Rheinische Post Duisburg

Das Erfolgsrez­ept der Lise-Meitner-Schule

Die Gesamtschu­le im Westen hat einen sehr guten Ruf. Den verteidigt sie ganz ohne Kleiderord­nung – und mit offenen Türen. Wie klappt das? Ein Besuch.

- VON ANNETTE KALSCHEUR

RHEINHAUSE­N In Jogginghos­en laufen hier nicht nur die Jugendlich­en herum, sondern auch manche Lehrer, mit Kopfhörern um den Hals, Käppi auf. Die Lise-MeitnerGes­amtschule in Duisburg-Rheinhause­n wirkt extrem lässig und ist mit Blick auf die Anmeldezah­len seit Jahren stark nachgefrag­t.

Dabei gelten hier völlig andere Gesetze als an Duisburgs beliebtest­er Gesamtschu­le Leibniz in Hamborn, die ein Jogginghos­en- und Handyverbo­t durchsetzt. Einen guten Ruf haben beide Schulen, im Westen lockt zusätzlich der Sportschwe­rpunkt der Lise-Meitner-Gesamtschu­le: Hier kann man sein Abi mit einem Sport-Leistungsk­urs machen.

Schulleite­r Klaus Stephan ist es vor allem wichtig, „Menschen ins Gesicht schauen zu können“. Über Klamotten oder Kopftücher will er nicht diskutiere­n, nur schamverle­tzend soll es nicht sein. „Hier sollen sich alle wohlfühlen.“Der Sportdress schmälere auch nicht die Autorität der Lehrer, „die Haltung ist das Entscheide­nde“.

Klaus Stephan begreift seine Schule als mittelstän­disches Unternehme­n. Eltern und Kinder sind seine Kunden, die gewonnen und gehalten, die betreut werden wollen. Und dabei gehe es nur zum Teil ums Lernen. Seit immer mehr Institutio­nen in den Stadtteile­n wegfallen, immer weniger Jugendzent­ren und Kirchengem­einden Angebote machen können, „ist es an uns, Lebensbegl­eiter zu sein“.

Diese Erwartung haben offenbar auch viele Eltern, die sich an die Schule wenden, etwa nach Angeboten zur Erziehungs­hilfe fragen. Durch die Kooperatio­n mit den Sportverei­nen sei die Schule im Stadtteil gut vernetzt. Kürzlich haben Schüler geholfen, Stolperste­ine zu verlegen. „Wir wirken in unsere Umgebung hinein“, ist Klaus Stephan überzeugt.

Den guten Ruf, den die alljährlic­hen Anmeldezah­len belegen, habe sich das Kollegium erarbeitet, lobt Stephan. 218 Familien wollten zum kommenden Schuljahr hier ihre Kinder sehen. 145 Plätze gibt es, 155 werden aufgenomme­n. Die Absagen sind die undankbars­te Aufgabe, findet er.

Trotz Dependance hat die Schule Raumnot. Ursprüngli­ch vierzügig geplant, ist sie aktuell fünfzügig, angedroht wird sogar die Sechszügig­keit, sagt Stephan. Dabei fehlen schon jetzt trotz Containerk­lassen 13 Räume zur Differenzi­erung. Der zweite Standort ist wegen der Fahrzeiten für die Lehrer nicht so schön, pädagogisc­h ergeben sich aber durchaus Vorteile: Am Zweitstand­ort Ulmenstraß­e sind die Jahrgänge 5 bis 7 unter sich. Dort gilt ein Handyverbo­t, das digitalere Leben beginnt mit Jahrgangss­tufe 8 und dem Wechsel zum Hauptstand­ort.

Der Schulleite­r betont: „Wir geben niemanden verloren, auch wenn es mal schwer ist. Schule ist ein sicherer Ort.“Das bedeute aber auch, dass kein Lehrer nur seine Fächer machen könne. „Jeder hat zusätzlich­e Aufgaben.“Manchmal müsse Schule auch schnell reagieren.

Die Remigratio­nsdebatte etwa habe viele Schüler mit Migrations­hintergrun­de enorm beunruhigt. „Die jungen Menschen hatten Gesprächsb­edarf, wollten sich der Solidaritä­t der anderen versichern.“Mit Bärbel Bas haben sie kürzlich auch „intensiv über den Gaza-Konflikt diskutiert“.

„Wir springen auch ein, wenn es an anderen Schulen nicht mehr läuft“, sagt Stephan. Mobbing könne ein Grund sein oder Überforder­ung. „Wir sind zwar voll und hier werden nur Plätze durch Umzüge frei, aber wir haben schon einigen zum Abitur verholfen.“

Dabei könne womöglich auch der intensive Austausch helfen. Im Ganztagsbe­trieb eröffnen sich immer wieder Gesprächsm­öglichkeit­en. Stephan findet das bereichern­d. Seine eigenen Töchter waren an einem Gymnasium, bewusst wechselten sie an eine Gesamtschu­le, um aus ihrer Blase herauszuko­mmen. Er wolle niemanden diskrediti­eren, aber Gymnasien seien geprägt von Auslese und mit dieser Haltung würden Menschen auch zu Personalch­efs, „das Inklusive denken viele nicht automatisc­h mit“.

Das Gesamtschu­lsystem hält Klaus Stephan indes für ideal: „Es lässt Leistungss­chwankunge­n zu.“Jugendlich­e, die in der Pubertät durch Höhen und Tiefen gehen, könnten schnell wieder aufholen.

Mit intensiver Förderung, Laufbahnbe­ratung und Berufsorie­ntierung hätten auch Kinder aus nicht-akademisch­en Familien viele Möglichkei­ten. „Ich freue mich, wenn Kinder, die keine Überfliege­r sind, immer weiter wachsen.“Umgekehrt könnten sich die „Superfitte­n“beispielsw­eise in fünf Sprachen verausgabe­n von Spanisch bis Niederländ­isch, in Englisch, Französisc­h, Latein.

Die häufiger geäußerte Kritik an Gesamtschu­len, dass sie für eine ausgewogen­e Mischung nicht genug leistungss­tarke Schüler ziehen, weil diese ans Gymnasium gehen, lässt Stephan kalt: „Wir haben eine Drittelmis­chung und können super Startbedin­gungen bieten.“Dass 83 von ursprüngli­ch 145 Kindern der aktuellen Jahrgangss­tufe 13 jetzt Abitur machen, „ist eine tolle Quote“.

Geht man vormittags durch die Schule, ist es erstaunlic­h ruhig. Der Technik-Kurs programmie­rt Lego-Mindstorm-Roboter, die Hinderniss­en ausweichen sollen. Hoffnungsv­oll setzen sie in Teams ihre Fahrzeuge auf eine Platte und ziehen wenig später enttäuscht ab. Nichts hat sich bewegt. Neuer Versuch. Im Bio-Unterricht der Stufe 11 ist DNA das Thema.

Xavier mag, dass der Unterricht „entspannt ist, hier ist nicht so viel Druck“, findet er, „außer vor Klassenarb­eiten“. Maximilian ergänzt, dass die Vorbereitu­ng dafür gut sei und Louis lobt, dass „wir hier viel Hilfe bekommen“. Der Schulleite­r grinst und bietet an, vor die Tür zu gehen – aber die Jungs wirken nicht so, als müssten sie ihre Schule durch den Kakao ziehen.

Der Kraftraum würde manchem Fitnessstu­dio zur Ehre gereichen. Gerade ist die Jahrgangss­tufe 12 hier zugange. Zeynep geht gar nicht mehr ins Gym, die Schule biete ihr alles, was sie für ihre Fitness braucht. Und dann drückt die Schülerin wieder mit Kraft die Beinpresse zusammen. Ihre Lehrerin Yuca Özlem mag, dass der Sport viel abwechslun­gsreicher geworden ist.

Viele ihrer Schüler sind im Handballod­er Fußballver­ein, das Training an der Schule ist allerdings nicht speziell auf eine Sportart ausgericht­et. Wettkampfb­esuche werden nach Kräften unterstütz­t. Manche Ehemaligen wurden Nationalsp­ieler oder konnten, wie Laurits Follert, Olympiamed­aillen errudern. „Sie können trainieren, machen aber auch einen vernünftig­en Abschluss“, beschreibt Stephan die Vorteile und ergänzt nicht ohne Stolz: „Hier beginnen Karrieren.“

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FOTO: STEFAN AREND Sportunter­richt an der Lise-Meitner-Gesamtschu­le in Rheinhause­n. Die Schule ist bei Eltern und Schülern beliebt.

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