Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Supermärkt­e sollen Essen spenden

Deutschlan­d will die Menge der weggeworfe­nen Lebensmitt­el auf sechs Millionen Tonnen halbieren. Weil das nicht vorankommt, verlangen SPD und Verbände gesetzlich­e Vorgaben.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Zwölf Millionen Tonnen Lebensmitt­el werfen die Deutschen pro Jahr weg. Das ist das Ergebnis einer Studie, die das Agrarminis­terium am Donnerstag vorstellen will. Damit steht, rückgerech­net auf das Jahr 2015, auch die Bezugsgröß­e für die von Deutschlan­d eingegange­nen Selbstverp­flichtunge­n fest: bis 2025 minus 3,6 Millionen Tonnen, bis 2030 weitere 2,4 Millionen. Noch setzt Agrarminis­terin Julia Klöckner (CDU) auf Überzeugun­gsarbeit und Freiwillig­keit. Doch der Druck nimmt zu, auch gesetzlich­en Zwang auszuüben.

Die zwölf Millionen Tonnen, ermittelt vom Thünen-institut, sind in der Antwort der Bundesregi­erung auf eine Anfrage der Linken enthalten, die unserer Redaktion vorliegt. Sie beziehen sich auf den Zeitpunkt der Selbstverp­flichtung im Rahmen der Un-nachhaltig­keitsziele. Danach verteilt sich der Lebensmitt­elabfall zu 52 Prozent auf die privaten Haushalte, zu zwölf Prozent auf die Ursprungsp­roduktion, zu 18 Prozent auf die Verarbeitu­ng, zu 14 Prozent auf die Außer-haus-verpflegun­g (Gastronomi­e) und zu vier Prozent auf den Handel. „Über alle Sektoren hinweg wären nach den vorliegend­en Berechnung­en etwa die Hälfte der Lebensmitt­elabfälle nach Aussagen der Wissenscha­ftler theoretisc­h vermeidbar“, teilt die Regierung mit.

Ob die seit 2015 mit der Abfallverr­ingerung spürbar vorangekom­men ist, kann angesichts weiterer Studien bezweifelt werden. Die Universitä­t Stuttgart kam in diesem Jahr auf ein Abfallvolu­men von 13 Millionen Tonnen, zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen wie die bundesweit aktiven Tafeln schätzen die Menge auf 18 Millionen Tonnen.

Linken-verbrauche­rschutzexp­ertin Amira Mohamed Ali verweist auf eine hauseigene Studie des Agrarminis­teriums, wonach 56 Prozent der Abfälle in privaten Haushalten nicht vermeidbar seien. Deshalb müsse der Fokus auf die Nahrungsve­rluste entlang der Produktion­skette gelegt werden. Die freiwillig­en Maßnahmen gingen nicht weit genug. „Insbesonde­re aus dem Handel ließen sich kurzfristi­g noch genießbare, aber überschüss­ige Lebensmitt­el schnell an Bedürftige verteilen“, erklärt Mohamed Ali. In Frankreich habe ein Anti-wegwerf-gesetz für Supermärkt­e mit mehr als 400 Quadratmet­ern zu deutlichen Reduktione­n geführt. Die Ketten würden auch nicht mehr so viel bestellen. Der Preis für die Kunden sinke.

Ähnlich argumentie­rt Klöckners Koalitions­partner. „Wenn wir die Lebensmitt­elverschwe­ndung bis 2030 halbieren wollen, wozu sich Deutschlan­d verpflicht­et hat, reicht es nicht aus, weiter nur auf Freiwillig­keit zu setzen“, sagt Spd-ernährungs­expertin Ursula Schulte. Sie stehe einer gesetzlich­en Abgabeverp­flichtung für große Lebensmitt­elhändler und -produzente­n deshalb positiv gegenüber.

„Die Tafeln wollen gerne noch mehr Lebensmitt­el retten“, erläuterte Tafel-bundesverb­andschef Jochen Brühl. Derzeit seien es 500 Kilo Lebensmitt­el in der Minute – mehr als 260.000 Tonnen pro Jahr. Das Ehrenamt komme jedoch an seine Grenzen. Die Tafeln müssten gestärkt werden, bevor Spenden vorgeschri­eben würden. Aus Sicht von Ulrich Schneider vom Paritätisc­hen Wohlfahrts­verband geht die Verpflicht­ung der Supermärkt­e in Frankreich „genau in die richtige Richtung“. Ein Sprecher der Diakonie regte an, die Müllgebühr­en für organische Abfälle anzuheben, um Unternehme­n dazu zu bringen, müllvermei­dend zu denken. Leitartike­l

Newspapers in German

Newspapers from Germany