Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Einewoche ohne

Seitdem Eu-weit keine Roaminggeb­ühren mehr erhoben werden, hat sich unsere Art, Urlaube zu erleben, verändert: Wir orientiere­n uns weiter am Handy. Unsere Autorin (29) ist Smartphone-junkie – und hat Ferien ohne gemacht.

- VON MERLE SIEVERS

DÜSSELDORF Früher fuhr man mit dem Auto, dem Reisebus oder dem Zug über die Landesgren­ze, und zweiminute­n später surrte das Handy. In einer ellenlange­n SMS wurde einem dann mitgeteilt, wieviel man von nun an zu zahlen hatte, wenn man telefonier­en oder Textnachri­chten schreiben wollte. 68 Cent pro Minute, 36 Cent pro SMS. Sogar das Empfangen einer Nachricht, wogegen man sich ja nun mal nicht wehren kann, kostete Geld. So rutschte 2004 im Ferienlage­r auf Korsika das Guthaben meines Prepaidhan­dys ins Minus, und ich machte die ersten Schulden meines Lebens. Minus 18 Cent wegen der unerbetene­n SMS einer Mitschüler­in. Zu dem Heimweh gesellte sich nun auch noch Groll, hatte ich mein Guthaben doch bis auf den letzten Cent genau verplant.

Fast zehn Jahre später fuhr ich nicht mehr ins Ferienlage­r, sondern mit meiner Clique nach Schweden. Ich hatte auch kein Nokia 3310 mehr dabei, sondern ein Smartphone. Auf der Fähre nach Göteborg erhielt ich die Nachricht, dass „für die Nutzung mobiler Daten […] Kosten von 1,12 Euro pro Megabyte bei 1 Kilobyte-taktung“anfallen würden. Wieviel ist das jetzt in Whatsapp-nachrichte­n gerechnet? Die Kosten-androhung meines Mobilfunka­nbieters schreckte mich dermaßen ab, dass ich dasdatenro­aming deaktivier­te und mein Handy fortan nur noch zum Fotografie­ren nutzte. Obwohl ich mir meine Mobilfunkr­echnung schon lange nicht mehr vom Taschengel­d absparen musste: Was Schuldenma­chen durch unkontroll­ierbare Handynutzu­ng im Ausland anging, war ich nicht lockerer geworden.

Seit zwei Jahren kann ich diesbezügl­ich endlich angstfrei Urlaub machen. Im Sommer 2017 wurden die Roaming-gebühren in allen Eu-ländern abgeschaff­t. Halleluja! Auf der Straße stehen und sich per Google Maps zur Unterkunft leiten lassen, Fotos von Sonnenunte­rgängen direkt auf Instagram teilen, Öffnungsze­iten vom Museum recherchie­ren oder die Freunde per Whatsapp-standortbe­stimmung auf dem trubeligen­markt wiederfind­en – alles inklusive. Mobiles Datenvolum­en, so weit der Empfang und der deutsche Handyvertr­ag eben reichen. Und der reicht erstaunlic­h

weit. Selbst von einer Wanderung in der entlegenst­en Ecke der spanischen Pyrenäen, von Zivilisati­on keine Spur, konnte ich instagramm­en. Einsame Ziege vor malerische­r Berglandsc­haft – zack, sofort online. Toll, alles wie zu Hause.

Doch genau das ist ein Problem. Zwar verreisen wir immer öfter und immer weiter, Urlaubssti­mmung kommt aber nur schwer auf, da sich die Aufmerksam­keit dank Smartphone doch regelmäßig auf Ereignisse oder Personen zu Hause richtet. Das bestätigt auch Peter Wippermann, Trendforsc­her und ehemaliger Professor an der Folkwang-universitä­t in Essen. „Die Idee von Urlaub gründet sich ja auf der Annahme, dass wir regelmäßig­e Arbeitszei­ten haben, von denen wir dann auch geregelt eine Auszeit nehmen“, sagt Wippermann. Dem sei aber nicht mehr so. „Arbeitsund Privatlebe­n verschmelz­en, sind durch Smartphone­s ständig präsent und wecken eine Erwartungs­haltung in uns. Wir spüren eine ständige innere Anspannung, unsere sozialen Beziehunge­n aufrechtzu­erhalten und dazugehöre­n zu wollen.“Das Smartphone­werde immer mehr zur Fernbedien­ung für unsere physische Realität – auch im Urlaub.

Anstatt jemanden auf der Straße anzusprech­en und nach dem Weg zu fragen, fragen wir Google Maps. Anstatt zur verabredet­en Zeit an einemtreff­punkt aufeinande­r zu warten, klingeln wir kurz durch, wenn wir uns auf dem Markt verloren haben. Anstatt den Sonnenunte­rgang zu genießen und dabei romantisch zu knutschen, machen wir zwölf bis zwanzig Fotos, um dann das Beste zu posten und auf möglichst viele neidvolle Kommentare zu warten. Gesenkter Kopf, scrollende­r Daumen, Blick aufs Display statt auf den Sonnenunte­rgang.

Sie merken: Ich kenne mich aus mit Übergebrau­ch und Omnipräsen­z von Smartphone­s und bin von mir selbst genervt. Der ARD/ Zdf-onlinestud­ie von 2018 zufolge verbringen unter 30-Jährige durchschni­ttlich 5,8 Stunden täglich im Netz. Eine gigantisch­e Zahl, die mich erschreckt, aber die ich nicht leugnen kann. Ich bin ein Heavy User – jemand, der intensiv und viel Zeit am Handy verbringt. Mein Leben organisier­e ich nahezu komplett darüber. Hinzu kommen Timelines in fünf sozialen Netzwerken, die ich regelmäßig checke, und Serien, die ich gerne bei Streamingd­iensten schaue. Mir macht das Spaß, manchmal entspannt es mich. Dass ich meinen Gebrauch aber nicht mal mehr im Urlaub reduzieren konnte, ärgerte mich und auch meine Mitreisend­en irgendwann sehr. Die Diskussion hallte nach, wurde ruhengelas­sen, dann nach einigen Wochen wieder aufgenomme­n und mündete für mich in einem Entschluss: Es war Zeit für das, was manche derzeit Digital Detox nennen. Eine digitale Entgiftung. Ein Entzug. Eine Pause.

Mein Urlaub Anfang Juni fand für mich daher ohne Smartphone statt – im digitalen Kloster quasi. Ein Kloster in Form einer hübschen Ferienwohn­ung auf Mallorca. Dabei habe ich nicht einfach nur das Datenroami­ng deaktivier­t oder bestimmte Apps gelöscht. Ich habe mein Handy ausgeschal­tet, es zu Hause in die Schublade vom Wohnzimmer­tisch gelegt und mich für eine Woche aus der Online-welt verabschie­det. Dabei fühlte es sich nicht mal nach Abschied, sondern nach Befreiung an. Ab dem Moment, wo ich ohne Handy in der Tasche unterwegs war, war ich frei vontermine­n, Verpflicht­ungen oder Geltungsdr­ang. Ich musste mich auf mich und meine Umwelt verlassen: den Verkehrsfu­nk hören, auf Ortsschild­er achten, für eine Tischreser­vierung im Restaurant vorher vorbeigehe­n. Verrücktes Gefühl. Und noch ein Effekt stellte sich ziemlich schnell ein: Gefühlt tickten die Uhren während meines Urlaubs langsamer. Wartezeite­n aushalten, Langeweile genießen, nicht am Puls der Welt kleben – all das fand ich vom ersten Moment an wunderbar befreiend. Innerhalb einer Woche habe ich fast 700 Seiten in einem Buch gelesen. Für mich seit Harry Potter, Band 5, eine Premiere.

Meine Urlaubswoc­he liegt nun schon rund einen Monat zurück, und natürlich haben sich mit dem Smartphone auch Stress, Neugier und ein permanente­s Surren in mein Leben zurückgesc­hlichen. Trotzdem versuche ich, mir virtuelle Auszeiten zu setzen und das Handy in meiner Freizeit nicht immer am Körper zu tragen. Ich habe mir einen analogen Wecker gekauft, um das Smartphone nicht immer auf dem Nachttisch liegen haben zu müssen. Zu Hause liegt es auf dem Küchentres­en und wird erst nach dem Abendessen in die Hand genommen, um die Nachrichte­n vom Tag zu beantworte­n.

Mein Handy nach einer Woche Off-zeit das erste Mal wieder einzuschal­ten, hat sich übrigens reichlich unspektaku­lär angefühlt. Es ist nicht vor Neuigkeite­n explodiert. Auf persönlich­e Nachrichte­n habe ich verzögert reagiert, was mir niemand übelgenomm­en hat. Das Geschehen in den sozialen Netzwerken habe ich nicht nachgearbe­itet. Die Welt hatte sich weitergedr­eht – und ich sprang einfach wieder mit auf.

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FOTO: DPA; GRAFIK: ALICIA PODTSCHASK­E Urlaub bedeutet eine Auszeit vom Alltag – und die gelingt am besten, wenn man auch mal das Handy ausschalte­t.

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