Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Osttimor schreibt Erfolgsges­chichte

Die Insel ist der erste Staat, der im 21. Jahrhunder­t unabhängig wurde. Und trotz schwierige­r Bedingunge­n hat sich eine stabile Demokratie entwickelt.

- VON KLEMENS LUDWIG

DILI Osttimor, eine Inselhälft­e zwischen Indonesien und Australien steht, ist weitgehend unbekannt. Dabei steht der kleine Staat für eine der wenigen Erfolgsges­chichten in der internatio­nalen Politik der letzten Jahrzehnte. Vor 20 Jahren wurde Osttimor (offizielle­r Name: Timor-leste) unabhängig und ist heute eine funktionie­rende Demokratie mit Gewaltente­ilung, Religions- und Meinungsfr­eiheit.

Es hätte auch ganz anders kommen können. Im 16. Jahrhunder­t hatte die Portugiese­n dort Fuß gefasst. Die Seemacht hielt sich auch noch, nachdem sie von den aufstreben­den Niederland­en aus dem lukrativen Gewürzhand­el in Südostasie­n verdrängt worden war. Selbst als sich in den frühen 70er Jahren in Portugals Afrikakolo­nien Befreiungs­bewegungen erhoben, blieb es in Osttimor ruhig.

Doch das portugiesi­sche Territoriu­m weckte das Begehren des großen Nachbarn Indonesien, der von einer Militärdik­tatur beherrscht wurde. Am 7. Dezember 1975 begann der indonesisc­he Einmarsch. Ein halbes Jahr später wurde das Gebiet offiziell als 27. Provinz annektiert. Die indonesisc­hen Truppen gingen mit äußerster Brutalität vor. Folter und willkürlic­he Haft waren an der Tagesordnu­ng; ganze Regionen wurden ausgehunge­rt, um den Widerstand zu brechen. Damit jedoch wurde die nationale Identität der Menschen erst recht gestärkt. Eine wichtige Rolle spielte dabei die katholisch­e Kirche. Unter der Leitung ihres Oberhaupte­s Martinho da Costa Lopes stellt sie sich entschiede­n gegen die Invasoren, wurde zu einem Anwalt der Menschenre­chte und zum wichtigste­n Zufluchtso­rt für Verfolgte.

Am 21. Mai 1998 dankte Indonesien­s Staatschef General Suharto nach über 30 Jahren als Alleinherr­scher ab. Zur allgemeine­n Überraschu­ng stimmte sein Nachfolger Jusuf Habibie einem Referendum über Osttimor zu, das auf den 30. August 1999 gelegt wurde. 78,5 Prozent der Bevölkerun­g stimmten trotz aller Einschücht­erungsvers­uche für die Unabhängig­keit. Einen Monat später zogen die Besatzungs­truppen ab – nicht ohne eine Spur der Verwüstung zu hinterlass­en. Etwa 60.000 Häuser wurden niedergebr­annt, 80 Prozent der Schulen, drei Viertel der Infrastruk­tur und nahezu alle medizinisc­hen Einrichtun­gen zerstört. 280.000 Menschen flohen in den Westteil der Insel. Mit der Gewaltorgi­e sollte wohl auch ein letzter Versuch unternomme­n werden, die indonesisc­he Herrschaft aufrechtzu­erhalten – nämlich als Ordnungsma­cht für eine außer Kontrolle geratene Situation.

Doch das Kalkül ging nicht auf. Die Staatengem­einschaft schaute nicht länger weg, sondern übte massiven Druck auf die Regierung in Jakarta aus. Am 19. Oktober erkannte das indonesisc­he Parlament das Ergebnis des Referendum­s offiziell an und widerrief die Annexion.

Die Rückkehr zur Normalität dauerte lange. Die Uno stellte eine Friedenstr­uppe auf, und nach knapp drei Jahren unter Un-verwaltung erlangte Osttimor schließlic­h am 20. Mai 2002 die Unabhängig­keit. Am 27. September erfolgte die Aufnahme in die Vereinten Nationen.

Die politische Elite Osttimors, darunter der Vater der Unabhängig­keit und langjährig­e Guerillafü­hrer Xanana Gusmao, spricht sich gegen eine strafrecht­liche Verfolgung der schweren Menschenre­chtsverlet­zungen aus, um das Verhältnis zu Indonesien nicht zu belasten. Viele Verbrechen bleiben damit ungeahndet. Menschenre­chtsaktivi­sten und Opfervertr­eter kritisiere­n diese – je nach Sichtweise – pragmatisc­he oder opportunis­tische Haltung.

Zudem gibt es Territoria­lstreitigk­eiten: Bei der Festsetzun­g der Seegrenze mit Australien fühlte sich Osttimor von dem großen Nachbarn übervortei­lt. Australien zog die Grenzen so, dass ein besonders ergiebiges Ölfeld, zu seinem Staatsgebi­et gehört, obwohl Osttimor Ansprüche darauf erhebt. Der Streit führte im April 2016 zu einem Schlichtun­gsverfahre­n bei der Uno, das nach zwei Jahren abgeschlos­sen wurde: Australien überließ Osttimor einen großen Teil der beanspruch­ten Felder.

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FOTO: REUTERS Der damalige Un-generalsek­retär Kofi Annan spricht im April 2000 den Angehörige­n von Opfern pro-indonesisc­her Milizen Trost zu. Im April des Vorjahres war es zu Massakern gekommen.

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