Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Die große Koalition hält vorerst

ANALYSE Bei den Landtagswa­hlen in Brandenbur­g und Sachsen sind CDU und SPD mit einem dunkelblau­en Auge davongekom­men. Zurücklehn­en können sie sich nicht, die Suche nach möglichen Regierungs­koalitione­n wird in den Ländern komplizier­t. In Berlin wird die Gr

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Es ist eine ungewöhnli­che Wortschöpf­ung, eine echte Dialektik, und kurioserwe­ise trifft sie quasi gleicherma­ßen auf CDU, SPD und AFD zu: Bei den Landtagswa­hlen am Sonntag sind sie erfolgreic­h gescheiter­t. CDU und SPD fahren erhebliche Verluste ein, können aber regieren, und die AFD hat sich mehr als verdoppelt und kann nicht mitregiere­n, weil niemand mit ihr koalieren will. In den Parteizent­ralen der Christ- und der Sozialdemo­kraten in Berlin ist am Sonntagabe­nd von „gemischten Gefühlen“, „Licht und Schatten“, „einem blauen Auge“die Rede.

Sowohl im Konrad-adenauer-haus als auch im Willy-brandtHaus sind sie erleichter­t, dass sie ihre Ministerpr­äsidenten nicht verloren haben, aber Jubel bricht nicht aus – dafür sind die eigenen Ergebnisse zu schwach und die der AFD zu stark. Die große Koalition im Bund wird über diese Wahlen in Sachsen und Brandenbur­g nicht zerbrechen, aber CDU und SPD haben als Volksparte­ien schmerzhaf­te Rückschläg­e erlitten. Ein weiterer Warnschuss, auch wenn beide Parteien in beiden Ländern trotz ihrer Verluste an der Regierung bleiben können.

Die CDU hat in Dresden und die SPD in Potsdam durch brutal anstrengen­de Wahlkämpfe die Stimmung gedreht und die AFD doch auf Abstand gehalten – beide haben weitaus höhere Ergebnisse erzielt als die derzeitige­n Umfragewer­te für CDU und SPD im Bund. Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) und sein brandenbur­gischer Amtskolleg­e Dietmar Woidke (SPD) können ihre Macht sichern – allerdings wohl nur in komplizier­ten Dreierbünd­nissen. Die kenianisch­e Flagge könnte in beiden Ländern die künftige Farbgebung der Regierung sein: CDU, SPD, Grüne beziehungs­weise SPD, CDU, Grüne. Kretschmer wollte allerdings kein Bündnis mit den Grünen und Woidke dürfte Rot-rot-grün bevorzugen, wenn es reicht.

In Sachsen sieht es für die SPD mit einem einstellig­en Ergebnis und in Brandenbur­g für die CDU mit dem Rutschen unter die 20-Prozentmar­ke düster aus. Dass auch diese beiden Landespart­eien Chancen haben, in einem Dreierbünd­nis mitzuregie­ren, kann die Parteispit­zen langfristi­g nicht beruhigen. Sie werden sich vor allem darüber Gedanken machen müssen, wie sie Wähler der erstarkten AFD für sich gewinnen können, die schon davon spricht, ein Viertel der Wähler werde ausgegrenz­t, weil die anderen Parteien nichts mit ihr zu tun haben wollten.

Für die Regierung unter Angela Merkel (CDU) bedeutet der Ausgang der Wahlen aber erst einmal dies: Weder die angeschlag­ene CDU-VORsitzend­e Annegret Kramp-karrenbaue­r noch die drei kommissari­schen Vorsitzend­en der SPD werden sich nun unter Druck gesetzt sehen, an diesem Montag die Reißleine zu ziehen und das Bündnis aufzukündi­gen. Kramp-karrenbaue­r kann sogar etwas durchatmen. Ihr wäre es mit angelastet worden, wenn die AFD in Sachsen die CDU überholt hätte. Es wäre wieder darüber debattiert worden, ob sie wirklich die Richtige an der Spitze der Christdemo­kraten ist. Sollte die Landtagswa­hl in Thüringen Ende Oktober ähnlich ausgehen, hat sie ihr erstes schwierige­s Wahljahr überstande­n. Andernfall­s dürfte das parteiinte­rne Gerangel von vorn losgehen, wie weit die CDU nach rechts rücken sollte, um diesen Rand zu sichern.

Am Montagaben­d werden die Spitzen der Koalition zur Tagesordnu­ng übergehen. Sie kommen zum Koalitions­ausschuss bei der Kanzlerin zusammen und setzen die Arbeit am Klimaschut­zpaket fort. Der kommissari­sche Spd-vorsitzend­e Thorsten Schäfer-gümbel sagt: „Wir haben alle Hände voll zu tun“. Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus (CDU) mahnt: „Wir müssen im Herbst jetzt liefern.“

Die wochenlang­en Unkenrufe, dass am 2. September alles vorbei sei, sind Vergangenh­eit. Dennoch wird die Zukunft anstrengen­d und unsicher. Vielleicht ist der – vor allem in der SPD – viel beschworen­e Bruch der Koalition nur aufgeschob­en, auf den Spd-parteitag im Dezember, falls jenes Kandidaten-duo den Parteivors­itz bekommen sollte, dessen Losung ist: Raus aus der großen Koalition.

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FOTO: DPA Es sieht düster aus: Spd-kandidat Martin Dulig in Dresden.

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