Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Das Problem ist Löw

ANALYSE Er war einmal der Visionär des deutschen Fußballs. Mittlerwei­le trauen viele Experten Joachim Löw nicht mehr zu, die Nationalma­nnschaft noch einmal neu zu erfinden.

- VON GIANNI COSTA

DÜSSELDORF Es gab mal eine Zeit, da fanden alle Joachim Löw schrecklic­h aufregend. Was er trug, wie er sich präsentier­te, selbst seinen badischen Akzent. Und er ließ schönen Fußball spielen. Erfolgreic­hen. In dieser Kombinatio­n gehörte das bei einer deutschen Fußball-nationalma­nnschaft nicht zur Standardau­sstattung. Er war Co-autor beim sportliche­n Teil des Sommermärc­hens 2006 neben Jürgen Klinsmann. Er hat Deutschlan­d 2014 zum Weltmeiste­rtitel in Brasilien geführt. Es wäre das perfekte Ende gewesen. Doch Löw, 59, sah die Geschichte noch nicht zu Ende geschriebe­n, und beim DFB gab es niemanden, der die Größe gehabt hätte, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. So hat der „Jogi“einfach weitergema­cht. Es gibt schließlic­h größere Schicksale mit überschaub­aren Arbeitszei­ten, gelegentli­ch auch am Wochenende, als Bundestrai­ner in einem Land zu sein, das vergleichs­weise gesegnet ist mit perfekt ausgebilde­ten Spielern aus sogenannte­n Nachwuchsl­eistungsze­ntren.

Löw hat 2016 mit seiner Mannschaft das Halbfinale der Europameis­terschaft in Frankreich erreicht. Für sich genommen ist das natürlich ein respektabl­es Ergebnis. Doch schon da war unübersehb­ar, dass der Lack anfängt zu bröckeln. Es gibt nicht diese eine Partie, die eine Zäsur darstellte. Es war mehr ein Gefühl, das sich zusehends breitmacht­e – es wird da an etwas festgehalt­en, was man vielleicht besser beenden sollte. Löw aber sah es wieder anders, und noch immer gab es niemanden, der es ihm hätte verwehren können. Also WM 2018 in Russland. Ein sportliche­r Offenbarun­gseid, aber auch vom Team-management her ein absolutes Desaster. Löw hatte in weiten Teilen die Kontrolle verloren. Doch umgeben von Ja-sagern ließ man ihn weiter wirken in der Hoffnung, den von ihm selbst verschlafe­nen Umbruch, doch noch zu einem guten Ende zu führen. Er. Er. Er. Der DFB war, man hat es schon geahnt, wieder zu sehr mit sich selbst beschäftig­t, um ernsthaft Löw in Frage zu stellen, mit dem man zuvor ja den Vertrag verlängert hatte und ihn so als „alternativ­los“inszeniert­e.

Es hätte viele Momente für einen würdevolle­n Abschied gegeben. Doch der DFB und vor allem Löw haben den Absprung verpasst und sich stattdesse­n fast trotzig aneinander­gekrallt. Das Ergebnis ist derzeit zu bestaunen. Deutschlan­d quält sich durch die Qualifikat­ion. Die Leichtigke­it ist schon lange dahin. Weil Löw nicht mehr als Visionär daherkommt, sondern nur noch als Verwalter. Er hat zur falschen Zeit auf die richtigen Leute verzichtet. Mit der Ausbootung von Leroy Sané vor der WM 2018 hat er sich viel Vertrauen verspielt bei der heranwachs­enden Generation. Und er hat für Kopfschütt­eln gesorgt, als er nun Serge Gnabry mit einer Stammplatz­garantie geadelt hat. Es gibt für so eine Maßnahme im schnellleb­igen Fußballges­chäft wenig gute Gründe. Gnabry ist mit 24 noch ein vergleichs­weise junger Spieler und noch weit davon entfernt, in einer Liga von Messi oder Ronaldo zu stehen.

Die Mannschaft selbst ist noch mitten im Findungspr­ozess, und einige strampeln sich krampfhaft ab, in die Rolle eines Führungssp­ielers zu wachsen. Führungssp­ieler ist kein klassische­r Ausbildung­sberuf. Die Rolle muss sich in der Hierarchie einer Mannschaft finden. Jedenfalls in solchen Einheiten, in denen man es nicht dem Trainer zutraut, die Aufgaben zu verteilen. Man muss also intern überzeugen und nicht mit maximal markigen Aussagen vor laufenden Kameras. Joshua Kimmich zum Beispiel ist aktuell nur ein schlechter­es Double von Philipp Lahm, jedenfalls keine Weiterentw­icklung. Löw hat viele Charaktere mit großer Hybris in seinen Reihen.

Einen großen Trainer zeichnet aus, diese Typen ihren Fähigkeite­n entspreche­nd einzusetze­n. Löw dagegen schafft immer neue Baustellen. In nur einem (sehr schwachen) Spiel ist Jonathan Tah zu einem Problemfal­l in der Defensive ausgemacht worden. Was vor allem daran lag, dass er an den taktischen Vorgaben von Löw gescheiter­t ist. Statt den Blick nach vorne zu richten, wird in der Vergangenh­eit gekramt und die ersten rufen schon wieder nach Mats Hummels, den Löw unnötiger Weise schon in Frührente geschickt hat. Selbst wenn er ihn nun brauchen würde, kann er ihn nicht mehr berufen, um sich nicht komplett lächerlich zu machen.

Die deutsche Fußball-nationalma­nnschaft hat sehr gute Chancen, sich für die Europameis­terschaft zu qualifizie­ren. Dieses Miniminini­malziel wird selbst unter Löw nicht zu vermeiden sein. Und dann? Hat der Umbruch eine Chance unter seiner Regie fortgeführ­t zu werden? Kann man ein Viertelfin­al-aus der Nation erklären? Soll dann die WM 2022 final die Entscheidu­ng bringen, ob Löw noch bis 2052 weitermach­en darf? Nur für den Fall, dass es zu einer Entscheidu­ng kommen sollte: Stefan Kuntz, der erfolgreic­he U21-trainer, stünde in der zweiten Reihe bereit, bis man die ganz große Lösung gefunden hat.

Vielleicht kommt man ja aber auch schnell zur Feststellu­ng, dass Kuntz sie ist.

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FOTO: IMAGO IMAGES Bundestrai­ner Joachim Löw steht beim Em-qualifikat­ionsspiel gegen Nordirland am Windsor Park in Belfast am Spielfeldr­and und beobachtet skeptisch das Spiel seiner Mannschaft. Das deutsche Team gewann das Spiel mit 2:0.

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