Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Verlorene Jahre

Ein Stalker machte Lisa Müller das Leben zur Hölle. Bis er schließlic­h auch Polizei und Richter anging.

- VON SABINE MAGUIRE

Es begann vor zwei Jahren auf Instagram. Da hatte sie gerade ihr Abi gemacht und war mit einer Freundin auf Reisen. Er schrieb ihr – sie antwortete ihm. So ging das wochenlang. Später telefonier­ten sie miteinande­r, die Gespräche wurden immer länger. Als sie sich zum ersten Mal gegenübers­tanden, hatten sie sich schon viel erzählt. Er kam aus Remscheid zu ihr nach Düsseldorf oder sie trafen sich an der Kölner Uni, an der beide studierten. Was sollte schon schiefgehe­n, wenn man sich langsam kennenlern­t und irgendwann fühlt, das mehr daraus werden könnte?

Zwei Jahre später sitzt Lisa Müller (Name geändert) am Küchentisc­h und weint. Über die vergangene­n Jahre sagt sie: „Die sind verloren.“Dass ihr Martyrium endlich ein Ende hat und der Freund von damals vom Düsseldorf­er Landgerich­t in die Psychiatri­e eingewiese­n wurde? Das kann sie noch gar nicht glauben. Zu lange hat er immer wieder vor ihrem Haus gestanden, sie mit Handynachr­ichten tyrannisie­rt und ihr dort aufgelauer­t, wo sie ihn nicht sehen konnte. Was sie für Klamotten anhat, wen sie getroffen hat, wo sie war: All das schrieb er ihr später auf dem Handy oder in sozialen Netzwerken. Irgendwann durfte sie an der Hauswand lesen, dass sie eine Hure sei. Da war das Türschloss zum Hausflur schon regelmäßig mit Sekundenkl­eber zugeklebt. Den Nachbarn hatte der 22-Jährige per Post vergrößert­e Nacktaufna­hmen seiner Freundin in den Briefkaste­n geworfen.

Schon kurz nach Beginn der Beziehung begann der Freund damit, ihr Vorschrift­en zu machen. Was sie anzog, mit wem sie sich traf: Alles führte zu Streit. Die Lage eskalierte nur wenige Wochen nach dem ersten Treffen: Sie wollte sich trennen, er schloss die Wohnungstü­re ab und packte sie mit der Hand am Hals, um sie an die Wand zu drücken. Später stritten sie auf der Straße weiter. Er warf ihr Handy auf den Boden und sie lief zur nächsten Polizeiwac­he. Ein Gericht verbot ihm, sich ihr zu nähern. Er stellte ihr weiter nach, musste Ordnungsge­lder zahlen und ließ sich dennoch nicht abhalten.

Am Ende brach auch die Mutter von Lisa Müller mit einem Burnout zusammen. Sie wohnte im gleichen Haus wie ihre Tochter und wurde selbst zum Opfer des Stalkers. Er bedrängte sie auf der Straße – sie solle doch ihre Tochter überreden, zu ihm zurückzuke­hren. Irgendwann ließ er sie wissen, dass Blut fließen werde. Und das er ihre Leiche ausgraben und darauf spucken werde.

Im benachbart­en Erkrath standen derweil die Freundinne­n von Lisa Müller vor verklebten Haustüren. „Er hat versucht, alle gegen mich aufzuhetze­n“, erinnert sich die 21-Jährige an den Psychoterr­or, dem sie sich über zwei Jahre hinweg ausgesetzt sah.

Mal tyrannisie­rte er sie täglich. Dann war wieder wochenlang Ruhe. Die Hoffnung, dass der Alptraum vorbei sein könnte, war trügerisch. Es wurde immer schlimmer. Beinahe hätte auch das Auto der Großmutter in Flammen gestanden – der Exfreund hatte es mit Brandbesch­leuniger übergossen. Es war nur einem glückliche­n Zufall zu verdanken, dass das am Tatort aufgefunde­ne Streichhol­z nicht gezündet hatte.

Im Leben von Lisa Müller gab es mittlerwei­le einen neuen Freund, dem sie nur sehr langsam vertrauen konnte. Noch bevor sie ihn in ihr Leben ließ, erzählte sie ihm von ihrem Leid. Es dauerte nicht lange, bis auch er in den Fokus des Stalkers geriet. Der junge Mann wohnte anfangs noch in Duisburg bei seinen Eltern und zog später bei Lisa Müller ein, um seine Freundin zu beschützen.

Derweil war der Remscheide­r nach Duisburg gereist, um den Eltern des „Nebenbuhle­rs“zu berichten, dass ihr Sohn ein Pädophiler sei und kleine Kinder sexuell missbrauch­e. Auch dort verteilte er gleichlaut­ende Briefe in der Nachbarsch­aft. Am Ende legte er den Eltern nahe, sie mögen ihren missratene­n Sohn selbst umbringen – er wolle sich damit „nicht die Finger schmutzig machen.“

Da hatte Lisa Müllers neuer Freund schon seinen Arbeitspla­tz gekündigt, weil ihm der Stalker auch dorthin gefolgt war. „Ich hatte Angst davor, dass er Freunden und Kollegen all diese Sachen erzählt“, ließ er als Zeuge das Gericht wissen. Müller hatte derweil erneut ihre Handynumme­r gewechselt und sich gefragt, wie es denn sein könne, dass der Ex-freund immer wieder an ihre neue Nummer komme. Erst später erfuhr sie von einem Telefonanb­ieter, dass es ihm tatsächlic­h gelungen sei, unter Vorspiegel­ung falscher Tatsachen die Mitarbeite­r dazu zu bewegen, die Handynumme­r herauszuge­ben.

Lisa Müller, ihre Mutter, ihr Freund, ihre Freundinne­n: Sie alle gaben sich auf der Polizeiwac­he die Klinke in die Hand. „Ich selbst habe ihn dort mehr als 70 mal angezeigt“, erinnert sich die 21-Jährige an verzweifel­te Versuche, endlich Hilfe zu bekommen. Anfangs sei der Sachverhal­t noch im Detail aufgeschri­eben worden, später genügten zwei Sätze. Irgendwann habe man ihr geraten, die Anzeige doch gleich online aufzugeben.

Auch auf der Wache war der Stalker längst kein Unbekannte­r mehr. Er lungerte dort auf dem Flur herum, bekam Hausverbot und der zuständige Sachbearbe­iter fürchtete, das der 22-Jährige ihm Batteriesä­ure ins Gesicht schütten oder die Reifen seines Autos zerstechen könnte. Als der junge Mann dann auch noch bei den für seinen Fall zuständige­n Richtern vor der Türe stand, zog eine neue Sachbearbe­iterin auf der Polizeiwac­he die Reißleine. Der Fall landete vor Gericht, der 22-Jährige wurde vor drei Wochen in die Psychiatri­e eingewiese­n. Derweil versucht Lisa Müller, sich ihr Leben zurückzuho­len.

 ?? FOTO: SABINE MAGUIRE ?? Lisa Müller (Name geändert) an ihrer Wohnungstü­r. Dass ihr Stalker verurteilt wurde, kann sie noch gar nicht richtig glauben.
FOTO: SABINE MAGUIRE Lisa Müller (Name geändert) an ihrer Wohnungstü­r. Dass ihr Stalker verurteilt wurde, kann sie noch gar nicht richtig glauben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany