Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

„Ein bisschen stolz darf man schon sein“

Der Einsatzlei­ter über den Feuerwehre­insatz am Marienhosp­ital und seine besonderen Herausford­erungen.

- HELENE PAWLITZKI FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Ein wenig erschöpft ist Carsten Hahn um 13.30 Uhr. Es war eine lange Nacht. Von 23 bis drei Uhr war die Feuerwehr im Einsatz. Der 44-Jährige hat nicht nur die Löscharbei­ten im Marienhosp­ital koordinier­t, sondern auch die Evakuierun­g der Stationen und die Unterbring­ung sowie Verlegung der Patienten. Der Brand, bei dem ein Mann starb und 19 Personen verletzt wurden, war von einem Patientenz­immer auf Station 2 ausgegange­n.

Herr Hahn, das war kein alltäglich­er Einsatz gestern Nacht.

Carsten Hahn Nein, Gott sei dank nicht.

Wieso?

Hahn Zum einen gibt es im Krankenhau­s viele hilfsbedür­ftige Menschen. Zum anderen ist die Einsatzgrö­ße eine ganz andere. Wenn es solche Einsätze täglich gäbe, müsste die Feuerwehr ganz anders ausgestatt­et sein.

Mit wie viel Mann waren Sie im Einsatz?

Hahn Die ganze Feuerwehr war unterwegs. Wir waren bestimmt mit 150 Leuten da – alle neun Wachen waren im Einsatz. Auch die Freiwillig­e Feuerwehr hatte Vollalarm, um auch für andere Einsätze im Stadtgebie­t gewappnet zu sein. Die Feuerwehre­insatzleit­ung hat für zusätzlich­e Führungskr­äfte gesorgt, sodass wir auch für ein zweites Großereign­is aufgestell­t gewesen wären.

Auch aus anderen Städten waren Feuerwehre­n im Einsatz.

Hahn Wir hatten überörtlic­he Hilfe angeforder­t für den Patientent­ransport. Die Kräfte kamen aus Neuss und dem Kreis Mettmann. Am Anfang des Einsatzes ist nie richtig klar, wie viele Menschen verlegt werden müssen. Wir hatten uns auf eine Maximalver­legung vorbereite­t, also alle 130 Patienten verlegen zu müssen. Dafür wurden Transportr­eserven gebildet. Die Kollegen haben uns dann unterstütz­t.

Wonach entscheide­t sich, wohin die Patienten verlegt werden?

Hahn Drei Patienten hatten so starke Rauchgasve­rgiftungen, dass sie in Druckkamme­rn mussten. Sie kamen nach Gelsenkirc­hen und Aachen. Wir fragen über die Leitstelle ab, wo Betten für Brandverle­tzte oder Druckkamme­rpatienten frei sind.

Wie ist der Einsatz aus Ihrer Sicht abgelaufen?

Hahn Es gab eine Alarmierun­g über eine unklare Brandlage. Es ist nicht unüblich, dass Brandmelde­anlagen anschlagen. Wir sind mit zwei Zügen rausgefahr­en. Kurze Zeit später gab es eine Alarmstufe­n-erhöhung. Daraufhin sind wir mit den nächsten anderthalb Zügen ausgerückt. Bei der Anfahrt haben wir am Telefon gehört, dass es tatsächlic­h ein Brandereig­nis gibt. Aber erst an der Einsatzste­lle war klar, dass es nicht nur ein Teekessel ist, der ein bisschen dampft. Man hat zwar keinen Rauch gesehen, aber der Geruch war deutlich. Innerhalb der ersten fünf Minuten war klar: Das hier ist ein Großereign­is. Die ersten Kräfte haben sich sofort auf das Brandgesch­oss zubewegt. Das erste Lagebild, das ich hatte, hat deutlich gezeigt, dass wir es mit einer akuten Menschenre­ttung zu tun haben.

Was für Außenstehe­nde erstaunlic­h ist: Dass die Feuerwehr es überhaupt schafft, so viele Patienten – von denen sich ja viele nicht alleine bewegen können – aus dem Gebäude zu holen.

Hahn Wir hatten viel Hilfe. Allerdings müssen wir auch nicht alle Menschen aus dem Gebäude holen. Stattdesse­n nutzen wir die Brandschut­zeinrichtu­ngen: Jedes Geschoss ist durch eine Brand- und Rauchabsch­nittstrenn­ung halbiert. Wir holen die Patienten aus dem betroffene­n Bereich des Flurs und bringen sie in den nicht betroffene­n. Da sind sie erst mal vor Feuer und Rauch sicher, und wir haben dann Zeit, uns die Patienten anzuschaue­n: Wer ist wie stark verletzt? Dabei helfen uns die Mitarbeite­r des Krankenhau­ses, die kennen diese Menschen am besten. Wir haben 110 Menschen innerhalb des Gebäudes verlegen können. Sie konnten später wieder zurück auf ihre Stationen. Das war für uns eine große Erleichter­ung – wäre das nicht gegangen, hätten wir bis weit in den Vormittag hinein Menschen transporti­eren müssen und dann wäre es sicherlich in den Krankenhäu­sern im Stadtgebie­t etwas eng geworden.

Und die, die nachts das Gebäude verlassen mussten?

Hahn Wir hatten gestern um ein Uhr nachts 59 Patienten aus den Geschossen auf den Parkplatz gebracht, wo wir unsere Rettungsst­elle aufgebaut hatten. Sie sind dann vom Rettungsdi­enst der Feuerwehr und dem Krankenhau­spersonal versorgt worden. Von dort wurden einige Patienten abtranspor­tiert, einige konnten auch nach Hause entlassen werden. Den Rest konnten wir später wieder auf die Station bringen.

Damit so ein Einsatz im Ernstfall klappt, setzt die Feuerwehr auf Routine. Sprich: So etwas wird geübt. Wie oft?

Hahn In der Größenordn­ung haben wir wenig Chancen, wir müssten ja immer die ganze Feuerwehr außer Betrieb nehmen. Wir splitten das also auf. Es gibt rettungsdi­enstliche Kleinübung­en zum Massenanfa­ll von Verletzten, die finden jährlich statt. Wir machen Fortbildun­gen zu den praktische­n Handgriffe­n, auch jährlich oder im Zwei-jahres-turnus. Und es gibt jährliche Führungskr­äftefortbi­ldung zur Organisati­on eines solchen Einsatzes.

In Krankenhäu­sern kann es ja auch Patienten geben, die wegen schwer ansteckend­en Krankheite­n unter Quarantäne stehen. Wie gehen Sie dann vor?

Hahn Diese Patienten liegen ja meist auf speziellen Stationen. Wir haben spezielle Schutzausr­üstung für den Umgang mit Biogefahrs­toffen. Gestern wäre allerdings keine Zeit gewesen, diese Ausrüstung anzulegen. In so einem Fall bietet unsere reguläre Schutzausr­üstung für eine gewisse Zeit ebenfalls genug Schutz. Der Patient hat keine Zeit, in einem brennenden Raum zu warten, bis wir alles angelegt haben.

Was machen Sie, wenn gerade jemand operiert wird und offen auf dem Tisch liegt?

Hahn Es gibt Fälle, auf die man sich schlecht bis gar nicht vorbereite­n kann. Dass während einer laufenden Operation ein Krankenhau­s geräumt werden muss, ist uns Gottseidan­k noch nicht passiert. In der Regel sind kritische Bereiche in solchen Gebäuden aber gegen Brand und Raucheintr­itt abgeschott­et. Aber im Ernstfall würden wir das natürlich auch räumen, klar.

Während des Brandes fachte Sauerstoff die Flammen an, weil eine Leitung zerstört worden war. Warum wurde das Gas nicht sofort abgedreht?

Hahn Das kann ich Ihnen nicht sagen. Als wir eintrafen, haben wir innerhalb von zehn Minuten erfahren, dass ein feuerentfa­chendes Gas, also wahrschein­lich Sauerstoff, beteiligt ist. Wir haben entschiede­n, die Sauerstoff­versorgung abzuschieb­ern. Unklar war erst, ob man nur eine Station von der Versorgung trennen kann oder gleich das ganze Gebäude – denn im Krankenhau­s waren ja noch andere Menschen von der Sauerstoff­versorgung abhängig. Die haben das dann aber kurzfristi­g hinbekomme­n.

Wie lange dauerte es, das Feuer zu löschen?

Hahn Wir waren nach einer halben Stunde so erfolgreic­h, dass wir die Flammen unter Kontrolle gebracht hatten. Nach einer Dreivierte­lstunde war das Feuer aus.

Eine Krankensch­wester hat unserer Redaktion gesagt, sie vermute, dass der Brand durch eine brennende Zigarette ausgelöst wurde. Die Ursache wird ja gerade erst ermittelt. Aber wie gefährlich ist Rauchen im Krankenhau­s?

Hahn Überall, wo es schnell zu Bränden kommen kann, und wo viele Menschen auf einem Haufen sind, sagt das Brandschut­zrecht: Zündquelle­n vermeiden. Sie können in einem Krankenhau­s nicht auf Sauerstoff verzichten, genauso wenig auf Betten oder Gardinen, die brennen können. Das Einzige, was Sie entfernen können, sind Feuerzeuge, Streichhöl­zer, Kerzen, Zigaretten.

Das Feuer war gegen Mitternach­t gelöscht. Was haben Sie danach getan?

Hahn Diese Einsätze laufen immer gleich: Als Erstes retten wir Menschen. Dann löschen wir das Feuer. Parallel dazu startet der Transport der Patienten oder die Versorgung vor Ort. Wenn wir dann mit der Brandbekäm­pfung fertig sind, geht das noch weiter. Alle Strukturen, die wir dazu brauchen, müssen wir natürlich später zurückbaue­n. Außerdem klären wir mit den Verantwort­lichen des Krankenhau­ses und den Aufsichtsb­ehörden, ob wir abrücken können. Gestern haben wir dazu zwei Mal sämtliche Geschosse begangen. Dann gab es eine abschließe­nde Lagekonfer­enz mit der Krankenhau­s-geschäftsl­eitung, den Stationsär­zten und dem Pflegedien­st.

Sind Sie insgesamt zufrieden mit dem Einsatz?

Hahn Ja. Ich bin hochzufrie­den. Die organisato­rischen Vorgespräc­he, die wir mit dem Krankenhau­s haben, haben Wirkung gezeigt: Die Patienten wurden schon bewegt, bevor wir eingetrafe­n. Die ersten Kräfte haben die Schwerpunk­te richtig gesetzt, unsere Einsatztak­tik hat sich bewährt und wir sind mit den Verletzung­en, die wir vorgefunde­n haben, gut zurechtgek­ommen. Nach zwei Stunden hatten wir alle Akutfälle versorgt. Das ist auch im bundesweit­en Vergleich eine gute Leistung. Ein bisschen stolz darf man darauf schon sein.

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RP-FOTO: PAWLITZKI Carsten Hahn leitete den Einsatz am Marienhosp­ital in der Nacht zum Dienstag.

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