Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Das Phän men Harib
Im kommenden Jahr feiert der bekannteste Süßwarenhersteller der Republik sein Hundertjähriges. Annäherung an ein eigenwilliges Unternehmen.
GRAFSCHAFT Am Anfang der Geschichte steht ein afrikanischer Baum. Genauer gesagt: eine Akazie. Aus ihrem Baumharz wird ein Stoff gewonnen, der unter dem Handelsnamen „Gummi arabicum“bekannt ist. Nach dem Trocknen bilden sich daraus Klümpchen mit einer bräunlich-gelben Färbung. Wirft man diese Brocken ins Wasser, entsteht eine zähflüssige Masse, der Stoff, aus dem lange Zeit die süßesten Kinderträume waren.
Denn 1922 erfindet der damals 29-jährige Johann „Hans“Riegel in einer umfunktionierten Hinterhof-waschküche ein Gummi-arabicum-kaubonbon in Form eines Tanzbären, wie sie damals nur noch vereinzelt auf Jahrmärkten anzutreffen sind. Es ist die Geburtsstunde des Gummibärchens und damit die des Traditionsunternehmens Haribo.
Riegel ist kein Zufallstreffer gelungen, er ist experimentierfreudig und beherrscht schlicht sein Handwerk. Der aus einfachsten Verhältnissen stammende junge Mann hat den Beruf des Bonbonkochers gelernt, nachdem er zuvor mit 15 Jahren als Botenjunge in der Godesberger Lakritzfabrik Kleutgen und Meier angeheuert hatte. Die Berufsausbildung in der Tasche, kehrt er Bonn den Rücken und findet Anstellung bei einem Bonbon-werk in Neuss. Kriegsversehrt – er ist schwerhörig – kehrt er aus dem Ersten Weltkrieg zurück und geht in seine alte Heimat, dort stellt ihn das Familienunternehmen Heinen einen. Die erkennen schnell seine Geschäftstüchtigkeit und machen ihn zum Teilhaber. Das schafft Selbstvertrauen. Riegel macht sich selbstständig und lässt am 13. Dezember 1920 die Firma namens Haribo (Hans Riegel Bonn) eintragen. Es beginnt die Zeit des Experimentierens. Sein Startkapital ist extrem überschaubar: ein Sack Zucker, eine Marmorplatte, ein Hocker, ein gemauerter Herd, ein Kupferkessel und Der BonbonKocher Hans Riegel gründet 1920 die Firma Haribo. eine Walze. Riegel fertigt in Handarbeit und fährt die Bonbons mit dem Fahrrad zu den Händlern. Die Geschäfte laufen gut. So muss er bald neben seiner Gattin Gertrud weitere Mitarbeiter einstellen. 1925 gelingt ihm die zweitwichtigste Erfindung: die Lakritzschnecke. Auch sie begründet den Mythos von Haribo.
Der Generationswechsel wird plötzlich nötig, als 1945 Hans Riegel im Alter von nur 52 Jahren stirbt. Die Söhne Hans und Paul übernehmen das Ruder, nachdem sie aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt sind. Sie bauen das Unternehmen zur Weltmarke auf, verstehen früh, welch enorme Bedeutung geschicktes Marketing im jungen Medium Fernsehen hat („Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso!“). Sie gewinnen in den 90er-jahren den Tv-moderator Thomas Gottschalk als Werbeikone.
Die Rollen der beiden Brüder sind klar verteilt: Während Hans Riegel nach außen hin das Gesicht der Firma darstellt und den kaufmännischen Part übernimmt, ist der öffentlichkeitsscheue Bruder Paul für die Produktentwicklung und Forschung verantwortlich. Lange Jahre funktioniert diese Zweiteilung. Doch die süße Welt bei Haribo bekommt Risse. Die Familien der ungleichen Brüder zerstreiten sich über die Frage, wer die Firma künftig führen soll. Nach dem Tod Pauls 2009 versucht Hans Riegel, die Erben aus dem Spiel zu halten. Hans Riegel gilt als komplizierter Zeitgenosse. Wie ein Herrscher, so beschreibt es die „Zeit“, leitet der kinderlose Patriarch den Konzern. Gewerkschaftsarbeit gestaltet sich unter ihm schwierig. Eine Lösung mit Paul Riegels Erben wird erst nach einigem juristischen Hickhack gefunden: eine Holding-struktur. 2013 stirbt Hans Riegel im hohen Alter von 90 Jahren. In seinem Testament hat er verfügt, dass in seiner Familienstiftung kein Nachkomme seines Bruders je eine Rolle übernehmen darf.
Heute ist Pauls Sohn Hans Guido Chef bei Haribo und macht sich daran, das Unternehmen zu modernisieren. Einfacher geworden ist es nicht. So liefert sich Haribo jüngst einen Rechtsstreit in Korea mit einem Exporteur, der sich vom Unternehmen ausgebootet fühlt. Im Raum steht zudem nach einem Bericht des 1920 Erste Produktionsstätte ist eine Hinterhof-waschküche in Bonn-kessenich. „Manager
Magazins“der Vorwurf, bei einer Asien-tochter in Singapur könne es sich um eine Briefkastenfirma handeln. Die empörte Reaktion aus der Konzernzentrale: „Wir versteuern unsere Einkünfte in Deutschland, einschließlich der Lizenzeinnahmen aus den weltweiten Markenumsätzen.“Der Aufbau von Vertriebsgesellschaften im Ausland habe keine steuerlichen Gründe. Der Grund sei die Nähe zu Markt, Kunden und Verbrauchern sowie zu qualifiziertem Personal. 1922 entwickelt Riegel seinen ersten Verkaufsschlager: den Tanzbären. 1925 beginnt Hans Riegel mit der Lakritzproduktion.
Daneben dreht sich allerdings auch gesellschaftlich der Wind. Das gestiegene Gesundheitsbewusstsein der Verbraucher und Diskussionen über Nährwert-ampeln können einen Süßwarenhersteller nicht kalt lassen. Haribo reagierte und brachte Fruchtgummis mit 30 Prozent weniger Zucker auf den Markt.
Noch ist das Unternehmen unangefochtene Nummer eins bei den jungen Konsumenten. Auf die Frage, welche Marken sie denn gerade 1946, ein Jahr nach dem Tod des Vaters, übernehmen die Brüder Hans junior und Paul. 1960 wird aus dem Tanzbären der Goldbär. richtig cool bei Süßigkeiten und Keksen fänden, nannten 28 Prozent der Sechs- bis 19-Jährigen Haribo. Unangefochtener Spitzenwert. Doch auch der Trend zur veganen Ernährung setzt Haribo zu. Längst ist Gummi arabicum durch Gelatine ersetzt worden – und die besteht nun mal aus tierischen Proteinen.
Zudem birgt der Modernisierungsprozess so manchen Fallstrick. Ende 2018 sorgten Softwareprobleme dafür, dass die Goldbärenproduktion gedrosselt werden musste.
Ein Schock für die Bonner Bürger war zudem die Ankündigung, dass das Traditionsunternehmen seinen Hauptsitz nach Rheinland-pfalz verlagert. Den Umzug in die Gemeinde Grafschaft brachte der Konzern im Mai 2018 über die Bühne. 400 Mitarbeiter in der Verwaltung waren betroffen. Dass der große Aufschrei ausblieb, lag auch daran, dass Grafschaft nur gut 20 Kilometer von Bonn entfernt liegt. Ein Logistikzentrum hatte Haribo dort bereits betrieben.
Achim Juchem ist Bürgermeister in Grafschaft und äußerst zufrieden mit den Zugezogenen. „Wir sind eine sehr dörfliche, ländliche Region, in der den Menschen an einem guten Miteinander gelegen ist. Mit Haribo haben wir das.“Die Gemeinde profitiert dreifach: Bis zu vier Produktionshallen dürfte Haribo in dem neuen Gewerbegebiet bauen, die erste steht bereits. Das bringt Arbeitsplätze. „Menschen, die bislang pendeln mussten, haben nun Arbeit vor Ort“, sagt der Bürgermeister. Zweitens sprudeln die Steuereinnahmen. Der Haushalt verdreifachte sich nahezu von fünf Millionen auf nunmehr 14 Millionen Euro. Und drittens engagieren sich die Neuen im Ort – nach Aussagen von Juchem, ohne sich dabei in den Vordergrund zu spielen. Gerade erst sei mit Hilfe von Haribo die örtliche Kirche saniert worden. Juchem spricht von „guter Nachbarschaft“.
2020 dürfte es der neue Nachbar ordentlich krachen lassen. Das Unternehmen freue sich schon sehr auf sein 100-jähriges Jubiläum, teilte ein Sprecher mit. „Und wir werden dies entsprechend angemessen feiern.“Konkrete Maßnahmen könne man noch nicht verraten. Den Bär steppen lassen, werden sie jedoch ganz bestimmt. 1991 Thomas Gottschalk wird Werbepate für Haribo und bleibt es bis 2015. 2018 verlagert Haribo seinen Sitz in die Gemeinde Grafschaft (Rheinland-pfalz).