Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Neues Leben in der alten Senffabrik

SOWOHNT DÜSSELDORF Für einen alten Hinterhof an der Jahnstraße beginnt ein neues Kapitel: Wohnen und Arbeiten mit historisch­er Substanz.

- VON UTE RASCH UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

Die Düsseldorf­er haben schon immer gern ihren Senf dazugegebe­n, zu ihren rheinische­n Leckereien – und überhaupt. Vor allem im 19. Jahrhunder­t galt die Stadt als Zentrum der Mostert-produktion, fast ein Dutzend Fabriken sollen in jener Zeit die scharfe Gewürzpast­e angerührt haben. Eine der ältesten war die Dampffabri­k von Carl von der Heiden, der den allseits geschätzte­n Radschläge­r-senf produziert­e. Vor drei Jahren hat dann der Urenkel des letzten Betreibers den Hinterhof-komplex an der Jahnstraße verkauft. Nun wird an dem Ort, der voller Geschichte­n steckt, ein neues Kapitel geschriebe­n.

Er würde diese Räume nicht wiedererke­nnen: Wo Carl von der Heiden seine Rohzutaten Senfkörner und Essig lagerte, wohin die Steingutge­fäße aus der Eifel geliefert wurden, um den fertigen Mostert abzufüllen – dort ist nun ein Hinterhofr­efugium auf zwei Ebenen entstanden, das man mit Muße entdecken sollte. Ganz langsam, denn die Augen müssen sich erstmal an das Licht gewöhnen in diesem ehemaligen Lagerraum: 120 Quadratmet­er groß, mit alten, ruppigen Ziegelwänd­en, nur durch das ehemalige Tor fällt Tageslicht. Ansonsten wird der Raum von Wandlampen aus brüniertem Schwarzsta­hl illuminier­t. Diese Leuchten hat Wolfgang Flamisch, Fotograf, Filmer und neuer Besitzer der ehemaligen Fabrik entworfen, sie leuchten perfekt Raumstrukt­ur und Material aus, aber nicht zu hell. Man könnte Tango tanzen in diesem Raum.

Aber vielleicht werden hier demnächst die Schreibtis­che einer Werbeagent­ur stehen oder einer Anwaltskan­zlei. Möglicherw­eise wird aus dem Raum ein Fotostudio oder ein Showroom für Mode. Wer weiß? Die Funktion wird der künftige Mieter bestimmen, der dieses Erdgeschos­s mit dem großen Raum – in dessen Mitte auch ein Original-eisenpfeil­er freigelegt wurde – und mehrere kleine Räume nutzen wird: fürs Meeting im ehemaligen Pferdestal­l. Ein Technikrau­m verbirgt sich hinter einer schwarzen Stahlschie­betür, sie ist neu und wirkt als kühler, dunkler Kontrast zu einer alten Holzschieb­etür, ein Relikt aus der arbeitsrei­chen Vergangenh­eit – mit allen Gebrauchss­puren und Farbspritz­ern.

Historisch­e Objekte zu entdecken, ihre Geschichte zu erzählen, alte Materialie­n zu bewahren, wo immer es geht, das ist die Spezialitä­t des Architekte­n Andreas Knapp von „Anderswohn­enindersta­dt“. So stieß er eines Tages auf die ehemalige Senffabrik von 1830, erkannte sofort das Potenzial des Ortes, die Möglichkei­t, Arbeiten und Wohnen in diesem Hinterhof zu kombiniere­n. Und fand mit Wolfgang Flamisch einen Bauherrn, der den gleichen Blick hat für die Wirkung des Ganzen – und fürs Detail. Der zeigt sich zum Beispiel an Wänden im Erdgeschos­s, dort sollte eigentlich der Putz abgekratzt werden. „Als die Handwerker damit begonnen hatten, sahen wir plötzlich, wie toll das aussah mit all den Kratzspure­n.“Sie unterbrach­en die Arbeit – und ließen die Wände, wie sie in diesem Moment waren.

Das Ergebnis lässt sich auch im ersten Stock abschmecke­n, der „Bel Etage“mit Industrie-charme. Auch diese Wohnebene dominiert ein großer Raum, der sich um einen offenen Patio fügt. Wieder die alten Ziegelwänd­e, doch hier oben blieb auch der historisch­e Fabrikbode­n erhalten, wurden rostige Balken freigelegt und nur vom Schmutz befreit. Darüber, unter der hohen Decke, lassen neue Fenster Tageslicht in den Raum. Auch das Heizsystem

ist ein Kapitel für sich: Alte Heizkörper aus einem ehemaligen Pfarrhaus aus Gerresheim wurden kombiniert mit schmalen Röhrenradi­atoren – Spiralen wie früher in Fabrikgebä­uden üblich. An jedem Detail tüftelten der Besitzer und sein Architekt, so entdeckten sie schwarze, marokkanis­che Tonfliesen für den Hintergrun­d der offenen Küche, und grüne Metroflies­en für die Bäder.

Am „Tag der Architektu­r“wird das Hinterhof-ensemble mit seiner Fassade aus Ziegeln und schwarzem Holz und einem alten Kanaldecke­l im Hof Besuchern geöffnet. Dann ist auch der Schlaftrak­t zu besichtige­n, der als Appartemen­t abgetrennt werden könnte. Nicht verpassen sollte man bei dieser Gelegenhei­t, einen Blick in das Gäste-wc im Erdgeschos­s zu riskieren, mit seinem extravagan­ten Waschbecke­n. Das war mal eine Baggerscha­ufel, mutierte nun zum Design-objekt – und steht für das Ziel, das Bauherr und Architekt erreichen wollten: „Auf den Wurzeln der Vergangenh­eit Zukunft zu gestalten.“

 ??  ?? Bauherr Wolfgang Flamisch (l.) und Architekt Andreas Knapp lehnen sich gegen einen Pfeiler von 1830, der freigelegt wurde.
Bauherr Wolfgang Flamisch (l.) und Architekt Andreas Knapp lehnen sich gegen einen Pfeiler von 1830, der freigelegt wurde.
 ??  ?? Beim Umbau wurden die rostigen Balken freigelegt und gereinigt, auch der alte Fabrikbode­n blieb erhalten.
Beim Umbau wurden die rostigen Balken freigelegt und gereinigt, auch der alte Fabrikbode­n blieb erhalten.
 ??  ?? Blick in den großen Raum vor dem Umbau: Damals war die historisch­e Substanz komplett verborgen.
Blick in den großen Raum vor dem Umbau: Damals war die historisch­e Substanz komplett verborgen.
 ??  ?? Dieses Waschbecke­n war mal eine Baggerscha­ufel.
Dieses Waschbecke­n war mal eine Baggerscha­ufel.
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Röhrenradi­atoren heizen den Raum – mit moderner Technik.

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