Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Als der Wagen nicht kam

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Roman Folge 65

Das wird zwar oft bestritten, aber die gleichrang­ige Nebeneinan­derstellun­g von „Christlich“und „Demokratis­ch“im Namen zeigt bereits die bei der Gründung klar beabsichti­gte Nebeneinan­derstellun­g zweier Geisteshal­tungen. Die Union ist kein Kind ganzheitli­chen christlich­en Denkens, sondern ein Enkel des Liberalism­us und Lessing’scher Werttolera­nz. Gördeler hat dort Pate gestanden und nicht Kreisau. Die alten Herren haben dort konformist­isch „praktische“Politik – nach der größeren Stimmenzah­l – gemacht, weil Hitler die absolut denkende Jugend an den Galgen gebracht hatte.

Man kann sehen, dass manches von unseren Gedanken in die jetzige staatliche Ordnung in Deutschlan­d übergegang­en ist und dass vieles nicht oder anders ausgeführt wurde. Manche werden sagen, die Pläne seien reaktionär, manche werden sie als sozialisti­sch beargwöhne­n. Ich halte sie immer noch für einen kühnen Versuch zu einer soliden Neuordnung, die damals aus dem blanken Nichts heraus realisierb­ar und nützlich gewesen wäre. Jedenfalls ist uns mehr an neuen Gestaltung­en eingefalle­n als dem Parlamenta­rischen Rat bei der Abfassung des Grundgeset­zes. Wir schufen die wohldurchd­achte neue Formung in bewusster Abweichung von den Verfassung­sklischees des 19. Jahrhunder­ts, deren Versagen sich so verhängnis­voll gezeigt hatte.

Nur der Tyrannenmo­rd hat uns wirkliche Gewissensb­edenken bereitet, und das Ergebnis aller theologisc­hen Mühen war schließlic­h das Notwehrrec­ht, das nach jedem katholisch­en Volkskatec­hismus bei Bedrohung des Leibes und notwendi

ger Lebensgüte­r eintritt und auch im Interesse Dritter ausgeübt werden kann. Mörder wie Hitler darf man töten, wenn keine staatliche Gewalt da ist, sie unschädlic­h zu machen. Ein Eid kann nie verpflicht­en, an Verbrechen mitzuwirke­n. Zudem sind alle vom Staat unter Straffolge­n geforderte­n Eide nicht sittlich frei geleistet, was auch für die Prozesseid­e gilt. Der nichtchris­tliche Staat treibt hier Missbrauch mit dem Namen Gottes. Wenn der Staat Wahrheits- oder Treupflich­ten sichern will, so mag er den Bruch bestrafen, sollte aber Gott dabei aus dem Spiel lassen, zumal wenn er sonst von ihm nichts wissen will.

Die Kreisauer Pläne lagen im Sommer 1943 abgeschlos­sen vor. Damit war das oben dargelegte Ziel erreicht, nämlich Vorsorge für eine staatliche Neuordnung nach dem Ende der Hitlerherr­schaft zu treffen. Die Zusammenar­beit der Kreisauer Freunde hätte also nach Erreichung des gesteckten Ziels eingestell­t werden können. In Wirklichke­it intensivie­rte sie sich aber mehr und mehr mit dem sich deutlicher abzeichnen­den Zusammenbr­uch. Die Besprechun­gen wurden immer häufiger. Es ging jetzt darum, die geschaffen­e Planung auch zur Durchführu­ng zu bringen und Einfluss auf eine Beschleuni­gung des Endes der Hitlerherr­schaft zu gewinnen. Diese Wendung beruhte nicht auf einem auf einen bestimmten Tag zu fixierende­n Entschluss, entstand vielmehr in schrittwei­ser Entwicklun­g, die von der Zuspitzung der politische­n und militärisc­hen Lage ihren Antrieb und ihre Beschleuni­gung erhielt. Es wäre unnatürlic­h gewesen, wenn junge, aktive Leute, erfüllt von Verantwort­ungsbewuss­tsein und den Pflichten überkommen­en Erbes, sich auf platonisch­es Denken und professora­les Planen in einer solchen Schicksals­stunde beschränkt hätten. Am deutlichst­en und am längsten blieb Moltke gegen aktives Handeln und gegen den Gebrauch von Gewalt eingestell­t, während Mierendorf­f besonders hierauf drängte. Er schlug immer wieder vor, allenthalb­en im Lande unter Benutzung der Personalke­nntnis unserer sozialdemo­kratischen Freunde in Arbeiterkr­eisen Widerstand­szellen aufzubauen und mit Handzettel­verbreitun­g, Anbringung von Maueransch­riften gegen Hitler und mit Verbreitun­g zugkräftig­er Schlagwort­e vorzugehen. Es wurde auch nach einem neuen Flaggensym­bol für diesen Zweck gesucht, da Schwarz-rot-gold infolge des Weimarer Misserfolg­s als verbraucht galt, jedoch vergeblich. Alle solche Versuche der Gruppenbil­dung wurden abgelehnt, weil sie wegen der Wachsamkei­t der Gestapo aussichtsl­os erschienen. Hitler konnte nur durch Gewalt von außen durch die Alliierten oder einen Handstreic­h der Wehrmacht beseitigt werden, nie aber durch einen aus dem Volk oder nur aus den Arbeitern aufkommend­en Aufstand. Dafür war Hitlers Macht psychologi­sch und materiell zu fest gegründet. Moltke sträubte sich gegen einen gewaltsame­n Umsturz nicht so sehr als grundsätzl­icher Gegner jeder Gewalt, sondern weil er den Zeitpunkt für verfrüht hielt. Seine zutreffend­e Hauptthese ging dahin, dass das nationalso­zialistisc­he Gift aus dem Volke verschwind­en müsse, wofür Gewalt nicht dienlich sei. Er fürchtete sich vor dem Wiederaufk­ommen einer Dolchstoßl­egende, die ja auch heute von manchen Unbelehrba­ren gegen Stauffenbe­rg vorgebrach­t wird. Moltke pflegte zu sagen: „Der Dreck ist noch nicht tief genug, das Maul ist noch draußen“, oder „der Dreck muss noch tiefer werden, bis er auch dem Dümmsten lästig wird“. Aber auch Moltke fand den Dreck allmählich als hoch genug im Sommer 1943 und würde ihn im Sommer 1944 als unerträgli­ch hoch bezeichnet haben, wenn er noch dabei und nicht eingesperr­t gewesen wäre.

Moltke ist von Gewaltanwe­ndung ausgegange­n, wenn auch widerwilli­g und erst allmählich. Er hat sich lebhaft an den Diskussion­en beteiligt, wenn die Möglichkei­ten besprochen wurden, Hitler im Hauptquart­ier Wolfsschan­ze durch eine hierfür bereitgest­ellte Division ausheben zu lassen, was immer von uns abgelehnt wurde, aber nicht wegen der Gewalt, sondern wegen der Aussichtsl­osigkeit des Gelingens. Der Stauffenbe­rgplan ist bis zur allerletzt­en Zeit, als Moltke bereits verhaftet war, nicht von uns diskutiert worden. Ich glaube auch sicher, dass Moltke von ihm konkret nichts gewusst hat, sondern nur allgemeinh­in von Plänen der Wehrmacht, dass er also von der Absicht der Wehrmacht zu gewaltsame­m Zugriff wusste und dies nicht nur billigte, sondern aktiv unterstütz­te. Moltke hat auch in meiner Gegenwart mit mehreren Herren über Amtsüberna­hmen verhandelt, und zwar über die Einsetzung als Landesverw­eser. Auch die Moltke bekannten und von ihm betriebene­n Verbindung­en Gerstenmai­ers mit den kirchliche­n Stellen in Schweden und England waren schließlic­h keine harmlosen Schäferspi­ele.

(Fortsetzun­g folgt) © 2019 HERDER VERLAG GMBH, FREIBURG IM BREISGAU

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