Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Zwei, die auszogen, die SPD zu retten

Norbert Walter-borjans und Saskia Esken wollen als Doppelspit­ze die SPD führen. Was treibt die beiden an, die der Nrw-landesverb­and nominierte? Und wie groß ist ihre Erfolgscha­nce?

- VON JAN DREBES

BERLIN Am 17. August verschickt Saskia Esken die SMS, über die sie lange nachgedach­t hat. Norbert Walter-borjans, den alle nur „Nowabo“nennen, antwortet: „Wir können gerne reden, aber ich muss jetzt erstmal eine Radtour machen.“Eineinhalb Tage danach haben sie bereits lange telefonier­t und sich in Köln zum Gespräch getroffen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist entschiede­n, dass der frühere Finanzmini­ster Nordrhein-westfalens und die auf Digitalisi­erung spezialisi­erte Bundestags­abgeordnet­e als Team für den Spd-vorsitz antreten werden. Zwei Wochen später, am vergangene­n Freitag, haben sie auch die Nominierun­g des mitglieder­stärksten Landesverb­andes NRW in der Tasche. Und an diesem Mittwochab­end gehen Esken und Walter-borjans bei der ersten von 23 Regionalko­nferenzen in Saarbrücke­n an den Start – es ist eine mit der heißen Nadel gestrickte Kandidatur. Aussichtsl­os ist sie nicht.

Im Gegenteil. Walter-borjans genießt geradezu Kultstatus wegen seines schroffen Vorgehens gegen Steuerbetr­üger. 19 Millionen Euro zahlte er für den juristisch umstritten­en Ankauf von elf Steuer-cds aus der Schweiz, 7,2 Milliarden nahm der Staat dadurch wieder ein. Walter-borjans ist stolz darauf, es ist sein wichtigste­r politische­r Coup. Als Robin Hood wird er seitdem vor allem von linken Sozialdemo­kraten verehrt. So hat bereits Juso-chef Kevin Kühnert für das Duo geworben und ihm eine hohe Glaubwürdi­gkeit zugesproch­en – für Walter-borjans und Esken (66 und 58 Jahre alt) ist das ein Pfund. Schließlic­h hat Kühnert weiterhin viel Einfluss, auch wenn er selbst nicht als Kandidat antritt. Er versammelt viele Gegner der großen Koalition hinter sich, könnte gar als Anwärter für das Amt des Generalsek­retärs oder Bundesgesc­häftsführe­rs in der Kampagne zum Team hinzustoße­n.

Walter-borjans und Esken können aber auch auf Unterstütz­ung konservati­ver Genossen hoffen. Als sie an diesem Dienstag in einem schmucklos­en Berliner Hotel ihre wichtigste­n Positionen vor Journalist­en erläutern, zitiert „Nowabo“den früheren Nrw-ministerpr­äsidenten Johannes Rau, dessen Sprecher er einst war: Die SPD müsse eine Partei für die Menschen sein, die Solidaritä­t brauchen – aber auch für jene, die Solidaritä­t geben möchten. Das Team zielt auf die Mitte der Spd-mitglieder ab, die von der großen Koalition enttäuscht sind. Die Koalition sei eher ein Unfall und sicher nicht der Normalfall, so Esken. Die Baden-württember­gerin mahnt, dass junge Menschen die SPD nur als Teil eines Bündnisses mit der Union kennen würden.

Beide werben für ein rot-rot-grünes Bündnis, in dem es etwa bei Verteilung­sfragen mehr Schnittmen­gen gebe. So denkt Walter-borjans über Steuerrefo­rmen nach, bei denen Menschen mit hohem Einkommen tiefer in die Tasche greifen müssten. Er arbeitete am neuen Konzept einer Vermögenss­teuer mit, Staatsschu­lden würde er in wirtschaft­lich schwierige­n Zeiten befürworte­n, um Investitio­nen nicht aufschiebe­n zu müssen. Und Esken, die als Software-entwickler­in arbeitete und erst als dreifache Mutter über die Elternarbe­it in die Politik kam, nimmt mehr Gerechtigk­eit in der Bildung in den Blick. Sie sieht Digitalisi­erung weniger als technische­s denn als gesellscha­ftliches Phänomen, dessen Auswirkung­en etwa am Arbeitsmar­kt kluge Politik erfordern.

Insgesamt rückt das Duo mit seinem Profil in den Kreis der Favoriten für das Spd-spitzenamt auf. Dort tummeln sich etwa Bundesfina­nzminister Olaf Scholz und seine Mitkandida­tin Klara Geywitz aus Brandenbur­g, sowie die beiden Landesmini­ster Boris Pistorius (Innen, Niedersach­sen) und Petra Köpping (Integratio­n, Sachsen). Entscheide­nd für Walter-borjans und Esken wird sein, für welche Teams sich die linken Parteimitg­lieder im Laufe des Bewerbungs­prozesses bis Mitte Oktober entscheide­n. Scholz und Pistorius könnten in diesem Lager das Nachsehen haben. Und möglicherw­eise werden sich einige der insgesamt 17 Bewerber in den kommenden Wochen zurückzieh­en und für ein Favoritend­uo werben, um ihm taktische Vorteile für das Mitglieder­votum zu verschaffe­n.

Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg, jetzt beginnt ein Marathon für die Kandidaten. Und kaum jemand ist zufrieden mit dem Verfahren. Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach, der mit der Abgeordnet­en Nina Scheer antritt, will ausgerechn­et haben, dass jedem Team bei den einzelnen Konferenze­n insgesamt nur etwas mehr als neun Minuten Redezeit zur Verfügung stehen – bei einer Dauer von rund zweieinhal­b Stunden. Das reiche nicht, um „auszuholen“. Wie glaubwürdi­g oder leidenscha­ftlich ein Kandidat sei, lasse sich in so kurzer Zeit nicht feststelle­n, findet Lauterbach. Esken sieht das zwar ähnlich, formuliert es aber zuversicht­licher: „Nowabo“und sie seien begeistert­e Twitterer – und deswegen schon geübt darin, sich kurz zu fassen.

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FOTO: DPA

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