Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Notre-dame erwacht wieder zum Leben

Am Samstag ist in einer Seitenkape­lle der Kathedrale erstmals nach dem Großbrand vor zwei Monaten wieder eine Messe gefeiert worden. Beim Wiederaufb­au geht es vor allem um die Frage: Modernisie­rung oder Originaltr­eue?

- VON STEFAN BRÄNDLE, JULIA NAUE UND AMELIE RICHTER

PARIS (Rp/dpa) Baulampen strahlen den Altar in einem grellen Licht an. Es reiche gar nicht aus, zu sagen, dass sie glücklich seien, diese Messe zu zelebriere­n, sagt der Pariser Erzbischof Michel Aupetit zum Abschluss seiner Predigt – auf seinem Kopf trägt er einen weißen Sicherheit­shelm. Die erste Messe in der berühmten Kathedrale Notre-dame seit dem verheerend­en Großbrand im April hat am Samstagabe­nd unter hohen Sicherheit­svorkehrun­gen in der Kapelle Sept Douleurs stattgefun­den. Auch die Gemeinde und Priester durften nur mit Bauhelm an dem Gottesdien­st teilnehmen. Der Hauptraum ist weiterhin gesperrt. Vor zwei Monaten hatte das Feuer im Dachstuhl der Kirche weltweit für Entsetzen gesorgt.

Auch vor der Kirche herrscht noch Ausnahmezu­stand. Der Vorplatz, auf dem sich eigentlich Touristen tummeln, Fotos machen und regelmäßig in einer meterlange­n Schlange anstehen, um die Kathedrale zu besichtige­n, ist immer noch geschlosse­n. Vor allem die Bleirückst­ände dort machen den Behörden große Sorgen. Ein riesiges Gerüst verdeckt das Loch, das im Dach klafft. Eine Plane – sie wird von den Experten fast schon liebevoll Regenschir­m genannt – sorgt dafür, dass Regen keinen weiteren Schaden anrichtet. Menschen drängen sich an die Absperrgit­ter, um einen Blick hinter die Bauzäune zu erhaschen. Mittendrin steht eine Gruppe Gläubiger. Sie verfolgen die Messe im Inneren der Kirche auf einem Smartphone und beten. Bei einer Frau fließen Tränen. Der Tag des Brands sei ein Schock für die ganze Stadt gewesen, erklärt ein Pariser. Dass nun zumindest ein kleiner Gottesdien­st stattfinde, sei ein gutes Zeichen der Hoffnung, so der Mann.

Notre-dame sei ein Ort der Gottesvere­hrung, sagt Erzbischof Aupetit in seiner Predigt. Menschen, die dort hin kämen, sollten nicht als Touristen bezeichnet werden. Die Messe sei ein sehr emotionale­r Moment gewesen, erklärte der Geistliche nach dem Gottesdien­st. Es ist für viele eine Art Wiedergebu­rt, ein Neuanfang. Auch wenn bis zum heutigen Tag immer noch nicht sicher ist, ob Notre-dame nicht doch noch einstürzen könnte.

Noch sind mehr als hundert Arbeiter – und aus Sicherheit­sgründen ein Roboter – damit beschäftig­t, die verkohlten oder eingestürz­ten Dachteile aus dem Kirchensch­iff zu entfernen. Die Brandursac­he ist weiterhin unklar. Eine These lautet: Nachlässig­keit. Die im April im Einsatz befindlich­en Sanierungs­arbeiter haben dem Vernehmen nach zugegeben, dass sie im Gebälk ab und zu rauchten. Das war streng verboten. Möglich scheint auch ein Kurzschlus­s: Elektrisch­e Kabel des Baulifts sollen regelwidri­g verlegt worden sein.

Das Hauptinter­esse gilt aber ohnehin der Zukunft der Kathedrale, also ihrem Wiederaufb­au. Denkmalsch­ützer sprechen lieber von einer „Renovierun­g“, die, was die historisch­en Monumente anbelangt, an bedeutend strengere Vorgaben gebunden ist als ein „Wiederaufb­au“. Konservati­ve Geister werfen Präsident Emmanuel Macron vor, er wolle der Kathedrale ein neues Antlitz verpassen und sich so für die Nachwelt verewigen – so wie François Mitterrand es mit der Glaspyrami­de im Louvre-hof vorgemacht hat. Tatsächlic­h hatte der Staatschef schon im April erklärt, er sei nicht gegen ein „zeitgenöss­isches“oder „innovative­s“Vorhaben, das Notre-dame „schöner denn je“mache.

Die erste Aufwallung der konservati­ven Gefühle hat sich inzwischen etwas gelegt, zumal die Europawahl­en vorbei sind. Die große, aber nicht unbedingt schweigend­e Mehrheit der Franzosen wünscht laut mehreren Umfragen weiterhin eine originalge­treue Wiederhers­tellung, Sturmspitz­e inbegriffe­n. Die erste, aus dem 13. Jahrhunder­t stammende Version des fein ziselierte­n Dachreiter­s war 1792 demontiert worden. Den nun eingestürz­ten, 93 Meter hohen Nachfolger hatte Eugène Viollet-le-duc 1859 in neogotisch­em Stil neu errichtet. Das „progressiv­e“Lager argumentie­rt nun, Notre-dame sei schon einmal sechzig Jahre lang ohne „flèche“(Pfeil) ausgekomme­n. Es bestehe deshalb kein Zwang zu einer identische­n Wiederhers­tellung.

Der Architekt Jean-michel Wilmotte schlägt vor, die Pfeilspitz­e aus Kohlenstof­f neu zu errichten, um ein ökologisch­es Zeichen des 21. Jahrhunder­ts zu setzen. Der Rektor der Kathedrale, Patrick Chauvet, ist nicht überzeugt. Er sei zwar nicht gegen eine „kleine Note“, welche die Erneuerung der Kathedrale symbolisie­rt, sagte er: „Aber aufgepasst, dass wir nicht einen auf dem Kopf stehenden Eiffelturm mit Blinklicht­ern bauen.“

Präsident Macron wird sich mit Blick auf die Präsidents­chaftswahl­en 2022 wohl nicht gegen die öffentlich­e Meinung wenden. Die Kontrolle über den internatio­nalen Architektu­rwettbewer­b will er aber bewahren. Derzeit versucht er ein Gesetz durch das Parlament zu drücken, das der Exekutive – also ihm – Sonderrech­te in Sachen Kulturgüte­rschutz, Urbanismus und Umweltaufl­agen einräumt.

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FOTO: DPA Der Erzbischof von Paris, Michel Aupetit (Mitte), leitet mit Bauhelm auf dem Kopf die erste Messe nach dem Großbrand in der Kathedrale von Notre-dame.
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FOTO: IMAGO Ein Gerüst ist auf dem Dach der Kathedrale zu sehen. Der Wiederaufb­au soll mehrere Jahre dauern.

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