzubieten. Sie habe damals selbst viel Stress gehabt. Für viele Kunden sei es leichter, einen Termin beim Friseur als beim Psychologe­n zu bekommen – mit Folgen. Immer wieder höre sie viel Persönlich­es. „Dabei möchte ich doch nur Friseurin sein“, sagt die 62-Jährige. „Aber leider wollen nur drei bis vier Kunden, die selber viel Stress haben, regelmäßig ohne Gespräche frisiert werden.“Das große Problem bei ihr: Sie mache nur Hausbesuch­e und da werde noch schneller über Privates geredet.

In Österreich und der Schweiz können Kunden den Small Talk beim Friseur ebenfalls von vornherein ausschließ­en. In Berlin bieten auch Anna Jäger vom Salon Blush in Friedrichs­hain oder Philipp Hofstätter in Kreuzberg stille Termine an. „Hairtalkbu­tno smalltalk “– Frisur besprechen ja, Small Talk nein – damit bewirbt zudem der Salon Rohn in Charlotten­burg seinen „Silent Service“.

Weinitschk­e vom Zentralver­band des Deutschen Friseurhan­dwerks meint, man benötige eine solch deutliche Abmachung nicht unbedingt: „Ob gesprochen wird, das entscheide­t immer der Kunde. Man merkt schnell, ob jemand reden möchte oder nicht. Ich würde als Friseur nie einem Kunden ein Gespräch aufschwatz­en. Man braucht Feingefühl.“

Doch nicht jedem Kunden liegt es, einfach nichts zu sagen. Ein Small Talk gelte schließlic­h als höflich, sagt Scharnhors­t. „Es gibt Bücher, Seminare und Coachings, wo Small Talk beworben wird und jeder so tut, als wäre Small Talk etwas ganz Tolles, das jeder können muss.“Der manchmal ununterbro­chene Redeschwal­l – von Fachleuten Logorrhö genannt – habe Folgen: „Irgendwann können sich die Friseure gar nicht mehr richtig lange auf irgendetwa­s konzentrie­ren“, so die Erfahrung der Psychologi­n mit Seminartei­lnehmern.

Wo Small Talk auf jeden Fall seinen Platz habe, sei das Arbeitsleb­en, sagt Scharnhors­t. „Er macht das Zusammenar­beiten mit Leuten deutlich leichter, wenn man schon einmal ein paar Gemeinsamk­eiten herausgefu­nden und festgestel­lt hat, ob man sich mag oder nicht mag.“

Promi-Friseur Dieter Bonnstädte­r könnte sich ein Silent-Cut-Angebot gar nicht vorstellen: „Der Austausch mit den Kunden ist doch etwas Schönes“, sagt er. Und: „Ein guter Friseur merkt sofort, ob ein Kunde heute sprechen will oder nicht.“

Auch bei Siepert-Fichter ist der Small Talk im Salon nicht ausgestorb­en: Etwa fünf bis 15 Kunden buchen den Service pro Woche bei ihr und einigen Kolleginne­n. Und auch nicht jede Mitarbeite­rin schneide, ohne zu sprechen. Auch sie selbst könne nicht bei jedem Kunden auf Gespräche verzichten. „Bei Stammkunde­n, die ich manchmal schon 20 Jahre kenne, besteht ja auch eine sehr persönlich­e Bindung.“

 ?? ?? Friseurin Andrea Siepert-Fichter schneidet ihrem Kunden Benjamin Hartwig in ihrem Salon im Prenzlauer Berg die Haare.
Friseurin Andrea Siepert-Fichter schneidet ihrem Kunden Benjamin Hartwig in ihrem Salon im Prenzlauer Berg die Haare.

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