Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Fassbinder-star Irm Hermann ist gestorben
Sie spielte in „Der Händler der vier Jahreszeiten“und „ Angst essen Seele auf “.
BERLIN In München war das, im Jahr 1966, da traf sie Fassbinder. Der war zwar noch nicht berühmt, hatte aber schon diese Ausstrahlung, dieses Nervöse, Wütende und Unbedingte, und weil sie damals noch als Sekretärin beim ADAC arbeitete, ging er zu ihrem Chef und sagte: „So geht’s nicht, das ist Ausbeutung. Das lässt sich die Frau Hermann nicht länger gefallen.“Ins Büro kam sie danach nie wieder; sie begann ein anderes Leben. Irm Hermann war nun Schauspielerin.
Sie lebte mit Fassbinder, gehörte zum engsten Kreis um den Mann, der bis zu seinem Tod 1982 den deutschen Film auf links drehte und Mitte der 1970er Jahre zwölf Produktionen in 36 Monaten fertigstelle. Irm Hermann spielte zumeist Nebenrollen, wobei der Begriff zu Auftritten wie jenem in „Angst essen Seele auf“nicht passt. Da steht sie auf einem Balkon, sie gießt Blumen, und Fassbinder, der ihren Ehemann spielt, sitzt drinnen und schnauzt sie an, weil er ein Bier will. Sie holt es nicht, sie gießt weiter die Blumen, mit einer Unverbrüchlichkeit und Grazie, die ihrer Figur die Würde bewahrt. Erst als Fassbinder droht, dass sie sich gleich „eine fangen“werde, stellt sie langsam und mit allergrößter Anmut die Milchkanne ab, die sie zum Gießen benutzt hat, schwebt in die Küche und holt dem Kerl das Bier.
Ihre Aufritte hatten oft etwas Schlafwandlerisches. Irm Hermann wirkte stets, als trete sie in Rüstung auf, sie wirkte gepanzert gegen die Verheerungen des bürgerlichen Lebens und der Beziehungen zwischen Mann und Frau. Ihre einzige Hauptrolle bei Fassbinder spielte sie in einem seiner besten Filme, im „Händler der vier Jahreszeiten“(1971), diesem pastellfarbenen Melodram, für das sich der Regisseur vom amerikanischen Kollegen Douglas Sirk hatte inspirieren lassen, um „Hollywood-filme in Deutschland“zu drehen. Irmgard Epp ist sie da, die Ehefrau des Obsthändlers, und wie ihr Mann ist sie zerrissen, von kaltem Schmerz bedrückt, und dabei so faszinierend.
1975 verließ sie die Gruppe um Fassbinder, deren Mitglieder zum
Teil in emotionaler und existenzieller Abhängigkeit vom Meister lebten. Mit dem Kinderbuchautor Dietmar Roberg lebte Hermann in Berlin, bekam zwei Kinder. Sie spielte bei Werner Herzog und Hans W. Geißendörfer, und ihr gelang das Kunststück, in so unterschiedlichen Filmen wie Loriots „Pappa ante portas“und Christoph Schlingensiefs „Das deutsche Kettensägen-massaker“, in „Fack ju Göhte“und „Die 120 Tage von Bottrop“gleichermaßen überzeugend zu wirken.
In frühen Filmen ließ Fassbinder ihre Stimme bisweilen nachsynchronisieren, weil er sie für zu dünn hielt. Aber sie hatte eine großartige Stimme, eine tolle Vorlesestimme zumal. In den vergangenen Jahren wirkte sie denn auch in großen Hörspielproduktionen mit, zuletzt etwa in dem berührenden Demenz-drama „Teure Schwalben“.
Nach kurzer, schwerer Krankheit ist Irm Hermann nun in Berlin gestorben, meldete ihre Agentin. Sie wurde 77 Jahre alt.