Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Nationalität und Straftat
ANALYSE Nrw-innenminister Herbert Reul will der Polizei auferlegen, grundsätzlich immer die Nationalität eines Straftäters zu nennen. Er schießt damit übers Ziel hinaus. Eine Entscheidung nach Lage muss möglich bleiben.
Ist die Nationalität eines Straftäters eine Information, die immer mit der Meldung über ein Vergehen genannt werden muss? Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul meint: Ja und er will die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei entsprechend reformieren. Der tatkräftige Cdu-politiker bekommt für dieses Unterfangen aber viel Gegenwind, aus der eigenen Regierung, von Länderkollegen und von der Opposition. Zuspruch bekommt er von Teilen der Polizei, die in dieser Frage gerne Klarheit hätte.
Reuls ehrenwertes Motiv: Er will gegen „politische Bauernfängerei“vorgehen. Die staatlichen Behörden sollen von sich aus grundsätzlich die Nationalität eines Täters nennen. Niemand soll künftig noch gegen den Staat den Vorwurf erheben könne, seine Behörden vertuschten oder verheimlichten das Ausmaß an Straftaten, die durch Ausländer begangen werden. Die Partei allerdings, die auf diesem Feuer ihr Süppchen kocht, spielt in Nordrhein-westfalen im bundesweiten Vergleich eine untergeordnete Rolle. Die AFD stagniert bei sieben Prozent. Für Aktivismus gegen politische Bauernfängerei gibt es also keinen Grund. Zumal die Erfahrungswerte zeigen, dass das wirksamste Mittel gegen Rechtspopulismus in einer demokratischen und differenzierten Kommunikation mit den Bürger besteht.
Für Polizei und Medien ist es seit jeher eine Abwägungsfrage, in welchen Fällen die Nationalität eines Täters relevant ist. Im Spannungsfeld der Vorwürfe, wahlweise Ressentiments gegen bestimmte Nationalitäten zu schüren oder negative Tatsachen über bestimmte Volksgruppen zu unterdrücken, müssen die Verantwortlichen entscheiden.
Ein Wendepunkt in dieser Frage waren die Übergriffe, vor allem durch Nordafrikaner, in der Kölner Silvesternacht 2015/2016. Die Informationen über das massenhafte „Antanzen“,
Diebstähle und sexuelle Übergriffe drangen ebenso tröpfchenweise an die Öffentlichkeit wie die Nationalitäten der Verdächtigen. Empörung gab es auch 2016 über den Fall der getöteten Studentin in Freiburg, zu dem die Polizei nur mitteilte, dass ein Verdächtiger festgenommen worden sei. Sie ließ die Information weg, dass es sich um einen 2015 aus Afghanistan eingereisten Flüchtling handelte.
In beiden Fällen wäre die Aufklärung über die Nationalität der mutmaßlichen Täter relevant gewesen. Im Kölner Fall war es die Größe der Gruppe mit einheitlicher ethnischer, religiöser und nationaler Herkunft, die eine Nennung rechtfertigt. Im Fall der ermordeten Studentin begründen die Schwere der Tat und seine früheren Vergehen das Interesse der Öffentlichkeit an der Nationalität des Täters. Auch bei Einbrecherbanden, die aus dem Ausland gesteuert werden, bei Clan-kriminalität und bei mafiösen Strukturen müssen die Bürger erfahren, welche Nationalitäten hinter den Gruppen stecken, die sie bedrohen.
Aber andersherum gedacht: Wenn ein italienischer Restaurantbesitzer die Sozialabgaben seiner Mitarbeiter nicht ordentlich abführt, ist dann seine Nationalität relevant im Vergleich zum deutschen Inhaber einer Autowerkstatt, der sich des gleichen Vergehens schuldig macht? Wohl kaum.
Es wäre also sinnvoll, wenn die Polizei bei ihren Meldungen weiter differenzieren kann, ob und in welcher Form sie nicht-deutsche Abstammung von Tätern öffentlich meldet. In Zeiten, da die Polizei ihre Meldungen online einsehbar für alle stellt, ist das umso wichtiger. Für eine Fahndung ist der Hinweis „südländisches Aussehen“hilfreich. Für eine Polizeimeldung über eine Straftat wäre sie irreführend und dazu geeignet, Ressentiments zu schüren gegen große Gruppen von Menschen, die sich optisch vom mitteleuropäischen Durchschnitt abheben. Zumal es auch viele deutsche Staatsbürger mit „südländischem Aussehen“gibt.
Bei der Vorgabe, grundsätzlich die Nationalität von Tätern zu nennen, kann es auch schnell absurd werden: Sollen Verdächtige mit doppelter Staatsbürgerschaft stets mit beiden Nationalitäten ausgewiesen werden? Was ist mit dem eingebürgerten, aus dem Libanon stammenden Straftäter, der nur einen deutschen Pass hat? Wenn er in der Polizeimeldung als Deutscher geführt wird, kann das sogar überdecken, dass er ein Teil von Clan-kriminalität ist. Und auch bei Gewalttaten von Neonazis muss man wohl kaum extra erwähnen, dass es sich um Deutsche handelt.
Auf die Frage, in welchen Fällen die Nationalität eines Täters genannt werden sollte, gibt es keine einfache Antwort. Man sollte sich auch nicht von „politischen Bauernfängern“dazu treiben lassen, einfache Antwort zu geben.
Auch die Medien sind jeden Tag aufs Neue gefordert, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Als Grundlage dient auch uns als Redaktion die Vorgabe des Deutschen Presserats, die übrigens 2017 gelockert wurde. In der Zeit bis 2017 hatten sich die Journalisten selbst verpflichtet, die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann zu erwähnen, wenn es für das Verständnis des Berichts wichtig war. Unter anderem die Ereignisse der Kölner Silvesternacht und viele daraus folgende kritische Hinweise von Lesern, Zuhörern und Zuschauern haben ein Umdenken bewirkt. Auch heute noch gilt, dass die Erwähnung der Herkunft nicht zu „einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens“führen darf. Ein „begründetes öffentliches Interesse“allerdings gestattet eine Nennung.
Unsere Redaktion legt diesen Spielraum, den uns der Pressekodex gibt, weit aus, weil wir es als unsere Aufgabe verstehen, zu berichten und nicht zu verschweigen. Zugleich ist es uns aber wichtig, dass wir einen vernünftigen Grund haben, die Nationalität eines Täters zu nennen, weil wir keine Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren möchten.
Die Aufgabe unserer Redaktion ist es, zu berichten und nicht zu verschweigen