„Vorgehen triggert kollektives Trauma der Stadt“
Der industriepolitische Sprecher der Grünen und Duisburger Abgeordnete fordert bei Thyssenkrupp Klarheit für die Zukunft.
Herr Banaszak, Sie sind industriepolitischer Sprecher Ihrer Fraktion. Wie sehr ärgert Sie es, was gerade bei Thyssenkrupp passiert?
FELIX BANASZAK Es ist gerade eine sehr kritische Situation. Nach der Förderzusage für die Direktreduktionsanlage war in der Belegschaft ein echtes Aufatmen spürbar. Zum ersten Mal seit Jahren gab es eine Aufbruchstimmung, weil alle wussten: Auch der Staat glaubt daran, dass die Transformation zu klimaneutralem Stahl klappt, dass der Stahl in Duisburg eine Zukunft hat. Jetzt erleben wir einen Rückschlag.
Der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky ist in den Konzern eingestiegen, die Gewerkschaften fühlen sich übergangen. Welche Pläne Kretinsky mit Thyssenkrupp hat, ist unklar.
BANASZAK Dieser ganze Vorgang hat die gute Stimmung zerstört. In der Belegschaft ärgern sich viele darüber, wie der Verkaufsprozess abläuft. Die Stahlarbeiter haben das Gefühl: Das wird alles über ihre Köpfe hinweg entschieden. Die Konzernspitze um Miguel Angel Lopez Borrego schafft einfach Tatsachen. Damit hat diese Region und insbesondere Duisburg keine guten Erfahrungen gemacht. Das Vorgehen triggert ein kollektives Trauma der Stadt. Es zeigt, dass Herr Lopez offenbar die Gepflogenheiten der Mitbestimmung in der Montanindustrie nicht verinnerlicht hat.
Wussten Sie in Berlin eigentlich von den Plänen Kretinskys?
BANASZAK Dass es Gespräche zwischen ihm und dem Konzern gab, war ja seit Oktober bekannt. Aber wirklich konkret war das alles nie. Der bevorstehende Abschluss der Verhandlungen war nicht breit bekannt, zumindest in der Politik nicht. Darum geht es mir aber gar nicht. Der Zeitpunkt war einfach unglücklich.
Warum?
BANASZAK Im April hat Thyssenkrupp angekündigt, die Produktionskapazitäten anzupassen, weil die Anlagen nicht ausgelastet sind. Wie genau das aussehen wird und wie viele Arbeitsplätze bedroht sein könnten, das hat der Konzern nicht mitgeteilt. Zwei Wochen später kommt plötzlich Bewegung in die Verkaufsfrage. Da ist doch davon auszugehen, dass Herr Kretinsky nur auf ein solches Signal gewartet hat und nun mitreden will. Welche Vorstellungen er für das Unternehmen hat, ob die Standorte sicher sind, ob betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sind – all das wissen die Beschäftigen nicht. Auch nicht, wie viel Geld er in Zukunft investieren will. Das ist alles sehr unbefriedigend.
Wäre es nicht die Aufgabe von der Politik, dann härter auf den Tisch zu schlagen? Erst recht, wenn der Bund schon eine Summe von zwei Milliarden Euro nach Duisburg gegeben hat?
BANASZAK Wir mischen uns ein. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat bei der Demonstration im Namen der gesamten Bundesregierung noch einmal klar die Anforderungen benannt. Die Frage ist aber: Sollten wir jetzt öffentlich drohen? Wenn jetzt ein Politiker sagt: „Liebe Leute bei Thyssenkrupp, wenn dies oder jenes nicht passiert, dann geben wir nie wieder Geld in die Stahlindustrie!“, ist das einfach unglaubwürdig. Es gab Gespräche mit dem Konzern, aus denen ich nicht zitieren werde. Aber lassen Sie es mich so sagen: Danach hatte ich nicht weniger, sondern eher mehr offene Fragen.
Sie hätten doch damals vereinbaren können, dass die Direktreduktionsanlage nur finanziert wird, wenn dafür keine Beschäftigten entlassen werden.
BANASZAK Die Förderung ist an den Standort und den Bau der Anlage geknüpft, aber solche Klauseln haben auch Grenzen im europäischen Recht. Das war ja kein willkürlicher Akt, sondern es musste ein Beihilfe-Verfahren bei der Europäischen Union geführt werden. Deshalb hat das auch alles so lange gedauert. Wenn man ehrlich ist, hat aber auch die neue Anlage nicht viel mit der aktuellen Situation und dem Stellenabbau zu tun.
Nein?
BANASZAK Die Anpassung der Kapazitäten ist völlig unabhängig von der Transformation. Die Stellen sollen ja zu einem Zeitpunkt abgebaut werden, zu dem die neue Anlage noch gar nicht in Betrieb ist. Im Gegenteil: Es ist die Produktion von „grauem“Stahl, die im internationalen Wettbewerb gerade unter Druck gerät. Niemand kann versprechen, dass jeder Arbeitsplatz in der deutschen Stahlindustrie eins zu eins erhalten wird – und die Investitionen in grünen Stahl sind die große Chance, dass es hier überhaupt noch Stahlproduktion geben wird.
Jetzt klingen Sie ein bisschen wie die FDP.
BANASZAK Im Gegenteil. Wir brauchen eine stark aufgestellte deutsche Stahlindustrie, allein, damit wir nicht komplett abhängig werden von anderen Ländern. Stahl ist der Beginn beinahe jeder Wertschöpfung. Deshalb geben wir da auch einiges an öffentlichem Geld rein. Aber ob es mit dieser grünen Transformation gelingt, dass am Ende sogar mehr Stahl als heute in Duisburg produziert wird, weiß ich nicht.
Wie soll es also in Zukunft weitergehen?
BANASZAK Wir brauchen jetzt ein klares Bekenntnis des Thyssenkrupp-Konzerns zum Stahlstandort Duisburg – und dazu gehören übrigens auch die HKM im Süden der Stadt. Es darf keine betriebsbedingten Kündigungen geben und die Beschäftigten erwarten zu Recht, auf Augenhöhe in die Planungen einbezogen zu werden. Und wir werden uns auch von Bundes- und Landesseite einbringen und unsere Erwartungen formulieren. Es wäre aber eine naive Vorstellung, dass die Politik über Förderbescheide nun sagen kann, wie ein Unternehmen in zehn Jahren genau auszusehen hat. Wenn das so wäre, hätten wir auch die Misere mit Galeria Kaufhof nicht gehabt.
Zuletzt war auch das Engagement mit China wieder Thema in Duisburg. In Düsseldorf wurde ein Ehepaar festgenommen, das für den chinesischen Geheimdienst spioniert haben soll. Kontakte gab es offenbar auch an die Uni Duisburg-Essen. Hat Sie das überrascht?
BANASZAK Nein, ganz und gar nicht. Duisburg hat an so vielen Stellen auf die Kooperation mit China gesetzt, da wäre es ja ein großer Zufall, wenn ausgerechnet wir von all dem verschont blieben, was schiefgehen kann. Wissenschafts- und Forschungsspionage steht schon lange auf dem Zettel der Nachrichtendienste. In Duisburg hat man sich leider bis heute nicht dazu durchringen können, einen aufgeklärteren Umgang mit den Verbindungen nach China zu finden. Die große Naivität gegenüber diesem Regime, die die deutsche Politik über eine lange Zeit gekennzeichnet hat, ist hier noch einmal stärker ausgeprägt.
Was muss sich ändern?
BANASZAK Eins vorab: Einen Generalverdacht gegenüber allen Chinesen, die hier leben, studieren und arbeiten, darf es nicht geben. Diese Debatte hat in Teilen einen rassistischen Unterton bekommen, der dieser Stadt nicht gut anstehen würde. Aber man wird sich anschauen müssen, welche Personen an welcher Stelle Zugang zu sensiblen Informationen haben. Das gilt vor allen Dingen an Universitäten, deren Forschung auch militärisch verwendet werden kann. Wir müssen damit rechnen, dass China in dieser geopolitischen Lage nicht nur gute Motive hat und auch geheimdienstliche Mittel einsetzt. Spione für China gibt es vermutlich nicht nur im Büro des AfD-Spitzenkandidaten zur Europawahl.
Die Stadt behauptet unterdessen, man habe das Engagement mit China ja schon zurückgefahren. Etwa am Hafen, wo der chinesische Staatskonzern Cosco nicht mehr beteiligt ist.
BANASZAK Entscheidend ist ja am Ende der Umgang mit dieser Kooperation. Im Jahr 2014 erzählte die Stadt die Geschichte ausschließlich positiv, sogar nahezu euphorisch. Duisburg, die China-Stadt Europas, wir sind wieder wer! Heute trifft das allerdings auf keine große Resonanz mehr, deshalb hört man das weniger. Mit den Geschäftspartnern will man es sich jedoch selbstverständlich trotzdem nicht verscherzen. Wenn das Thema gerade wieder negativ in der Presse auftaucht, hört man hier wenig dazu. Zieht der Sturm dann vorüber, schaut man sich pragmatisch an, was man doch noch alles hinbekommen kann. Zuletzt war ja auch der Oberbürgermeister wieder mit einer Delegation im chinesischen Wuhan unterwegs. Man kann diese Gespräche ja führen – aber vielleicht wäre es dann langsam mal angesagt, die Grundlagen der Kooperation offen und transparent zu diskutieren.