Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Notre-dame erwacht wieder zum Leben
Am Samstag ist in einer Seitenkapelle der Kathedrale erstmals nach dem Großbrand vor zwei Monaten wieder eine Messe gefeiert worden. Beim Wiederaufbau geht es vor allem um die Frage: Modernisierung oder Originaltreue?
PARIS (Rp/dpa) Baulampen strahlen den Altar in einem grellen Licht an. Es reiche gar nicht aus, zu sagen, dass sie glücklich seien, diese Messe zu zelebrieren, sagt der Pariser Erzbischof Michel Aupetit zum Abschluss seiner Predigt – auf seinem Kopf trägt er einen weißen Sicherheitshelm. Die erste Messe in der berühmten Kathedrale Notre-dame seit dem verheerenden Großbrand im April hat am Samstagabend unter hohen Sicherheitsvorkehrungen in der Kapelle Sept Douleurs stattgefunden. Auch die Gemeinde und Priester durften nur mit Bauhelm an dem Gottesdienst teilnehmen. Der Hauptraum ist weiterhin gesperrt. Vor zwei Monaten hatte das Feuer im Dachstuhl der Kirche weltweit für Entsetzen gesorgt.
Auch vor der Kirche herrscht noch Ausnahmezustand. Der Vorplatz, auf dem sich eigentlich Touristen tummeln, Fotos machen und regelmäßig in einer meterlangen Schlange anstehen, um die Kathedrale zu besichtigen, ist immer noch geschlossen. Vor allem die Bleirückstände dort machen den Behörden große Sorgen. Ein riesiges Gerüst verdeckt das Loch, das im Dach klafft. Eine Plane – sie wird von den Experten fast schon liebevoll Regenschirm genannt – sorgt dafür, dass Regen keinen weiteren Schaden anrichtet. Menschen drängen sich an die Absperrgitter, um einen Blick hinter die Bauzäune zu erhaschen. Mittendrin steht eine Gruppe Gläubiger. Sie verfolgen die Messe im Inneren der Kirche auf einem Smartphone und beten. Bei einer Frau fließen Tränen. Der Tag des Brands sei ein Schock für die ganze Stadt gewesen, erklärt ein Pariser. Dass nun zumindest ein kleiner Gottesdienst stattfinde, sei ein gutes Zeichen der Hoffnung, so der Mann.
Notre-dame sei ein Ort der Gottesverehrung, sagt Erzbischof Aupetit in seiner Predigt. Menschen, die dort hin kämen, sollten nicht als Touristen bezeichnet werden. Die Messe sei ein sehr emotionaler Moment gewesen, erklärte der Geistliche nach dem Gottesdienst. Es ist für viele eine Art Wiedergeburt, ein Neuanfang. Auch wenn bis zum heutigen Tag immer noch nicht sicher ist, ob Notre-dame nicht doch noch einstürzen könnte.
Noch sind mehr als hundert Arbeiter – und aus Sicherheitsgründen ein Roboter – damit beschäftigt, die verkohlten oder eingestürzten Dachteile aus dem Kirchenschiff zu entfernen. Die Brandursache ist weiterhin unklar. Eine These lautet: Nachlässigkeit. Die im April im Einsatz befindlichen Sanierungsarbeiter haben dem Vernehmen nach zugegeben, dass sie im Gebälk ab und zu rauchten. Das war streng verboten. Möglich scheint auch ein Kurzschluss: Elektrische Kabel des Baulifts sollen regelwidrig verlegt worden sein.
Das Hauptinteresse gilt aber ohnehin der Zukunft der Kathedrale, also ihrem Wiederaufbau. Denkmalschützer sprechen lieber von einer „Renovierung“, die, was die historischen Monumente anbelangt, an bedeutend strengere Vorgaben gebunden ist als ein „Wiederaufbau“. Konservative Geister werfen Präsident Emmanuel Macron vor, er wolle der Kathedrale ein neues Antlitz verpassen und sich so für die Nachwelt verewigen – so wie François Mitterrand es mit der Glaspyramide im Louvre-hof vorgemacht hat. Tatsächlich hatte der Staatschef schon im April erklärt, er sei nicht gegen ein „zeitgenössisches“oder „innovatives“Vorhaben, das Notre-dame „schöner denn je“mache.
Die erste Aufwallung der konservativen Gefühle hat sich inzwischen etwas gelegt, zumal die Europawahlen vorbei sind. Die große, aber nicht unbedingt schweigende Mehrheit der Franzosen wünscht laut mehreren Umfragen weiterhin eine originalgetreue Wiederherstellung, Sturmspitze inbegriffen. Die erste, aus dem 13. Jahrhundert stammende Version des fein ziselierten Dachreiters war 1792 demontiert worden. Den nun eingestürzten, 93 Meter hohen Nachfolger hatte Eugène Viollet-le-duc 1859 in neogotischem Stil neu errichtet. Das „progressive“Lager argumentiert nun, Notre-dame sei schon einmal sechzig Jahre lang ohne „flèche“(Pfeil) ausgekommen. Es bestehe deshalb kein Zwang zu einer identischen Wiederherstellung.
Der Architekt Jean-michel Wilmotte schlägt vor, die Pfeilspitze aus Kohlenstoff neu zu errichten, um ein ökologisches Zeichen des 21. Jahrhunderts zu setzen. Der Rektor der Kathedrale, Patrick Chauvet, ist nicht überzeugt. Er sei zwar nicht gegen eine „kleine Note“, welche die Erneuerung der Kathedrale symbolisiert, sagte er: „Aber aufgepasst, dass wir nicht einen auf dem Kopf stehenden Eiffelturm mit Blinklichtern bauen.“
Präsident Macron wird sich mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2022 wohl nicht gegen die öffentliche Meinung wenden. Die Kontrolle über den internationalen Architekturwettbewerb will er aber bewahren. Derzeit versucht er ein Gesetz durch das Parlament zu drücken, das der Exekutive – also ihm – Sonderrechte in Sachen Kulturgüterschutz, Urbanismus und Umweltauflagen einräumt.