Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Neues Leben in der alten Senffabrik
SOWOHNT DÜSSELDORF Für einen alten Hinterhof an der Jahnstraße beginnt ein neues Kapitel: Wohnen und Arbeiten mit historischer Substanz.
Die Düsseldorfer haben schon immer gern ihren Senf dazugegeben, zu ihren rheinischen Leckereien – und überhaupt. Vor allem im 19. Jahrhundert galt die Stadt als Zentrum der Mostert-produktion, fast ein Dutzend Fabriken sollen in jener Zeit die scharfe Gewürzpaste angerührt haben. Eine der ältesten war die Dampffabrik von Carl von der Heiden, der den allseits geschätzten Radschläger-senf produzierte. Vor drei Jahren hat dann der Urenkel des letzten Betreibers den Hinterhof-komplex an der Jahnstraße verkauft. Nun wird an dem Ort, der voller Geschichten steckt, ein neues Kapitel geschrieben.
Er würde diese Räume nicht wiedererkennen: Wo Carl von der Heiden seine Rohzutaten Senfkörner und Essig lagerte, wohin die Steingutgefäße aus der Eifel geliefert wurden, um den fertigen Mostert abzufüllen – dort ist nun ein Hinterhofrefugium auf zwei Ebenen entstanden, das man mit Muße entdecken sollte. Ganz langsam, denn die Augen müssen sich erstmal an das Licht gewöhnen in diesem ehemaligen Lagerraum: 120 Quadratmeter groß, mit alten, ruppigen Ziegelwänden, nur durch das ehemalige Tor fällt Tageslicht. Ansonsten wird der Raum von Wandlampen aus brüniertem Schwarzstahl illuminiert. Diese Leuchten hat Wolfgang Flamisch, Fotograf, Filmer und neuer Besitzer der ehemaligen Fabrik entworfen, sie leuchten perfekt Raumstruktur und Material aus, aber nicht zu hell. Man könnte Tango tanzen in diesem Raum.
Aber vielleicht werden hier demnächst die Schreibtische einer Werbeagentur stehen oder einer Anwaltskanzlei. Möglicherweise wird aus dem Raum ein Fotostudio oder ein Showroom für Mode. Wer weiß? Die Funktion wird der künftige Mieter bestimmen, der dieses Erdgeschoss mit dem großen Raum – in dessen Mitte auch ein Original-eisenpfeiler freigelegt wurde – und mehrere kleine Räume nutzen wird: fürs Meeting im ehemaligen Pferdestall. Ein Technikraum verbirgt sich hinter einer schwarzen Stahlschiebetür, sie ist neu und wirkt als kühler, dunkler Kontrast zu einer alten Holzschiebetür, ein Relikt aus der arbeitsreichen Vergangenheit – mit allen Gebrauchsspuren und Farbspritzern.
Historische Objekte zu entdecken, ihre Geschichte zu erzählen, alte Materialien zu bewahren, wo immer es geht, das ist die Spezialität des Architekten Andreas Knapp von „Anderswohneninderstadt“. So stieß er eines Tages auf die ehemalige Senffabrik von 1830, erkannte sofort das Potenzial des Ortes, die Möglichkeit, Arbeiten und Wohnen in diesem Hinterhof zu kombinieren. Und fand mit Wolfgang Flamisch einen Bauherrn, der den gleichen Blick hat für die Wirkung des Ganzen – und fürs Detail. Der zeigt sich zum Beispiel an Wänden im Erdgeschoss, dort sollte eigentlich der Putz abgekratzt werden. „Als die Handwerker damit begonnen hatten, sahen wir plötzlich, wie toll das aussah mit all den Kratzspuren.“Sie unterbrachen die Arbeit – und ließen die Wände, wie sie in diesem Moment waren.
Das Ergebnis lässt sich auch im ersten Stock abschmecken, der „Bel Etage“mit Industrie-charme. Auch diese Wohnebene dominiert ein großer Raum, der sich um einen offenen Patio fügt. Wieder die alten Ziegelwände, doch hier oben blieb auch der historische Fabrikboden erhalten, wurden rostige Balken freigelegt und nur vom Schmutz befreit. Darüber, unter der hohen Decke, lassen neue Fenster Tageslicht in den Raum. Auch das Heizsystem
ist ein Kapitel für sich: Alte Heizkörper aus einem ehemaligen Pfarrhaus aus Gerresheim wurden kombiniert mit schmalen Röhrenradiatoren – Spiralen wie früher in Fabrikgebäuden üblich. An jedem Detail tüftelten der Besitzer und sein Architekt, so entdeckten sie schwarze, marokkanische Tonfliesen für den Hintergrund der offenen Küche, und grüne Metrofliesen für die Bäder.
Am „Tag der Architektur“wird das Hinterhof-ensemble mit seiner Fassade aus Ziegeln und schwarzem Holz und einem alten Kanaldeckel im Hof Besuchern geöffnet. Dann ist auch der Schlaftrakt zu besichtigen, der als Appartement abgetrennt werden könnte. Nicht verpassen sollte man bei dieser Gelegenheit, einen Blick in das Gäste-wc im Erdgeschoss zu riskieren, mit seinem extravaganten Waschbecken. Das war mal eine Baggerschaufel, mutierte nun zum Design-objekt – und steht für das Ziel, das Bauherr und Architekt erreichen wollten: „Auf den Wurzeln der Vergangenheit Zukunft zu gestalten.“