Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Marsch gegen Hongkongs Regierung

Die Proteste gegen das Auslieferu­ngsgesetz entwickeln sich zu einer der größten Herausford­erungen für die Sonderverw­altungszon­e und ihre Beziehung zu China. Die Regierung sieht sich zu einer Entschuldi­gung gezwungen.

- VON ERIN HALE, SIMINA MISTREANU UND JÖRN PETRING

HONGKONG (dpa) Chinas Sonderverw­altungszon­e Hongkong kommt nicht zur Ruhe. Trotz einer Ankündigun­g der Regierung, ein umstritten­es Gesetz zur Auslieferu­ng mutmaßlich­er Straftäter an China auf Eis zu legen, ist am Sonntag erneut ein großer Protestzug mit mutmaßlich rund zwei Millionen Menschen durch die Stadt gezogen. Die Demonstran­ten forderten ein Aus für das Auslieferu­ngsgesetz. Viele Protestler verlangten außerdem den Rücktritt von Regierungs­chefincarr­ie Lam. Die 62-Jährige, seit Juli 2017 imamt, ist die erste Regierungs­chefin in der chinesisch­en Sonderverw­altungszon­e. Den Amtseid nahm ihr Chinas Präsident Xi Jinping ab. Peking drückte am Samstag für die Entscheidu­ng Lams „Unterstütz­ung, Respekt und Verständni­s“aus.

Nach Massenprot­esten in den vergangene­n Tagen hatte Lam am Samstag angekündig­t, Beratungen über das Gesetz vorerst auszusetze­n. Eigentlich sollte die Peking-treue Parlaments­mehrheit das Gesetz am kommenden Donnerstag annehmen. Lam begründete ihre Entscheidu­ng damit, dass es in der Öffentlich­keit immer noch Bedenkenun­d Zweifel an der Gesetzesvo­rlage gebe. Außerdem müsse wieder Ruhe in die Stadt einziehen.

Das Auslieferu­ngsgesetz würde Hongkongs Behörden erlauben, von China verdächtig­te und gesuchte Personen an die Volksrepub­lik auszuliefe­rn. Kritiker warnen, Chinas Justiz sei nicht unabhängig und diene als Werkzeug der politische­n Verfolgung. Auch drohten Folter und Misshandlu­ngen.

„Diese Gesetzesvo­rlage wird Auswirkung­en auf Hongkongs Zukunft haben – und ich bin erst 19“, sagte Demonstran­tin Christy Cheng. „Ich denke, Carrie Lam schuldet uns eine Entschuldi­gung“, sagte die 23-Jährige Maggie Suen. Diese kam dann auch am Sonntag. Sie wolle „aufrichtig und demütig“Kritik annehmen und Verbesseru­ngen im Dienste der Öffentlich­keit erzielen, hieß es in einer Mitteilung von Lam. Die Regierung habe verstanden, dass viele Menschen aus „Sorge und Liebe“zu Hongkong gegen das Gesetz auf die Straße gegangen seien. Am Donnerstag hatte Lam die Proteste noch als „Aufruhr“und „eindeutig organisier­t“bezeichnet.

Bei einem Massenprot­est vor einer Woche hatten erstmals zwischen Hunderttau­senden und einer Million Hongkonger gegen das Vorhaben der Regierung demonstrie­rt. Es war nach Einschätzu­ng von Beobachter­n die bis dato größte Demonstrat­ion in Hongkong seit dem Protest gegen die blutige Niederschl­agung der Demokratie­bewegung in Peking vor drei Jahrzehnte­n am 4. Juni 1989. Danach kam es am Mittwoch zu schweren Zusammenst­ößen zwischen Polizei und Demonstran­ten, bei denen 81 Menschen verletzt wurden. Am Samstag war dann ein Demonstran­t gestorben. Hongkongs Polizei teilte auf Anfrage mit, dass es sich um einen Selbstmord gehandelt habe. Der Mann war auf ein Baugerüst geklettert, wo er zunächst Protestban­ner gegen das Gesetz für Auslieferu­ngen an China und Regierungs­chefin Carrie Lam anbrachte. Nachdem er mehrere Stunden auf dem Gerüst ausgeharrt hatte, kletterte er über die Brüstung und stürzte in die Tiefe.

Regierungs­chefin Lam machte am Samstag deutlich, dass das Gesetz nicht komplett vom Tisch ist. Es seien weitere Beratungen notwendig. Lam argumentie­rte bislang, das Gesetz sei notwendig, um „Schlupflöc­her“zu schließen. Hongkong dürfe kein sicherer Hafen für Kriminelle sein. Das Gesetz würde Überstellu­ngen mutmaßlich­er Straftäter an China und andere Länder ermögliche­n, mit denen Hongkong bisher kein Auslieferu­ngsabkomme­n hat. Es wurde auf einen Fall verwiesen, bei dem ein Mann seine schwangere Freundin in Taiwan umgebracht hatte, aber nicht von Hongkong ausgeliefe­rt werden konnte. Das demokratis­che Taiwan hat aber bereits angekündig­t, keine Auslieferu­ngen beantragen zu wollen, weil es das Gesetz ebenfalls für bedenklich hält.

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FOTO: REUTERS Eine Demonstran­tin hält ein Foto mit dem Satz „Mir fehlen die Worte“hoch. Das Bild zeigt den Polizeiein­satz gegen die Protestler.

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