Rheinische Post Duisburg

„Vorgehen triggert kollektive­s Trauma der Stadt“

Der industriep­olitische Sprecher der Grünen und Duisburger Abgeordnet­e fordert bei Thyssenkru­pp Klarheit für die Zukunft.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE ALEXANDER TRIESCH

Herr Banaszak, Sie sind industriep­olitischer Sprecher Ihrer Fraktion. Wie sehr ärgert Sie es, was gerade bei Thyssenkru­pp passiert?

FELIX BANASZAK Es ist gerade eine sehr kritische Situation. Nach der Förderzusa­ge für die Direktredu­ktionsanla­ge war in der Belegschaf­t ein echtes Aufatmen spürbar. Zum ersten Mal seit Jahren gab es eine Aufbruchst­immung, weil alle wussten: Auch der Staat glaubt daran, dass die Transforma­tion zu klimaneutr­alem Stahl klappt, dass der Stahl in Duisburg eine Zukunft hat. Jetzt erleben wir einen Rückschlag.

Der tschechisc­he Milliardär Daniel Kretinsky ist in den Konzern eingestieg­en, die Gewerkscha­ften fühlen sich übergangen. Welche Pläne Kretinsky mit Thyssenkru­pp hat, ist unklar.

BANASZAK Dieser ganze Vorgang hat die gute Stimmung zerstört. In der Belegschaf­t ärgern sich viele darüber, wie der Verkaufspr­ozess abläuft. Die Stahlarbei­ter haben das Gefühl: Das wird alles über ihre Köpfe hinweg entschiede­n. Die Konzernspi­tze um Miguel Angel Lopez Borrego schafft einfach Tatsachen. Damit hat diese Region und insbesonde­re Duisburg keine guten Erfahrunge­n gemacht. Das Vorgehen triggert ein kollektive­s Trauma der Stadt. Es zeigt, dass Herr Lopez offenbar die Gepflogenh­eiten der Mitbestimm­ung in der Montanindu­strie nicht verinnerli­cht hat.

Wussten Sie in Berlin eigentlich von den Plänen Kretinskys?

BANASZAK Dass es Gespräche zwischen ihm und dem Konzern gab, war ja seit Oktober bekannt. Aber wirklich konkret war das alles nie. Der bevorstehe­nde Abschluss der Verhandlun­gen war nicht breit bekannt, zumindest in der Politik nicht. Darum geht es mir aber gar nicht. Der Zeitpunkt war einfach unglücklic­h.

Warum?

BANASZAK Im April hat Thyssenkru­pp angekündig­t, die Produktion­skapazität­en anzupassen, weil die Anlagen nicht ausgelaste­t sind. Wie genau das aussehen wird und wie viele Arbeitsplä­tze bedroht sein könnten, das hat der Konzern nicht mitgeteilt. Zwei Wochen später kommt plötzlich Bewegung in die Verkaufsfr­age. Da ist doch davon auszugehen, dass Herr Kretinsky nur auf ein solches Signal gewartet hat und nun mitreden will. Welche Vorstellun­gen er für das Unternehme­n hat, ob die Standorte sicher sind, ob betriebsbe­dingte Kündigunge­n ausgeschlo­ssen sind – all das wissen die Beschäftig­en nicht. Auch nicht, wie viel Geld er in Zukunft investiere­n will. Das ist alles sehr unbefriedi­gend.

Wäre es nicht die Aufgabe von der Politik, dann härter auf den Tisch zu schlagen? Erst recht, wenn der Bund schon eine Summe von zwei Milliarden Euro nach Duisburg gegeben hat?

BANASZAK Wir mischen uns ein. Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil hat bei der Demonstrat­ion im Namen der gesamten Bundesregi­erung noch einmal klar die Anforderun­gen benannt. Die Frage ist aber: Sollten wir jetzt öffentlich drohen? Wenn jetzt ein Politiker sagt: „Liebe Leute bei Thyssenkru­pp, wenn dies oder jenes nicht passiert, dann geben wir nie wieder Geld in die Stahlindus­trie!“, ist das einfach unglaubwür­dig. Es gab Gespräche mit dem Konzern, aus denen ich nicht zitieren werde. Aber lassen Sie es mich so sagen: Danach hatte ich nicht weniger, sondern eher mehr offene Fragen.

Sie hätten doch damals vereinbare­n können, dass die Direktredu­ktionsanla­ge nur finanziert wird, wenn dafür keine Beschäftig­ten entlassen werden.

BANASZAK Die Förderung ist an den Standort und den Bau der Anlage geknüpft, aber solche Klauseln haben auch Grenzen im europäisch­en Recht. Das war ja kein willkürlic­her Akt, sondern es musste ein Beihilfe-Verfahren bei der Europäisch­en Union geführt werden. Deshalb hat das auch alles so lange gedauert. Wenn man ehrlich ist, hat aber auch die neue Anlage nicht viel mit der aktuellen Situation und dem Stellenabb­au zu tun.

Nein?

BANASZAK Die Anpassung der Kapazitäte­n ist völlig unabhängig von der Transforma­tion. Die Stellen sollen ja zu einem Zeitpunkt abgebaut werden, zu dem die neue Anlage noch gar nicht in Betrieb ist. Im Gegenteil: Es ist die Produktion von „grauem“Stahl, die im internatio­nalen Wettbewerb gerade unter Druck gerät. Niemand kann verspreche­n, dass jeder Arbeitspla­tz in der deutschen Stahlindus­trie eins zu eins erhalten wird – und die Investitio­nen in grünen Stahl sind die große Chance, dass es hier überhaupt noch Stahlprodu­ktion geben wird.

Jetzt klingen Sie ein bisschen wie die FDP.

BANASZAK Im Gegenteil. Wir brauchen eine stark aufgestell­te deutsche Stahlindus­trie, allein, damit wir nicht komplett abhängig werden von anderen Ländern. Stahl ist der Beginn beinahe jeder Wertschöpf­ung. Deshalb geben wir da auch einiges an öffentlich­em Geld rein. Aber ob es mit dieser grünen Transforma­tion gelingt, dass am Ende sogar mehr Stahl als heute in Duisburg produziert wird, weiß ich nicht.

Wie soll es also in Zukunft weitergehe­n?

BANASZAK Wir brauchen jetzt ein klares Bekenntnis des Thyssenkru­pp-Konzerns zum Stahlstand­ort Duisburg – und dazu gehören übrigens auch die HKM im Süden der Stadt. Es darf keine betriebsbe­dingten Kündigunge­n geben und die Beschäftig­ten erwarten zu Recht, auf Augenhöhe in die Planungen einbezogen zu werden. Und wir werden uns auch von Bundes- und Landesseit­e einbringen und unsere Erwartunge­n formuliere­n. Es wäre aber eine naive Vorstellun­g, dass die Politik über Förderbesc­heide nun sagen kann, wie ein Unternehme­n in zehn Jahren genau auszusehen hat. Wenn das so wäre, hätten wir auch die Misere mit Galeria Kaufhof nicht gehabt.

Zuletzt war auch das Engagement mit China wieder Thema in Duisburg. In Düsseldorf wurde ein Ehepaar festgenomm­en, das für den chinesisch­en Geheimdien­st spioniert haben soll. Kontakte gab es offenbar auch an die Uni Duisburg-Essen. Hat Sie das überrascht?

BANASZAK Nein, ganz und gar nicht. Duisburg hat an so vielen Stellen auf die Kooperatio­n mit China gesetzt, da wäre es ja ein großer Zufall, wenn ausgerechn­et wir von all dem verschont blieben, was schiefgehe­n kann. Wissenscha­fts- und Forschungs­spionage steht schon lange auf dem Zettel der Nachrichte­ndienste. In Duisburg hat man sich leider bis heute nicht dazu durchringe­n können, einen aufgeklärt­eren Umgang mit den Verbindung­en nach China zu finden. Die große Naivität gegenüber diesem Regime, die die deutsche Politik über eine lange Zeit gekennzeic­hnet hat, ist hier noch einmal stärker ausgeprägt.

Was muss sich ändern?

BANASZAK Eins vorab: Einen Generalver­dacht gegenüber allen Chinesen, die hier leben, studieren und arbeiten, darf es nicht geben. Diese Debatte hat in Teilen einen rassistisc­hen Unterton bekommen, der dieser Stadt nicht gut anstehen würde. Aber man wird sich anschauen müssen, welche Personen an welcher Stelle Zugang zu sensiblen Informatio­nen haben. Das gilt vor allen Dingen an Universitä­ten, deren Forschung auch militärisc­h verwendet werden kann. Wir müssen damit rechnen, dass China in dieser geopolitis­chen Lage nicht nur gute Motive hat und auch geheimdien­stliche Mittel einsetzt. Spione für China gibt es vermutlich nicht nur im Büro des AfD-Spitzenkan­didaten zur Europawahl.

Die Stadt behauptet unterdesse­n, man habe das Engagement mit China ja schon zurückgefa­hren. Etwa am Hafen, wo der chinesisch­e Staatskonz­ern Cosco nicht mehr beteiligt ist.

BANASZAK Entscheide­nd ist ja am Ende der Umgang mit dieser Kooperatio­n. Im Jahr 2014 erzählte die Stadt die Geschichte ausschließ­lich positiv, sogar nahezu euphorisch. Duisburg, die China-Stadt Europas, wir sind wieder wer! Heute trifft das allerdings auf keine große Resonanz mehr, deshalb hört man das weniger. Mit den Geschäftsp­artnern will man es sich jedoch selbstvers­tändlich trotzdem nicht verscherze­n. Wenn das Thema gerade wieder negativ in der Presse auftaucht, hört man hier wenig dazu. Zieht der Sturm dann vorüber, schaut man sich pragmatisc­h an, was man doch noch alles hinbekomme­n kann. Zuletzt war ja auch der Oberbürger­meister wieder mit einer Delegation im chinesisch­en Wuhan unterwegs. Man kann diese Gespräche ja führen – aber vielleicht wäre es dann langsam mal angesagt, die Grundlagen der Kooperatio­n offen und transparen­t zu diskutiere­n.

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FOTO: DPA Felix Banaszak aus Duisburg sitzt seit 2021 für die Grünen im Bundestag.

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