Ein Team für schwerste Verkehrsunfälle
Die Kreispolizeibehörde Kleve hat seit Januar ein speziell geschultes „VU-Team“, das auch im Kreis Wesel im Einsatz ist. Die zehnköpfige Truppe kann auf moderne Technik wie Drohne und 3D-Scanner zurückgreifen.
NIEDERRHEIN Kommt es zu einem schweren Verkehrsunfall, wie zum Beispiel im Oktober in Rheurdt, als ein Familienvater und seine zwei Kinder starben, forscht die Polizei nach der Ursache. Ist ein Fahrfehler der Grund für den Unfall gewesen? War es überhöhte Geschwindigkeit? Oder womöglich technisches Versagen? Fragen, die an einem Unfallort selten schnell zu beantworten sind. Umso wichtiger ist es, dass die Polizei möglichst detailliert die Spuren an der Unfallstelle dokumentiert. Gibt es Bremsspuren? Gibt es Zeugen? Gibt es technische Daten, die man aus den Fahrzeugen auslesen kann? Vieles gilt es zu berücksichtigen, um die Ursache eines Unfalls zu klären.
Die Kreispolizeibehörde Kleve hat für die Aufnahme schwerster Verkehrsunfälle – insbesondere für Unfälle mit Todesopfern – nun ein sogenanntes „VU-Team“, das auch im Kreis Wesel im Einsatz sein wird. „VU“steht für „Verkehrsunfallaufnahme“, und bedeutet genau das: Das Team rückt bei schwersten Verkehrsunfällen aus und dokumentiert am Unfallort möglichst viel, das für die Analyse des Unfalls – und gegebenenfalls auch für die Klärung der Schuldfrage – von Bedeutung sein könnte.
Nordrhein-Westfalen will das Konzept der VU-Teams landesweit etablieren. Das Ziel: 17 der insgesamt 47 Polizeibehörden in NRW sollen bald über ein VU-Team verfügen. Die ersten sechs Teams nahmen Anfang 2022 ihre Arbeit auf, Anfang dieses Jahres folgten die nächsten acht Teams, darunter auch das Klever VU-Team, das seinen Sitz in Geldern hat. In den vergangenen Monaten wurden die zehn Mitglieder des Teams intensiv geschult und nahmen am 1. Januar ihre Arbeit auf. Das zehnköpfige Team besteht aus Leiterin Christina Rabs, Stellvertreter Boris Weber, drei weiblichen und zwei männlichen Beamten sowie drei Kfz-Meistern, die als zivile Regierungsbeschäftigte für die Behörde arbeiten. „Es ist ein tolles Team geworden, hoch motiviert. Ich bin sehr stolz darauf“, sagt Polizeioberrat Achim Jaspers, Leiter der Direktion Verkehr bei der Kreispolizeibehörde Kleve. Ein extra Fahrzeug, das auch die technischen Gerätschaften transportiert, holte die Kreispolizei am 23. Dezember in Kiel ab.
Zur Arbeit des VU-Teams gehört der Einsatz moderner Ausrüstung: So wurden Mitglieder des Teams im Umgang mit Drohnen geschult und können diese künftig einsetzen, um aus großer Höhe und zentimetergenau Aufnahmen eines Unfallortes anzufertigen. Zudem verfügt die Truppe über einen 3D-Scanner (Kostenpunkt: gut 30.000 Euro). „Mit dem 3D-Scanner lassen sich Unfallorte millimetergenau und dreidimensional erfassen“, erklärt Jaspers. Schon die Drohnen, die in Kleve auch vor der Gründung des VU-Teams bereits eingesetzt wurden, seien für die Unfallaufnahme ein Quantensprung gewesen, sagt Jaspers. „Der 3D-Scanner toppt das Ganze noch.“
Auch gespeicherte Fahrzeugdaten kann das VU-Team auslesen, und die liefern zunehmend Erkenntnisse über Unfallhergänge. Denn vor allem moderne Fahrzeuge verfügten mittlerweile häufig über einen Datenrekorder, der im Falle zum Beispiel einer Kollision des Fahrzeuges Daten der letzten fünf Sekunden vor dem Unfall und einiger Sekunden nach dem Unfall abspeichert – vergleichbar mit einer „Black Box“im Flugzeug. „Da werden verschiedene Parameter aufgezeichnet, zum Beispiel die Geschwindigkeit des Fahrzeuges, die Lenkradstellung, oder wie stark das Gaspedal gedrückt wurde“, erklärt Achim Jaspers. So lasse sich überprüfen, ob das, was ein Unfallbeteiligter zu einem Unfallhergang sagt, auch mit der Dokumentation übereinstimmt. „Wenn zum Beispiel jemand sagt, dass er vor dem Unfall noch gebremst hat, dann können wir das anhand der gespeicherten Daten überprüfen“, erklärt der Leiter der Direktion Verkehr.
Eine Rolle spielte bei der Schulung auch der Umgang mit belastenden Unfallszenarien. Auch nach den Schulungen habe man das Thema der „psychosozialen Unterstützung“der Beamten weiter auf dem Schirm, sagt Jaspers – so gebe es regelmäßig Nachbesprechungen, außerdem Beratungs- und Unterstützungsangebote.
Das Kreis Klever VU-Team ist nicht nur für den Kreis Kleve zuständig, sondern rückt auch in andere Kreise und Städte aus – denn nicht für jede Polizeibehörde ist ein eigenes VU-Team vorgesehen. So hatte die Klever Truppe bereits Einsätze in Krefeld und Viersen. Wer rausfährt, hängt davon ab, wer am schnellsten vor Ort sein kann. Zudem unterstützen sich die VU-Teams gegenseitig. Im Kreis Kleve hatte das neue VUTeam
seit Jahresbeginn drei Einsätze – darunter den schweren Unfall am 12. Januar auf der Gocher Landstraße in Bedburg-Hau, Kreuzung Berufskolleg. Dort war eine 51-jährige Frau mit ihrem VW Golf in den Gegenverkehr geraten und mit einem Lkw kollidiert.
Ziel der VU-Teams sei es, bei der Unfallaufnahme eine höhere Qualität zu erreichen, von der dann auch die Staatsanwaltschaft und Sachverständige profitieren, sagt der Leiter der Direktion Verkehr. „Es geht darum, zu klären, warum ein Unfall passiert ist.“Denn so schicksalhaft ein schwerer, vielleicht gar tödlicher Unfall auch erscheinen mag – „das Zustandekommen ist in den seltensten Fällen Schicksal. Und jedes Leben, das auf den Straßen verloren geht, ist eines zu viel“, sagt Achim Jaspers.