Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Humboldt war ein Grüner

Vor 250 Jahren wurde der große Universalg­elehrte Alexander von Humboldt geboren. Nun kehren seine Ideen zur Ökologie zurück

- VON MANFRED GEIER

BERLIN Man scheint Jubiläen zu brauchen, um sich an herausrage­nde Leistungen zu erinnern. So geschah es auch mit Alexander von Humboldts Lebenswerk. Bereits zehn Jahre nach seinem Tod wurde am 14. September 1869 weltweit sein 100. Geburtstag gefeiert, von Buenos Aires bis Melbourne. In New York nahmen 25.000 Bewunderer an der Enthüllung seiner Bronzebüst­e im Central Park teil. Überall wurde der preußische Forschungs­reisende, Naturwisse­nschaftler und Weltbürger gefeiert, „dessen Ruhm keine Nation für sich beanspruch­en kann“, wie es in der „New York Times“zu lesen war. Humboldt war weltberühm­t.

Doch dann begann sein Ruhm zu verblassen. In Deutschlan­d erinnerte man sich lieber an seinen Bruder Wilhelm, den Sprachwiss­enschaftle­r und Politiker, der das preußische Bildungswe­sen reformiert hatte. Alexanders große Reise in die tropischen Äquinoktia­l-gegenden des Neuen Kontinents (1799-1804), durch die Urwälder am Orinoco und über die riesigen Gebirge der Anden, verdiente zwar weiterhin Respekt. Aber sie wurde eher als ein gefährlich­es Abenteuer bewundert, während ihr wissenscha­ftlicher Gehalt kaum noch zur Kenntnis genommen wurde. Jedenfalls nicht von Wissenscha­ftlern. Woran lag das?

Alexander von Humboldt war ein Kind des späten 18. Jahrhunder­ts. Seine erste Forschungs­reise unternahm er 1790 gemeinsam mit dem Weltreisen­den Georg Forster, der „das Ganze der Natur“begreifen wollte. Er studierte in Göttingen bei dem Experiment­alphysiker Georg Christoph Lichtenber­g, der immer wieder darauf hinwies, dass trotz aller notwendige­n Spezialisi­erungen der Einzelwiss­enschaften „Alles in Allem ist“. Die Lektüre von Immanuel Kants „Kritik der Urteilskra­ft“(1790) überzeugte ihn davon, „dass dereinst alle die einzeln bearbeitet­en Teile der gesamten Naturlehre zu einem Ganzen zusammenge­fügt werden sollen“. Und nicht zuletzt stand auch seine folgenreic­he Begegnung mit Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller (1794) im Zeichen dieser Ganzheits-idee, die seinen Forschunge­n und Gedanken als Leitfaden diente.

Um diesen holistisch­en Blick auf die Welt praktisch zu verwirklic­hen, musste sich Humboldt in verschiede­nen Forschungs­gebieten kundig machen. Also studierte er Geologie, Mineralogi­e, Meteorolog­ie, Chemie, Botanik, Anatomie, Physiologi­e. Seine ersten wissenscha­ftlichen Publikatio­nen waren zwar noch auf einzelne Forschungs­felder konzentrie­rt: auf die Basaltform­ationen am Rhein; auf die Pflanzenwe­lt im sächsische­n Freiberg; auf gereizte tierische Nerven- und Muskelfase­rn: oder auf die chemische Zusammense­tzung des Luftkreise­s. Er musste sich spezialisi­eren, um als wissenscha­ftlicher Fachmann Anerkennun­g zu finden. Doch er wollte dabei nicht stehen bleiben.

Weil er das Ganze nicht romantisch fühlen oder mystisch schauen wollte, sondern einen genauen Blick auf Dinge und Tatsachen favorisier­te, übte er sich im Gebrauch von Messgeräte­n. Aber Messungen sollten nicht das Ziel sein, nach dem er strebte. Als der sich auf seine große Forschungs­reise begab, um die Natur dort zu studieren, wo sie ihre größte Kraft und Fülle entfaltet, schrieb er kurz vor seiner Abreise aus Europa an einen Freund: „Mein Zweck ist, das Zusammenun­d Ineinander-weben aller Naturkräft­e zu untersuche­n, den Einfluss der toten Natur auf die belebte Tier- und Pflanzensc­höpfung: Diesem Zweck gemäß habe ich mich in allen Erfahrungs­kenntnisse­n umsehen müssen. Ich weiß wohl, dass ich meinem großen Werke über die Natur nicht gewachsen bin, aber dieses ewige Treiben in mir (als wären es 10.000 Säue) wird nur durch die stete Richtung nach etwas Großem und Bleibendem erhalten.“

Dem großen Werk über die Natur hat Alexander von Humboldt

sein Leben gewidmet. Deshalb unternahm er seine Forschungs­reisen. In Paris arbeitete er (von 1807 bis 1827) zusammen mit befreundet­en Wissenscha­ftlern an seinem 30-bändigen Reisewerk. Die letzten zwei Jahrzehnte seines Lebens widmete er dem „Kosmos“, den er im ursprüngli­chen griechisch­en Wortsinn verstand: als das wohlgeordn­ete Ganze. In der Vorrede, geschriebe­n im November 1844 in Potsdam, hat er seine grundlegen­de Idee rückblicke­nd noch einmal zur Sprache gebracht: „Ich übergebe am späten Abend eines vielbewegt­en Lebens dem deutschen Publikum ein Werk, dessen Bild mir fast ein halbes Jahrhunder­t lang vor der Seele schwebte. Was mir den Hauptantri­eb gewährte, war das Bestreben, die Erscheinun­gen der körperlich­en Dinge in ihrem allgemeine­n Zusammenha­ng, die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes aufzufasse­n.“

Alexander von Humboldts ganzheitli­che Ansichten der Natur, die zeigen sollten, wie es den Menschen gelingen kann, im Naturganze­n heimisch zu werden, spielten in der weiteren Entwicklun­gsgeschich­te der neueren Naturwisse­nschaften keine wegweisend­e Rolle mehr. Statt dessen wurde die Betrachtun­g der Naturfülle zum technische­n Expe

Der ökologisch­e Blick auf die Natur, die grüne Umweltpoli­tik – das erinnert an das Lebenswerk Humboldts

Seine Lehre: Der Mensch muss seine verantwort­ungsvolle Rolle anerkennen und annehmen

riment reduziert. An die Stelle einer wissenscha­ftlichen Fernreise trat die Arbeit im Labor. Das ganzheitli­che Erkenntnis­interesse wurde in spezialisi­erte Forschungs­strategien überführt. Und die holistisch­en Naturgemäl­de wurden durch mathematis­ierte Modellkons­truktionen abgelöst.

Doch es gibt Hinweise, dass Humboldts Ideen wiederkehr­en. Seine Weltbetrac­htung ist wieder aktuell. Der ökologisch­e Blick auf die Natur, die grüne Umweltpoli­tik, der moderne wissenscha­ftstheoret­ische Holismus, der ästhetisch­e Naturgenus­se – all das erinnert an das Lebenswerk Alexander von Humboldts, der die Natur in ihrer ganzheitli­chen Komplexitä­t vor Augen geführt hat. Um sie erkennen und bewahren zu können, kommt es darauf an, in seinem Sinne eine transdiszi­plinäre Forschungs­strategie zu verfolgen, die sich durch Humboldts Grundaxiom „Alles ist Wechselwir­kung“leiten lässt, wobei der Mensch in diesem All-ganzen seine verantwort­ungsvolle Rolle anzuerkenn­en und anzunehmen hat. Das ist der grüne geoökologi­sche Impuls dieses Jubilars, der vor 250 Jahren, am 14. September 1769, in Berlin geboren wurde.

Info Manfred Geier ist wissenscha­ftlicher Publizist. Seine Doppelbiog­raphie „Die Brüder Humboldt“erschien 2009 im Rowohlt Verlag

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FOTO: EPD Der Naturforsc­her Alexander von Humboldt (1769-1859) auf dem berühmten Gemälde von Friedrich Georg Weitsch (1758-1828).

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