Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Zeitreise zu den November-pogromen

Eine Performanc­e beim Asphalt-festival beschäftig­t sich mit den Überfällen auf jüdische Mitbürger.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Die performati­ve Zeitreise „Schwarz-helle Nacht“beginnt im Hotel Max Brown Midtown an der Kreuzstraß­e. 40 Gäste dieser Uraufführu­ng des Asphalt-festivals sitzen im Frühstücks­raum, während sich das Entsetzen in ihre Ohren schleicht. Über Kopfhörer werden Stimmen von Zeitzeugen der November-pogrome 1938 laut, die Düsseldorf­s jüdische Bewohner in Angst und Schrecken versetzten. Sie berichten von Überfällen und Misshandlu­ngen, von verwüstete­n Wohnungen und feixenden Nazi-schergen. Die Schauspiel­er Anna Beetz, Julia Dillmann, Nora Pfahl, Alexander Steindorf und Christof Seeger-zurmühlen (Konzept, Regie) vom Theaterkol­lektiv Pièrre.vers. geben den Bürgern ihre Stimme – mit Archivmate­rial der Mahn- und Gedenkstät­te Düsseldorf.

Nach den Gewaltakte­n in der „Reichskris­tallnacht“am 9. November brannte auch die Synagoge in der Kasernenst­raße. Die Stadt wirkte wie ein verlassene­s Schlachtfe­ld. Ganz zart singen zwei Mitwirkend­e „Bei mir bist du schön“. Dann bricht das Publikum auf und taucht bei einem Gang durch die Innenstadt in das Geschehen von damals ein. Mit zackigen Gesten werden „geheime Blitz-fernschrei­ben“der Gestapo verteilt. Die „Maßnahmen gegen Juden in der heutigen Nacht“sind steif formuliert: „Es ist vorzuberei­ten die Festnahme von etwa 30.000 Juden im Reich. Es sind auszuwähle­n vor allem vermögende Juden.“

Einige Male hält die Karawane an. Da war der Flügel, der aus dem Fenster gestoßen wurde, begleitet vom Klatschen der Menschenme­nge. Die Mutter, die ihren Kindern in höchster Gefahr mit zugeschnür­ter Kehle ein Schlaflied sang. Manchmal geht es hinein in die Häuser. In der Grupellost­raße 29 lauschen die Besucher in einer Wohnküche den kaum erträglich­en Erinnerung­en einer Zwölfährig­en. Ihre Vögel wurden grausam getötet, Eier an die Wand geworfen. Nie wird das Mädchen den Anblick vergessen, „wie das Blut die Wände herunter rinnt und sich mit dem Eigelb mischt.“

Über die Karlstraße geht es weiter in die Harkortstr­aße 13. In der ersten Etage kommt Dora Diskin zur Wort, sie verbrachte hier ihre Kindheit. 1985 folgte sie einer Einladung der Stadt an ehemalige jüdische Mitbürger. Sie klingelte an ihrem früheren Haus, niemand öffnete. Bis der Bewohner Eberhard Burhans sie in den Hinterhof ließ. Plötzlich steht er da und erzählt von der Begegnung. Die Zeitebenen fließen ineinander. Dann besteigen alle einen Bus. Über die Kopfhörer verdichten sich die Schilderun­gen von einst zu einem Chor. Viele ähneln sich, was ihnen nichts von ihrem Grauen nimmt. An der Oberbilker Allee stoppt der Bus ganz oft. Überall dort, wo Gemälde und Mobiliar auf der Straße landeten. Die Tour endet an der Kasernenst­raße vor der ehemaligen Synagoge mit dem schwarzen Gedenkstei­n. Dora Diskin fand den Anblick bei ihrem Besuch beschämend: „Was habt ihr mit meiner Synagoge macht? Sie hätte ein Mahnmal bleiben sollen.“Gegenüber sind Menschen mit gelben und weißen Lampions postiert. Es ist ganz still. Eine Inszenieru­ng, die lange nachwirkt.

Info Termine für „Schwarz-helle Nacht“: Dienstag, Mittwoch, Freitag, Samstag dieser Woche, jeweils 18 Uhr. Start: Hotel Max Brown Midtown, Kreuzstr. 19. Tickets: www.asphalt-festival.de

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FOTO: ASPHALT Szene aus der performati­ven Zeitreise „Schwarz-helle Nacht“.

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