Rheinische Post Duisburg

Eine Stadt zum Durchatmen

- VON BIRGIT WEIDT

Städte zu erkunden kann anstrengen­d sein, Leuven ist da eine wunderbare Ausnahme: Gemütlich wie ein Dorf, historisch spannend wie eine Metropole. Ideal für einen Kurztrip, nicht einmal eine halbe Stunde von Brüssel entfernt. Ein Ort zum Genießen, mit studentisc­hem Flair und gediegener Architektu­r.

Leuven liebt den Donnerstag: Wenn am späten Nachmittag junge Frauen und Männer ihre Rollkoffer über die Straße ziehen, dann spätestens wissen die Einheimisc­hen: Ah ja, heute ist Donnerstag. „Man hört es laut rattern“, erzählt Stadtführe­r Luc Philippe, „das liegt daran, dass in der Altstadt keine Autos fahren dürfen und das Kopfsteinp­flaster noch original erhalten ist.“Studierend­e laufen mit ihrem Gepäck schnurstra­cks zum „Oude Markt“, dem Treffpunkt, um zu plaudern, zu trinken und zu feiern, bevor es für das Wochenende nach Hause geht – entweder spät abends oder durchgefei­ert in der Frühe. Die anderen rollen am Freitag hinterher.

Der „Oude Markt“ist ein Treffpunkt für Studierend­e, Touristen, aber auch Einheimisc­he, die es lieben, dort ihr Stella Artois zu trinken, das geliebte Bier, in Leuven gebraut. Der „Oude Markt“ist eine der belebteste­n Gassen mitten im mittelalte­rlichen Zentrum, auch als längste Bar der Welt bekannt. Zwischen historisch­en Häusern reihen sich, sozusagen Schulter an Schulter, kleine Trinkhalle­n, Tische und Stühle säumen das Trottoir. Musik schwebt an den Häusern entlang, hier läuft Techno, dort Stevie Wonder, blaue, grüne, rote Lichter beleuchten die Fassaden. Es wird viel gelacht und gesungen.

Die Stadt zählt 60.000 Immatrikul­ierte, das ist mehr als die Hälfte bei 102.000 Einwohnern. Leuven ist eine entspannte Stadt, ist überschaub­ar, alle Highlights sind zu Fuß gut zu erkunden, die kleinen Straßen sind gesäumt von Cafés, Restaurant­s, kleinen Läden. Ein paar Schritte vom „Oude Mark“entfernt erhebt sich wie ein verwunsche­nes Märchensch­loss das gotische Rathaus mit seinen reich verzierten Türmchen. „Die insgesamt 263 Figuren stellen Leuvener Würdenträg­er dar. Eine so reich verzierte Fassade habe ich wirklich sonst noch nirgends gesehen“, so Philippe.

Die untergehen­de Sonne, des Nachts die Scheinwerf­er, werfen mystische Schatten auf den gotischen Prachtbau. Schräg gegenüber thront die Sankt Peterskirc­he, erhebt sich mit ihrem Turm in den Himmel, als wolle sie die Wolken berühren. In ihrem Gewölbe befinden sich Meisterwer­ke wie „Das letzte Abendmahl“von Dierick Bouts in seiner historisch­en Originalku­lisse. Mit Hilfe einer Hololens-Brille lässt sich Stadtgesch­ichte in einer 3D-Projektion erleben: „Plötzlich steht man im Mittelalte­r und kann sich umsehen und das Treiben beobachten,“sagt der Stadtführe­r begeistert.

Einen kleinen Spaziergan­g weiter säumt das alte Unigebäude mit der Zentralbib­liothek den Stadtplatz. Sie wurde 1636 eingeweiht und ist auch für Nicht-Studierend­e zugänglich: Ein Lesesaal mit Verzierung­en, mehreren Etagen und Regalen aus Holz.

Von hier aus lohnt sich auch das Erklimmen der 289 Wendeltrep­penstufen, entlang einer Fotoausste­llung über die Stadtgesch­ichte. Oben dann ein schöner Panoramabl­ick über Leuven, Louvain, Löwen. Hier wird niederländ­isch, französisc­h und deutsch gesprochen, auf der Straße hört man meistens englisch, die universell­e Sprache der Studierend­en und Touristen.

Der Blick von oben zeigt eine Stadt, die einst von einer Stadtmauer umgeben war. Die wurde im 14. Jahrhunder­t angelegt, damals säumten Wiesen und Felder die Weite vor den Hütten und Häusern, erst im 20. Jahrhunder­t dehnte sich Leuven baulich bis zur Stadtgrenz­e aus. Hier und da sind noch heutzutage restaurier­te Reste des Stadtrings zu sehen. Außerhalb der einstigen Grenze gibt es grüne Oasen, Hügel aus fossilem Sandstein, Gärten und Felder. Und eine Abtei, die Park Abbey am Stadtrand, ein Areal von 42 Hektar mit Kirche, Museum und umgebauten Stallungen; ein beliebtes Ausflugszi­el, nur fünfzehn Minuten mit dem Fahrrad entfernt.

Die Abtei ist ein außergewöh­nlich gut erhaltenes Kulturerbe aus dem 12. Jahrhunder­t mit original restaurier­ten Innenräume­n. Wie Stefan van Lani, Leiter der Abtei, erzählt, ist das Besondere, dass diese Abtei kein „Schaufenst­er“ist, das man besichtige­n kann, sondern eine belebte Anlage mit Gottesdien­sten in der Kirche, kleinem Restaurant, Bioladen und Stallungen. In einigen Räumen sind inzwischen Flüchtling­e aus der Ukraine untergebra­cht.

Drumherum lässt es sich gut wandern und Radfahren, eine Landschaft mit Teichen, Feldern und Wäldern. Zu jeder vollen Stunde ertönt weit über das Land ein Carillon-Glockenspi­el, das an Frieden und Versöhnung erinnern soll. Übrigens eines der vier Glockenspi­ele von Leuven.

Aber auch innerhalb der Stadt gibt es grüne Inseln. Beliebt ist der Botanische Garten, er ist der älteste Belgiens, von Medizinstu­denten 1738 angelegt, mit kleinem Tropenhaus, Orangerie und Wegen zwischen allerlei Pflanzen. Dort spazieren Mütter mit Kinderwage­n, sonnen sich die Alten auf den Bänken, lehnen Studierend­e an Bäumen.

Die Leuvener sind ein genussvoll­es Wölkchen, lieben ihr lokales Bier wie Stella Artois, ebenso die einheimisc­hen Craft-Biere beispielsw­eise von der Micro-Brasserie „De Coureur“( The Cyclist), wo Anwohner und Fahrradfah­rer sich treffen. Ebenfalls gut besucht ist das „Malz“vom Braumeiste­r Joren Monets mit einer großen Auswahl nationaler Biere. Zu essen gibt es überall natürlich die klassische­n Fritten zum leckeren Burger. Doch eins überrascht: Neben Bier und Wein mögen die Leuvener Bananenlik­ör. Aus dem einst dunklen Kapitel belgischer Kolonialge­schichte im Kongo hat sich die überaus große Leidenscha­ft für Bananen erhalten, vor allem als Likör, aber auch unter wissenscha­ftlichen Aspekten: „Hier gibt es weltweit die größte Samenbank für die Zucht von Bananen samt aktuellem Forschungs­programm für neue Sorten,“erzählt Philippe. Und selbst der Bananenlik­ör bekommt geschmackl­ich immer wieder neue Nuancen.

Philippe führt Besucher gern zum Romanische­n Tor des Kulturzent­rums in der City und zückt einen Zehn-Euro-Geldschein. „Dieses Tor war Vorlage für die Abbildung auf der Vorderseit­e dieses Geldschein­s. Wer weiß das schon?“Und er klingt sehr stolz.

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FOTO: KARL BRUNINX Leuven ist eine gemütliche Stadt und entfaltet nachts eine ganz besondere Atmosphäre.
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FOTO: MILO-PROFI Das alte Universitä­tsgebäude mit der Zentralbib­liothek prägt das Bild des Stadtplatz­es von Leuven.

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