Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Das Impulse-festival startet diesmal mit Turnen
DÜSSELDORF Die guten Nachricht: Das Impulse-theater-festival hat einen Ansatz gefunden, seine Eröffnungsreden zu inszenieren. Im Tanzhaus NRW waren sie eingebettet in die starke Tanz-choreographie „Witness“von Reut Shemesh, die sich mit der Tradition des Gardetanzes auseinandersetzt – und damit als Kommentar zu einer wichtigen Tradition Düsseldorfs zu lesen ist. Auch der „Zweite Versuch über das Turnen“der Gruppe Hauptaktion überzeugte als Recherchearbeit mit überraschenden Perspektiven auf die Geschichte des deutschen kollektiven Bewusstseins.
Reut Shemesh hat die Ausschnitte von„witness“mit der Tanzgarde der Landeshauptstadt einstudiert. Auf den ersten Blick wirkt die Aufführung deshalb, als könne sie im Karneval stattfinden. Doch der perfekte Bewegungsablauf offenbart Brüche: Eine tanzt aus der Reihe; eine ist einen Kopf größer als die anderen und muss in Reihenaufstellungen in die Knie gehen. Durch solche Verschiebungen stellt die Performance die Frage nach der Möglichkeit von Individualität im normierten Gruppengeschehen.
Mit dieser Arbeit korrespondiert der „Zweite Versuch über das Turnen“, bei dem sich acht Performer rückwärts durch 200 Jahre deutsche Turnbewegung arbeiten und anhand von Turnfesten im heutigen Deutschland, ehemaligen Teilen von Deutschland und deutschen Kolonien die Genese der Nation zeigen. Sie tun das aus einer Zukunftsperspektive aus dem Jahr 2028, in dem eine Turnveranstaltung unter knallharten Leistungsprinzipien stattfindet: Wer Fehler macht, geht.
Gleich zu Anfang erstaunt, wie altbacken eine Ansprache des Präsidenten des Deutschen Turner-bunds aus dem Jahr 2017 klingt. Erschreckend, wie das gemeinsame Turnen in den Kolonien im heutigen Namibia oder Tansania genutzt wurde, um Zugehörigkeit zu einem behaupteten Volkskörper zu stärken. Interessant, dass schon Turnvater Jahn 1813 seine Idee gemeinsamer Leibesübungen politisch auflud und als patriotische Vorbereitung auf den Befreiungskrieg gegen Frankreich verstand. Bis die zahlreichen Zuschauer diese spannende Arbeit sehen durften – das ist die schlechte Nachricht – mussten sie sechs ausführliche, wenig erhellende Eröffnungsreden über sich ergehen lassen. Man sollte darüber nachdenken, ob die Eitelkeit von Förderern und Gastgebern des Festivals nicht anders befriedigt werden kann.