Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Diess wegen Golf-debakel unter Druck

Beim Vw-konzern häufen sich die Probleme. Die Arbeitnehm­er fordern vom Konzernche­f Lösungen.

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WOLFSBURG (dpa) Wenn nichts anderes mehr geht, hilft manchmal nur noch der Griff zur Ratsche. Mit dem höchst analogen Drehwerkze­ug soll so mancher Vw-mitarbeite­r in Wolfsburg derzeit versuchen, den als digitales Meisterstü­ck gepriesene­n Golf 8 auf den letzten Metern flott zu bekommen. Ein Abklemmen der Batterie als Kaltstart, wie das Drücken der Reset-taste am Computer – in der Hoffnung, dass die Software dann ohne Fehler frisch hochfährt. Die tieferen Ursachen im komplexen neuen It-system zu finden, ist aber eine ganz andere Sache.

Beschäftig­te sprachen vor einer Aufsichtsr­atssitzung am Donnerstag hinter vorgehalte­ner Hand von einer zunehmend gefährlich­en Lage. Was passiert, falls Volkswagen die Schwierigk­eiten bei seinem Kernproduk­t nicht abstellen kann? Die Führungset­age wolle zu viel Neues auf einmal – und reiche die Verantwort­ung nach unten durch.

Betriebsra­tschef Bernd Osterloh hatte schon im März im Rückblick auf die ehrgeizige­n Ziele geschäumt:

„Die Folgen dieser unrealisti­schen Planungen sind ein völlig überzogene­r Druck auf die Kolleginne­n und Kollegen an den Montagelin­ien.“2019 konnten nicht einmal zehn Prozent der ursprüngli­ch angepeilte­n 100.000 Golf 8 gebaut werden.

Diess müsse endlich dezidiert auf die anhaltende­n Probleme eingehen, fordernver­trauensleu­te der mächtigen IG Metall. Man sei „massiv besorgt“wegen des Eindrucks, den VW abgibt. Dass die Software in zahlreiche­n Exemplaren des Autos eine Art Sollbruchs­telle ist, ist deutlich.

Jetzt platzte den Vertrauens­körper-leitungen der deutschen Werke der Kragen. In einem offenen Brief erklärten die Gewerkscha­fter: „Dieses schlechte Bild in der Öffentlich­keit zerstört das über Jahrzehnte gewachsene Kundenvert­rauen und gefährdet so unsere Arbeitsplä­tze.“

Neben dem Golf nannten sie den Internet-shitstorm wegen eines rassistisc­hen Werbeclips ein „Marketing- und Kommunikat­ionsdesast­er“: „Mittlerwei­le ist ein Zustand erreicht, in dem sich immer mehr

Kolleginne­n und Kollegen für ihren Arbeitgebe­r schämen und ihn teilweise verleugnen.“Der Vorstand müsse Stellung beziehen: „Wer von Ihnen trägt die Verantwort­ung dafür, dass wir Technik und Marketing wieder in den Griff bekommen? Wer übernimmt die Verantwort­ung für das Produktdes­aster unserer aktuellen Modellpale­tte?“

Starker Tobak für die Volkswagen-welt, in der Arbeitnehm­erund Arbeitgebe­rseite in Hauptfrage­n häufig an einem Strang ziehen – auch im Aufsichtsr­atspräsidi­um, dem Osterloh ebenso angehört wie Vertreter des Porsche/piëch-clans und Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD). Beim Aushandeln des Sparprogra­mms „Zukunftspa­kt“hatte es zwar heftigen Zank mit Diess gegeben, den Osterloh auch schon mal scherzhaft „Onkel Herbert“nennt. Aber zuletzt war so etwas wie ein Stillhalte­abkommen im Interesse der gemeinsame­n Sache entstanden: des Wandels vom klassische­n Hersteller zum E-auto- und Digitalkon­zern.

Doch die It-probleme reißen nicht ab. Gerade kamen Funktionss­törungen beim Notrufassi­stenten hinzu. VW droht ein Rückruf, mindestens auch der Tochter Skoda. Mögliche Ursache: eine fehlerhaft­e Datenübert­ragung am Steuergerä­t, für den Golf und Octavia gilt ein Lieferstop­p. Dabei können Hersteller anschwelle­nde Lagerbestä­nde nicht gebrauchen, die Absatzflau­te ist in der Corona-krise groß genug. Für den Tiguan soll es einen Bestellsto­pp geben.

Es könnte also enger werden für Diess. Auch wenn Betriebsra­t und IG Metall versichern: An Gerüchten über einen Umsturzpla­n gegen den im Sommer 2015 von BMW gekommenen Manager sei nichts dran.

Die Probleme treffen dennoch einen neuralgisc­hen Punkt – symbolisch ist kaum ein anderes Modell so wertvoll für den Konzern. „Der Golf wird zunehmend an Bedeutung verlieren, je mehr die Elektromob­ilität hochfährt“, sagt Nordlb-branchenex­perte Frank Schwope. „Noch ist er aber das Aushängesc­hild von Volkswagen.“

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