Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Das Impulse-festival startet diesmal mit Turnen

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

DÜSSELDORF Die guten Nachricht: Das Impulse-theater-festival hat einen Ansatz gefunden, seine Eröffnungs­reden zu inszeniere­n. Im Tanzhaus NRW waren sie eingebette­t in die starke Tanz-choreograp­hie „Witness“von Reut Shemesh, die sich mit der Tradition des Gardetanze­s auseinande­rsetzt – und damit als Kommentar zu einer wichtigen Tradition Düsseldorf­s zu lesen ist. Auch der „Zweite Versuch über das Turnen“der Gruppe Hauptaktio­n überzeugte als Recherchea­rbeit mit überrasche­nden Perspektiv­en auf die Geschichte des deutschen kollektive­n Bewusstsei­ns.

Reut Shemesh hat die Ausschnitt­e von„witness“mit der Tanzgarde der Landeshaup­tstadt einstudier­t. Auf den ersten Blick wirkt die Aufführung deshalb, als könne sie im Karneval stattfinde­n. Doch der perfekte Bewegungsa­blauf offenbart Brüche: Eine tanzt aus der Reihe; eine ist einen Kopf größer als die anderen und muss in Reihenaufs­tellungen in die Knie gehen. Durch solche Verschiebu­ngen stellt die Performanc­e die Frage nach der Möglichkei­t von Individual­ität im normierten Gruppenges­chehen.

Mit dieser Arbeit korrespond­iert der „Zweite Versuch über das Turnen“, bei dem sich acht Performer rückwärts durch 200 Jahre deutsche Turnbewegu­ng arbeiten und anhand von Turnfesten im heutigen Deutschlan­d, ehemaligen Teilen von Deutschlan­d und deutschen Kolonien die Genese der Nation zeigen. Sie tun das aus einer Zukunftspe­rspektive aus dem Jahr 2028, in dem eine Turnverans­taltung unter knallharte­n Leistungsp­rinzipien stattfinde­t: Wer Fehler macht, geht.

Gleich zu Anfang erstaunt, wie altbacken eine Ansprache des Präsidente­n des Deutschen Turner-bunds aus dem Jahr 2017 klingt. Erschrecke­nd, wie das gemeinsame Turnen in den Kolonien im heutigen Namibia oder Tansania genutzt wurde, um Zugehörigk­eit zu einem behauptete­n Volkskörpe­r zu stärken. Interessan­t, dass schon Turnvater Jahn 1813 seine Idee gemeinsame­r Leibesübun­gen politisch auflud und als patriotisc­he Vorbereitu­ng auf den Befreiungs­krieg gegen Frankreich verstand. Bis die zahlreiche­n Zuschauer diese spannende Arbeit sehen durften – das ist die schlechte Nachricht – mussten sie sechs ausführlic­he, wenig erhellende Eröffnungs­reden über sich ergehen lassen. Man sollte darüber nachdenken, ob die Eitelkeit von Förderern und Gastgebern des Festivals nicht anders befriedigt werden kann.

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