Das Erfolgsrezept der Lise-Meitner-Schule
Die Gesamtschule im Westen hat einen sehr guten Ruf. Den verteidigt sie ganz ohne Kleiderordnung – und mit offenen Türen. Wie klappt das? Ein Besuch.
RHEINHAUSEN In Jogginghosen laufen hier nicht nur die Jugendlichen herum, sondern auch manche Lehrer, mit Kopfhörern um den Hals, Käppi auf. Die Lise-MeitnerGesamtschule in Duisburg-Rheinhausen wirkt extrem lässig und ist mit Blick auf die Anmeldezahlen seit Jahren stark nachgefragt.
Dabei gelten hier völlig andere Gesetze als an Duisburgs beliebtester Gesamtschule Leibniz in Hamborn, die ein Jogginghosen- und Handyverbot durchsetzt. Einen guten Ruf haben beide Schulen, im Westen lockt zusätzlich der Sportschwerpunkt der Lise-Meitner-Gesamtschule: Hier kann man sein Abi mit einem Sport-Leistungskurs machen.
Schulleiter Klaus Stephan ist es vor allem wichtig, „Menschen ins Gesicht schauen zu können“. Über Klamotten oder Kopftücher will er nicht diskutieren, nur schamverletzend soll es nicht sein. „Hier sollen sich alle wohlfühlen.“Der Sportdress schmälere auch nicht die Autorität der Lehrer, „die Haltung ist das Entscheidende“.
Klaus Stephan begreift seine Schule als mittelständisches Unternehmen. Eltern und Kinder sind seine Kunden, die gewonnen und gehalten, die betreut werden wollen. Und dabei gehe es nur zum Teil ums Lernen. Seit immer mehr Institutionen in den Stadtteilen wegfallen, immer weniger Jugendzentren und Kirchengemeinden Angebote machen können, „ist es an uns, Lebensbegleiter zu sein“.
Diese Erwartung haben offenbar auch viele Eltern, die sich an die Schule wenden, etwa nach Angeboten zur Erziehungshilfe fragen. Durch die Kooperation mit den Sportvereinen sei die Schule im Stadtteil gut vernetzt. Kürzlich haben Schüler geholfen, Stolpersteine zu verlegen. „Wir wirken in unsere Umgebung hinein“, ist Klaus Stephan überzeugt.
Den guten Ruf, den die alljährlichen Anmeldezahlen belegen, habe sich das Kollegium erarbeitet, lobt Stephan. 218 Familien wollten zum kommenden Schuljahr hier ihre Kinder sehen. 145 Plätze gibt es, 155 werden aufgenommen. Die Absagen sind die undankbarste Aufgabe, findet er.
Trotz Dependance hat die Schule Raumnot. Ursprünglich vierzügig geplant, ist sie aktuell fünfzügig, angedroht wird sogar die Sechszügigkeit, sagt Stephan. Dabei fehlen schon jetzt trotz Containerklassen 13 Räume zur Differenzierung. Der zweite Standort ist wegen der Fahrzeiten für die Lehrer nicht so schön, pädagogisch ergeben sich aber durchaus Vorteile: Am Zweitstandort Ulmenstraße sind die Jahrgänge 5 bis 7 unter sich. Dort gilt ein Handyverbot, das digitalere Leben beginnt mit Jahrgangsstufe 8 und dem Wechsel zum Hauptstandort.
Der Schulleiter betont: „Wir geben niemanden verloren, auch wenn es mal schwer ist. Schule ist ein sicherer Ort.“Das bedeute aber auch, dass kein Lehrer nur seine Fächer machen könne. „Jeder hat zusätzliche Aufgaben.“Manchmal müsse Schule auch schnell reagieren.
Die Remigrationsdebatte etwa habe viele Schüler mit Migrationshintergrunde enorm beunruhigt. „Die jungen Menschen hatten Gesprächsbedarf, wollten sich der Solidarität der anderen versichern.“Mit Bärbel Bas haben sie kürzlich auch „intensiv über den Gaza-Konflikt diskutiert“.
„Wir springen auch ein, wenn es an anderen Schulen nicht mehr läuft“, sagt Stephan. Mobbing könne ein Grund sein oder Überforderung. „Wir sind zwar voll und hier werden nur Plätze durch Umzüge frei, aber wir haben schon einigen zum Abitur verholfen.“
Dabei könne womöglich auch der intensive Austausch helfen. Im Ganztagsbetrieb eröffnen sich immer wieder Gesprächsmöglichkeiten. Stephan findet das bereichernd. Seine eigenen Töchter waren an einem Gymnasium, bewusst wechselten sie an eine Gesamtschule, um aus ihrer Blase herauszukommen. Er wolle niemanden diskreditieren, aber Gymnasien seien geprägt von Auslese und mit dieser Haltung würden Menschen auch zu Personalchefs, „das Inklusive denken viele nicht automatisch mit“.
Das Gesamtschulsystem hält Klaus Stephan indes für ideal: „Es lässt Leistungsschwankungen zu.“Jugendliche, die in der Pubertät durch Höhen und Tiefen gehen, könnten schnell wieder aufholen.
Mit intensiver Förderung, Laufbahnberatung und Berufsorientierung hätten auch Kinder aus nicht-akademischen Familien viele Möglichkeiten. „Ich freue mich, wenn Kinder, die keine Überflieger sind, immer weiter wachsen.“Umgekehrt könnten sich die „Superfitten“beispielsweise in fünf Sprachen verausgaben von Spanisch bis Niederländisch, in Englisch, Französisch, Latein.
Die häufiger geäußerte Kritik an Gesamtschulen, dass sie für eine ausgewogene Mischung nicht genug leistungsstarke Schüler ziehen, weil diese ans Gymnasium gehen, lässt Stephan kalt: „Wir haben eine Drittelmischung und können super Startbedingungen bieten.“Dass 83 von ursprünglich 145 Kindern der aktuellen Jahrgangsstufe 13 jetzt Abitur machen, „ist eine tolle Quote“.
Geht man vormittags durch die Schule, ist es erstaunlich ruhig. Der Technik-Kurs programmiert Lego-Mindstorm-Roboter, die Hindernissen ausweichen sollen. Hoffnungsvoll setzen sie in Teams ihre Fahrzeuge auf eine Platte und ziehen wenig später enttäuscht ab. Nichts hat sich bewegt. Neuer Versuch. Im Bio-Unterricht der Stufe 11 ist DNA das Thema.
Xavier mag, dass der Unterricht „entspannt ist, hier ist nicht so viel Druck“, findet er, „außer vor Klassenarbeiten“. Maximilian ergänzt, dass die Vorbereitung dafür gut sei und Louis lobt, dass „wir hier viel Hilfe bekommen“. Der Schulleiter grinst und bietet an, vor die Tür zu gehen – aber die Jungs wirken nicht so, als müssten sie ihre Schule durch den Kakao ziehen.
Der Kraftraum würde manchem Fitnessstudio zur Ehre gereichen. Gerade ist die Jahrgangsstufe 12 hier zugange. Zeynep geht gar nicht mehr ins Gym, die Schule biete ihr alles, was sie für ihre Fitness braucht. Und dann drückt die Schülerin wieder mit Kraft die Beinpresse zusammen. Ihre Lehrerin Yuca Özlem mag, dass der Sport viel abwechslungsreicher geworden ist.
Viele ihrer Schüler sind im Handballoder Fußballverein, das Training an der Schule ist allerdings nicht speziell auf eine Sportart ausgerichtet. Wettkampfbesuche werden nach Kräften unterstützt. Manche Ehemaligen wurden Nationalspieler oder konnten, wie Laurits Follert, Olympiamedaillen errudern. „Sie können trainieren, machen aber auch einen vernünftigen Abschluss“, beschreibt Stephan die Vorteile und ergänzt nicht ohne Stolz: „Hier beginnen Karrieren.“