Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Happy Birthday: 30 Jahre Investmentzertifikate
Kaum ein Bereich der Finanzindustrie erwies sich in den vergangenen drei Jahrzehnten derart innovativ wie die Zertifikatebranche. Ein kurzer Ritt durch die derivative Zeitgeschichte zeigt die wichtigsten Entwicklungen auf.
Bei Entwicklungen am Finanzmarkt lässt sich oft kein exakter Anfangszeitpunkt bestimmen. Gleichwohl muss die Emission der ersten Partizipationsscheine der Dresdner Bank im Jahr 1990 sicherlich als die Geburtsstunde des deutschen Zertifikatemarkts für Privatkunden betrachtet werden.
Zum ersten Mal war es Anlegern damit möglich, mit kleinen Beträgen und dem Kauf nur eines einzigen Wertpapiers am Kursverlauf des wichtigsten deutschen Aktienindex, dem Dax, eins zu eins zu partizipieren. Noch im selben Jahr wurde auch das erste Garantieprodukt, emittiert vom Schweizerischen Bankverein (der heutigen UBS), auf den Markt gebracht.
Von da an dauerte es weitere fünf Jahre, bis Discount-zertifikate, die erstmals von HSBC Trinkaus begeben wurden, als dritte bedeutende Struktur hinzukamen. Es folgten im Jahr 2001 die ersten Turbo-zertifikate, die sich im Vergleich zu klassischen Optionsscheinen insbesondere durch ihre leicht nachvollziehbare Funktionsweise auszeichnen, und im November 2002 die ersten Rolling Discounts der UBS. Die „Erfindungen“des Jahres 2003 waren Bonus-zertifikate, bei denen Sal. Oppenheim knapp die Nase vorne hatte, sowie Express-zertifikate, die aus der Konstruktionsschmiede der Hypovereinsbank hervorgingen. Twin-wins, also Produkte, mit denen sich bei steigenden und fallenden Kursen Geld verdienen lässt, wurden dem Privatanleger 2005 wiederum von Sal. Oppenheim als erstes offeriert.
Natürlich konnten sich keineswegs alle Strukturen, die im Laufe der Jahre immer komplizierter wurden, am Markt behaupten. Beispielsweise spielen Volatilitäts-zertifikate, die erstmals von Merrill Lynch angeboten wurden und mit denen sich auf Veränderungen bezüglich der für die Zukunft erwarteten Schwankungsintensität des Aktienmarktes spekulieren lässt, heute überhaupt keine Rolle mehr. Auch Hedge-fonds-zertifikate führen trotz euphorischem Start in den Jahren 2000 und 2001 inzwischen ein ausgeprägtes Schattendasein.
Parallel zur Emission immer neuer Varianten nahm auch die Palette der verfügbaren Basiswerte kontinuierlich zu, und das Volumen des Derivatemarktes stieg immer weiter an, bevor die Branche mit der Lehman-pleite im September 2008 ihre bis dato schwärzeste Stunde erlebte.
Mit einem Schlag wurde vielen Anlegern klar, dass es sich bei Derivaten um Schuldverschreibungen handelt und ein Konkurs des Emittenten in der Regel den Totalausfall des eingesetzten Kapitals zur Folge hat. Hinzu kamen weitere Enttäuschungen im Rahmen der folgenden Finanz- und Wirtschaftskrise, in der eine ganze Reihe von Zertifikaten nicht das hielt, was sich ihre Besitzer von ihnen versprochen hatten. Zum einen lag dies sicherlich an übertriebenen Renditezielen der Käufer, die einfach zuviel Risiko eingingen. Zum anderen trugen aber auch die unzureichende Produkt- und Kommunikationspolitik der Emittenten sowie falsche Beratung verschiedener Banken ihren Teil zum Imageverlust der Derivateindustrie bei. Dank entsprechender Bemühungen der Anbieter sowie des Deutschen Derivate Verbands als Interessenvertretung der Branche konnte inzwischen zu Recht allerdings erhebliches Vertrauen zurückgewonnen werden.
Zurzeit (Stand Ende Februar) haben heimische Privatanleger knapp 70 Milliarden Euro in derivative Wertpapiere investiert. Ein knappes Drittel hiervon ist in strukturierten Anleihen angelegt, dicht gefolgt von Express-zertifikaten (28,2 Prozent). Auf den weiteren Rängen folgen Aktienanleihen mit 11,4 Prozent, Kapitalschutz- und Discount-zertifikate.
Dabei haben sich aufgrund des Corona-crashs im Jubiläumsjahr viele Papiere erneut großen Herausforderungen ausgesetzt gesehen. Zum Teil fielen die Verluste noch höher aus als bei den jeweiligen Basiswerten. Zu nennen sind hier etwa mit Aufgeld erworbene Bonus-zertifikate. Bei vielen anderen Papieren hat sich jedoch erneut gezeigt, dass Zertifikate bei konservativer Wahl und Beschränkung auf die Grundversionen mit möglichst einfachen Strukturen in der Regel ein geringeres Anlagerisiko beinhalten als das Underlying. Davon abgesehen sind dank gefallener Kurse sowie der gestiegenen Volatilität heute viele Zertifikatetypen attraktiver als noch Anfang des Jahres.
Deutsche Privatanleger haben knapp 70 Milliarden Euro in derivative Wertpapiere investiert