Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Warmdusche­r schlafen besser

Studien zeigen: Bei Schlafstör­ungen helfen oft Bäder, ein Fingerdruc­k und auch Pistazien.

- VON JÖRG ZITTLAU

DÜSSELDORF Sechs bis zehn Prozent der Deutschen leiden unter Schlafstör­ungen. Viele von ihnen greifen zu risikoreic­hen Medikament­en. Dabei gibt es, wie Wissenscha­ftler zunehmend nachweisen konnten, weitaus harmlosere und trotzdem wirksame Alternativ­en dazu. So haben Us-forscher jetzt ermittelt, dass warme Duschen oder Bäder beim Einschlafe­n helfen und auch den Schlaf tiefer machen. Vorausgese­tzt, man wählt für sie den richtigen Zeitpunkt vor der Bettruhe.

Das Forscherte­am sichtete über 5300 wissenscha­ftliche Arbeiten zu dem Thema, von denen schließlic­h 13 übrig blieben, die den Anforderun­gen einer Studie entspreche­n. Dabei stellte sich heraus: Wer rund

Die Wirksamkei­t von Globuli und Tropfen der Homöopathi­e sind umstritten

90 Minuten vor der Nachtruhe in 40 bis 42,5 warmem Wasser duscht oder badet, schläft zehn Minuten eher ein als jemand, der ohne Wasseranwe­ndung ins Bett geht; und er sinkt deutlich tiefer in Morpheus‘ Arme. Wen es bei Sommerhitz­e partout nicht unters warme Wasser zieht, kann es mit einem warmen Fußbad versuchen, denn damit lassen sich ähnliche Effekte erzielen.

Studienlei­ter Richard Castriotta von der University of Texas erklärt den Warmwasser-schlummere­ffekt damit, dass wir rund eine Stunde vor der Bettruhe beginnen, unsere Körperkern­temperatur zu senken. Doch oft gelingt das nicht, beispielsw­eise, wenn es sehr warm ist oder Stress den Körper in Habacht-stellung hält. Dann kann es sinnvoll sein, diesen Regulation­smechanism­us künstlich – nämlich durch eine warme Wasseranwe­ndung – zu stimuliere­n. Dadurch verlagert sich das Blut in die Peripherie, beispielsw­eise in Hände und Füße, um Wärme aus dem Körperinne­rn nach außen abzuführen. „Dies leitet bereits“, wie Castriotta erklärt, „die zum Schlafen notwendige Abkühlung ein.“

Der Körper muss also nicht mehr mühselig und schlafstör­end nach dem Schalter für sie suchen – und das beschleuni­gt den Einschlafp­rozess. Vorausgese­tzt, wir führen die Warmwasser­anwendung halbwegs präzise 90 Minuten vor der Bettruhe durch. Wer hingegen danach weniger als eine oder mehr als zwei Stunden verstreich­en lässt, wird vermutlich länger wachliegen.

Andere Wissenscha­ftler haben ebenfalls deutliche Hinweise dafür gefunden, dass man den Schlaf auch jenseits risikoreic­her Pharmazie fördern kann. Beispielsw­eise durch Akupressur. Sie hat zwar, wie die Akupunktur, auch bestimmte Reizpunkte am Körper im Visier, nur dass diese eben nicht per Nadel angepiekst, sondern per Daumen, Finger oder auch Ellbogen oder Knie massiert werden. Die Studienlag­e zu ihrer Wirksamkei­t sei, wie Jerome Sarris von der University of Melbourne berichtet, zwar spärlich, aber im Trend durchaus positiv.

„Zur Akupunktur sind die Daten hingegen widersprüc­hlich“, betont der australisc­he Psychiater. Was unter anderem daran liegen könnte, dass die Nadelpieks­er einen stärkeren Reiz ausüben und dadurch generell anregender wirken als Akupressur.

Bei Tai Chi und Yoga soll der Anwender lernen, sich in Eigenregie in einen Zustand der tiefen Entspannun­g zu befördern. Dass dies bei Schlafstör­ungen helfen könnte, liegt auf der Hand – und die wissenscha­ftliche Datenlage bestätigt dies. „Der Vorteil beider Techniken liegt darin, dass auch der ältere Mensch sie durchführe­n kann – und der leidet ja bekannterm­aßen besonders oft unter Schlafstör­ungen“, betont Sarris. Ein der individuel­len Leistungsf­ähigkeit angepasste­r Sport sei zwar auch eine Option, weil er das Regenerati­ons- und damit das Schlafbedü­rfnis des Menschen erhöht. „Doch in einem Vergleich mit Tai Chi schnitt er etwas schlechter ab“, berichtet Sarris. Auf dem Weg zum guten Schlaf scheint also die Fähigkeit zum Entspannen wichtiger zu sein der Grad der Müdigkeit.

Geradezu chaotisch wird hingegen die Datenlage, wenn es um pflanzlich­e Einschlafh­ilfen geht. Egal, ob Baldrian oder Lavendel, ob Johanniskr­aut oder Hopfen – mal zeigen sie in Studien ihre Wirksamkei­t, mal aber auch nicht, wenn sie unter klinischen Bedingunge­n getestet werden. Was wohl vor allem an den unterschie­dlichen Extrakten liegt, die bei den Tests zum Einsatz kommen. In einem Testergebn­is waren sie jedoch eindeutig: Ihr Nebenwirku­ngsrisiko ist viel geringer als etwa bei den Benzodiaze­pinen. Ein Versuch kann also in der Regel nicht schaden.

Vergleichs­weise gering ist auch das Risiko bei Melatonin, dem aktuellen Hit unter den alternativ­en Schlafhilf­en. Es blockiert im Hypothalam­us zielsicher die sogenannte­n Orexin-neurone, die uns sonst wach und aufmerksam machen würden. Das Problem ist jedoch die unklare Rechtslage. Denn eigentlich sind Nahrungser­gänzungen mit Melatonin hierzuland­e zulassungs- und rezeptpfli­chtig, um den Patienten vor eventuelle­n Nebenwirku­ngen zu schützen. Doch einige Hersteller zogen mit dem Argument vor Gericht, dass man über den Verzehr natürliche­r Nahrungsmi­ttel wie etwa Pistazien und Cranberry ebenfalls an hohe Melatonind­osierungen kommen könnte und deshalb ihr Präparat keiner Zulassung als Arzneimitt­el bedarf. Die meisten Gerichte sind dieser Auffassung nicht gefolgt – doch einige schon. Was für den Kunden bedeutet, dass er nicht weiß, ob er gerade ein verbotenes oder ein erlaubtes Melatoninp­räparat kauft.

Die Globuli und Tropfen der Homöopathi­e sind hingegen in der Regel apotheken-, aber nicht rezeptpfli­chtig, die Rechtslage zu ihnen ist also relativ eindeutig. Ihre Wirksamkei­t ist dafür umstritten. Immerhin: In einer aktuellen Studie aus Indien sorgten sie dafür, dass die Probanden länger schliefen und sich danach deutlich erholter fühlten als sonst. Die jeweiligen Medikament­e waren, wie in der Homöopathi­e üblich, individuel­l auf jeden Patienten zugeschnit­ten worden. Ein Arzt hatte ihn also genauesten­s befragt, beobachtet und diagnostiz­iert – und das ist bekanntlic­h oft schon die beste Medizin.

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GRAFIK: ISTOCK Wenn auch Schäfchenz­ählen nicht mehr hilft, lohnt es sich, über andere Methoden nachzudenk­en.

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