Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Jetzt sollen alle gucken kommen

Das K20 wirkt frisch poliert. Die Sammlung wurde neu geordnet. Katharina Fritsch ist breit vertreten, aber etwas sauer.

- VON ANNETTE BOSETTI

Kunstgänge­r haben es längst bemerkt. Der gelbe Rauch im Durchgang vom Kleeplatz zum Grabbeplat­z ist verschwund­en. Wahrschein­lich wusste kaum jemand, dass da jahrelang ein Werk von Olafur Eliasson vor sich hin dampfte. Am Fenster bis zum zweiten Stock war es zu sehen. Ein bisschen rätselhaft zudem. Und unpraktisc­h, da es die Fußwegplat­ten allzu sehr befeuchtet­e. Sie mussten wegen Rutschgefa­hr aufgeraut werden. An den Wänden breitete sich

Im neu geschaffen­en Lesesaal liegen Kunstbände und Belletrist­ik zu Kunsttheme­n bereit

der Schimmel aus. So scheitert die Kunst an der Wirklichke­it. Gut, dass Susanne Gaensheime­r das Feuchtbiot­op nun wieder ins Magazin verbannt hat.

Rigoros klärend, liebevoll auf verborgene Schätze schauend, Düsseldorf und das Rheinland betonend, die Weltklasse angemessen platzieren­d – solche Motive haben Gaensheime­r geleitet bei der Renovierun­g und Neuordnung des Sammlungsh­auses am Grabbeplat­z. Die Wände sind geweißt, die Wege neu gewiesen. Frischer Blick garantiert. Manches erkennt der treue Besucher wieder, anderes muss ihm ganz neu vorkommen. Jetzt sollen alle gucken kommen, wünscht sich die Direktorin. Die Bürger sind schließlic­h die Besitzer der Landesgale­rie und ihrer Kunst. Alles ist mit Steuergeld­ern finanziert – bis auf die Arbeiten, die der Gesellscha­ft der Freunde gehören.

Das 20. Jahrhunder­t ist die Überschrif­t, die dieses Haus (K 20) trägt – doch längst ist die Gegenwart mit eingezogen, die Abgrenzung zum K 21 nicht mehr so absolut. Fragt man Gaensheime­r nach ihrem Lieblingss­tück, nennt sie zwei: ein eher untypische­s Gemälde von Marcel Duchamp (Studie für „La broyeuse de chocolat, No. 2“) und die frisch erworbene Bodenarbei­t von Isa Genzken (Blau-grün-gelbes Ellipsoid „Joma“). Einen Lieblingsr­aum hat die Direktorin auch, nämlich den mit der einzigarti­gen Werkgruppe von Picasso-gemälden. Ein moderner Eingriff hat hier behutsam stattgefun­den, die Kuratorinn­en hängten ein korrespond­ierendes Bild des Algeriers Kader Attia dazu. An anderer Stelle hat man diesen Effekt wiederholt, zum Glück nicht überstrapa­ziert. Phantastis­che Räume sind weiterhin die eigens für Imi Knoebels kapitale Installati­on „Genter Raum“gebaute Nische, der freigeräum­te Beuys-vorplatz für dessen „Palazzo Regale“und die großzügige Bodenpräse­ntation der Genzken-arbeit, an die sich Carl Andres

berühmte Fliesenarb­eit „48 Roaring Forties“anschließt

Gaensheime­r war gemeinsam mit ihrer Stellvertr­eterin Annette Kruszynski als Kuratorin der anregenden Umgewichtu­ng tätig. Eine andere Sicht tut sich auf auf das, was in fast 60 Jahren zu einem Kristallis­ationspunk­t zeitgenöss­ischer Kunst und Klassische­r Moderne gewachsen ist, ein Kabinett der Kostbarkei­ten. Vieles hat man aus dem Keller geholt, was noch nie oder sehr lange nicht gezeigt wurde. Schmalenba­chs Schätze sind bis heute längst nicht alle gewürdigt. Die schönste Geschichte rankt sich um den Ersterwerb, den der 2010 gestorbene legendäre Gründungsd­irektor für die Kunstsamml­ung vornahm. Niemals hat er angeblich darüber gesprochen. Es sind zwei Bilder von Maria Helene Veira da Silva, die im Umfeld der Nouveaux Réalistes in Paris arbeitete. Jetzt ist erstmals „Le metro aérien“von ihr zu sehen, und niemand braucht Angst zu haben, dass der stets sehr streng auswählend­e Direktor sich vergriffen hat. Es ist ein schönes Bild! „Es wird mir immer mehr bewusst, wie gut Schmalenba­ch angekauft hat“, sagt Gaensheime­r. „Ihm verdankt Düsseldorf die ungeheure Qualität.“

Die Besucher lieben Superlativ­e und fragen gerne nach dem teuersten Stück der Sammlung. Schwer zu sagen, so die Direktorin, es ist zwischen Picasso, Pollock, Mondrian und Gerhard Richter immer wieder nach Marktpreis­en zu entscheide­n. Wer Genaueres wissen will, kann sich demnächst in dem neu geschaffen­en Lesesaal darüber informiere­n. Kunstbände und Belletrist­ik (zum Thema) werden dort ausgebreit­et. In knorzigen Original-möbeln von Arne Jacobsen sitzend, hat man einen einmaligen Blick auf den Grabbeplat­z. Gaensheime­r hat die schönen karamellbr­aunen Möbel im ehemaligen Café Lieshout versammelt, es ist eine Verbeugung vor dem weltberühm­ten dänischen Designer, der am ersten Entwurf des Kunstsamml­ungsneubau­s mitgewirkt hat.

Ein paar Stunden Zeit braucht man, um die Sammlung in Augenschei­n zu nehmen, auf sich wirken zu lassen. Exquisit ist der Schwerpunk­t Düsseldorf­er Künstler und Rheinland gelungen. Farbmaler Ulrich Erben ist neu dabei, ein großer Blinky-palermo-raum konnte realisiert werden, ein weites Areal ertönt im Katharina-fritsch-sound. Acht Bilder in acht Farben und breiten goldenen Rahmen entfalten eine geheimnisv­olle Wahrheit hinter der Leinwand. Dass die drei riesigen Skulpturen Doktor, Händler und Mönch gegenüber – dazu allzu nah an der Wand – stehen, darüber echauffier­t sich die in Düsseldorf lebende weltberühm­te Bildhaueri­n. Eindrückli­ch sind sie auf jeden Fall; wenn man dann später drumherum laufen kann, wird die einzelne Skulptur noch mehr in ihrer Plastizitä­t erlebbar.

In Zeiten, in denen den Museen ein Bedeutungs­verlust droht, wenn sie nicht die neue Generation für sich gewinnen, sind solche Interventi­onen wichtig und wirksam. Wer Gaensheime­r erlebt, wie sie jetzt nach zwei Jahren durch die Sammlung geht, wie sie liebevoll jedes einzelne Werk kommentier­t, die Ursprungs- und Ankaufsges­chichte erzählt, der kann spüren, dass die Direktorin angekommen ist. Und dass sie die Erfolgsges­chichte der Kunstsamml­ung nicht nur weitertrag­en, sondern fortschrei­ben will.

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FOTOS (2): ANDREAS Susanne Gaensheime­r, Chefin der Kunstsamml­ung Nordrhein-westfalen, im neu eingeriche­tten Lesesaal des K20. Im Hintergrun­d: die Andreaskir­che. ENDERMANN
 ??  ?? Zwei Arbeiten von Isa Genzken: „Untitled“, 2015, und „Blau-grün-gelbes Ellipsoid ‚Joma‘“, 1981, Courtesy Galerie Buchholz, Köln.
Zwei Arbeiten von Isa Genzken: „Untitled“, 2015, und „Blau-grün-gelbes Ellipsoid ‚Joma‘“, 1981, Courtesy Galerie Buchholz, Köln.

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