Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
„300 Euro Kinder-bonus für Familien“
Der SPD-CHEF über das Regieren mit der Union, das geplante Konjunkturpaket und die Frage, wer Kanzlerkandidat werden soll.
Wie bewerten Sie es, dass Teile der Union den Mindestlohn senken wollen?
WALTER-BORJANS Das ist schäbig. Nach zig Milliarden für die Wirtschaft, die SPD und CDU/CSU gemeinsam getragen haben, jetzt ausgerechnet die Kleinverdiener bezahlen lassen zu wollen, ist ein Unding. Diejenigen, die den Mindestlohn kürzen wollen, übersehen im Übrigen, dass kleine Einkommen die Konjunktur ankurbeln, weil das Geld vollständig zum Leben gebraucht und direkt wieder ausgegeben wird. Wir werden weiter dafür kämpfen, dass der Mindestlohn so schnell wie möglich auf zwölf Euro steigt.
Von der Union gibt es zudem den Vorschlag, ein Belastungsmoratorium für die Wirtschaft einzuführen und damit auch Koalitionsvorhaben auszusetzen. Können Sie auf dieser Basis weiter zusammenarbeiten?
WALTER-BORJANS So ein Moratorium hatten CDU und CSU ja auch schon im vergangenen Koalitionsausschuss auf den Tisch gelegt. Aber wenn die Steuerzahler mit Milliarden ins Risiko gehen, dann dürfen sie doch wohl erwarten, dass die Empfänger sich an die Regeln halten, ehrlich ihre Steuern zahlen, Umwelt- und Sozialstandards einhalten und Verbraucherrechte achten. CDU und CSU wollen alles aussetzen, was dem freien Spiel der Kräfte am Markt einen Rahmen gibt. Das wäre nicht weniger als die Aufkündigung des Koalitionsvertrags durch die Hintertür. Die Allgemeinheit zur Kasse bitten und gleichzeitig auch noch ihre Rechte beschneiden? Dafür stehen wir nicht zur Verfügung.
Stellen solche Gegensätze die Koalition grundsätzlich in Frage? WALTER-BORJANS Ich sehe mich in dem bestätigt, was ich schon gesagt habe, bevor ich SPD-CHEF wurde: Es ist extrem schwierig, mit diesem Koalitionspartner etwas für die Menschen zu erreichen, die besonders dringend Hilfe und finanzielle
Verbesserungen brauchen und deren Leistungen in den vergangenen Jahrzehnten am stärksten unterbewertet wurden. Stattdessen zielen Vorstöße immer auf die, die reichlich haben. Das wird dann als Politik für die große Mehrheit verkauft. Ein Wert der Koalition lag schon darin, dass wir das verhindert und für Familien und Arbeitnehmer deutlich andere Akzente gesetzt haben. Wir sind am Ende immer mit Ergebnissen rausgekommen, die das Leben sehr vieler verbessert haben. Eine Regierung ohne SPD hätte das nicht zuwege gebracht.
Jetzt klingen Sie wie alle SPD-VORsitzenden vor Ihnen in großen Koalitionen.
WALTER-BORJANS Nee.
Doch. In unseren Ohren schon. WALTER-BORJANS (lacht) Dann haben Sie was an den Ohren.
Und ernsthaft?
WALTER-BORJANS Ich habe immer bemängelt, wenn wir schon mit Kompromissen in den Koalitionsausschuss hineingegangen sind, uns dann auf einen abgeschwächten Kompromiss verständigt haben. Am Ende hieß es, das sei 100 Prozent SPD. So agieren wir definitiv nicht mehr. Zu einer ehrlichen Politik gehört es, auch zu erklären, was man bisher nicht erreicht und wer es verhindert hat – wie zum Beispiel einen höheren Mindestlohn und eine frühere Abschaffung des Soli für 90 Prozent der Steuerzahler. Das mindert die spürbaren Erfolge, die wir für Familien und Berufstätige erkämpft haben, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Es wertet sie auf.
Was werden Sie im Koalitionsausschuss für das Konjunkturpaket konkret auf den Tisch legen? WALTER-BORJANS Nicht wenig und das aus guten Gründen. Wir sind zum Beispiel entschlossen, die finanzielle Entlastung der Kommunen und einen einmaligen Bonus von 300 Euro pro Kind durchzusetzen. Zur Konjunkturförderung gehört die verstärkte Nachfrage: Wir
werden darauf bestehen, dass der Kinder-bonus für Familien kommt. Den bekommen Eltern, die das Geld brauchen und es also auch ausgeben. Bei Gutverdiener-familien, die diesen Zuschlag nicht nötig haben, wird er mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag verrechnet. Außerdem sind dringend Investitionen in Straßen, Busse und Bahnen, in bezahlbare Wohnungen, in Schulen und Kindergärten nötig. Dafür müssen wir Städte und Gemeinden in die Lage versetzen, zu investieren. Dass CDU und CSU gegen den Plan von Olaf Scholz sind, die Gewerbesteuerausfälle der Kommunen durch Bund und Länder zu erstatten und den besonders vom Strukturwandel gebeutelten Städten die Altschulden abzunehmen, verstehen weder Wirtschaft noch Gewerkschaften. Das brächte immense Aufträge, zum Beispiel für das Handwerk.
Haben Sie den Eindruck, dass Merkels Macht erodiert? WALTER-BORJANS Ich habe die klare Erwartung, dass die Kanzlerin vor allem von ihrer eigenen Fraktion getragen wird. Vieles, was der Kanzlerin zugerechnet wird, ist durch die SPD zustande gekommen. Das wird am Ende im Zweifel auch für die Europapolitik, für die Grundrente, den Mindestlohn oder das Kommunalpaket gelten – diesmal aber mit dem erkennbaren Ursprungsstempel „SPD“.
Verstehen wir Sie richtig? Die Kanzlerin ist Ihre Verbündete gegen den Unionsfraktionschef und den Wirtschaftsflügel der Union? WALTER-BORJANS Jedenfalls gibt es viele Vereinbarungen, zu denen die Kanzlerin steht, während ihr Fraktionschef immer wieder verzögert und immer wieder in Frage stellt.
Bislang galt immer, dass sich ein SPD-CHEF auch eine Kanzlerkandidatur zutrauen muss. Warum stehen Sie nicht zur Verfügung? WALTER-BORJANS Ich habe das zwar nie ausgeschlossen. Ich habe aber klar gesagt, dass ich als Parteivorsitzender antrete, um die Partei in der Koalition erkennbar zu machen und nicht, um nach der Wahl gleich neue Ambitionen anzumelden. Die SPD hat keinen Mangel an fähigem Personal, das soziale Politik, Klimaschutz und zukunftsorientiertes Wirtschaften zusammenbringt.
Zum Beispiel?
WALTER-BORJANS Wir haben vereinbart, dass die beiden Vorsitzenden einen Vorschlag machen – nicht vor Spätsommer. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns jetzt verantwortungsvolles Regieren und keine Personaldebatten. Dass die von der Seitenlinie aus immer mal wieder angestoßen werden, gehört zum bunten Leben. Die Führungsriege ist sich jedenfalls einig, ihre Kräfte auf das zu konzentrieren, was jetzt zu tun ist.
Ihnen wird nachgesagt, Sie hätten eine Präferenz für Fraktionschef Rolf Mützenich.
WALTER-BORJANS Wir werden die Zeit bis zum Herbst nutzen, uns mit den Entscheidungsträgern und potenziellen Kandidaten zu unterhalten. Danach machen wir einen Vorschlag. Wer jetzt schon Mutmaßungen darüber anstellt, welche Präferenzen es gibt, der hat mit niemandem von uns gesprochen. Wir haben uns intern auf niemanden festgelegt.