Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Mario Draghis letzte Patrone
ANALYSE Die Europäische Zentralbank trifft am heutigen Donnerstag weitreichende Entscheidungen: Sie will ihren geldpolitischen Kurs wieder lockern, um Konjunktur und Inflation anzukurbeln. Für Sparer ist das kontraproduktiv.
Wenn Mario Draghi die Europäische Zentralbank (EZB) in wenigen Wochen verlässt, soll seine Nachfolgerin Christine Lagarde kein unbestelltes Feld vorfinden. Der scheidende Ezb-präsident ist fest entschlossen, die aus seiner Sicht weiterhin zu geringe Inflation und die aufkeimende Rezession im Euro-raum abermals mit geldpolitischen Salven zu bekämpfen: Die Strafzinsen für Banken, die ihr Geld bei der EZB parken, könnten erhöht, das umstrittene Ezb-kaufprogramm für Staatsanleihen der Euro-länder wieder aufgenommen werden. Von März 2015 bis Ende 2018 hatte die EZB rund 2,6 Billionen Euro in Staatsanleihen der Euro-länder investiert und so für eine Flut billigen Geldes gesorgt. Eigentlich hatte sie danach einen Kurswechsel eingeleitet. Da nun aber Konjunktur und Inflation schwächeln, steuert Draghi rasch wieder um.
Der Italiener will wie schon seit dem Ausbruch der Finanzkrise die Kreditvergabe der Banken und private Investitionen ankurbeln und weiterhin für billiges Geld sorgen, damit endlich die Inflationsrate im Euro-raum der Zielmarke der EZB von nahe zwei Prozent näher kommt. Doch die Kehrseite der Medaille sind die anhaltenden Nulloder sogar Negativzinsen für Sparer, deren Altersvorsorge damit schwierig bis unmöglich geworden ist. Für Draghi ist das jedoch zweitrangig.
Im Führungsgremium der EZB, dem Rat der nationalen Notenbankchefs, gibt es auch andere Meinungen. Bundesbankpräsident Jens Weidmann etwa glaubt, dass weder die geringe Inflation noch die Konjunkturschwäche ausgeprägt genug sind, um etwa die Wiederaufnahme des umstrittenen Anleihekaufprogramms zu rechtfertigen. Doch im EZB-RAT haben Draghis Kritiker keine Mehrheit. Dass der Rat an diesem Donnerstag „signifikante geldpoliti
sche Impulse“beschließen wird, wie sie Draghi schon vor sieben Wochen angedeutet hatte, gilt unter Beobachtern als ausgemachte Sache.
Sie sind sich so gut wie sicher, dass die Notenbank den Strafzins verschärfen wird, den Banken zahlen müssen, wenn sie Zentralbankgeld nicht an private Kreditnehmer weiter verleihen, sondern lieber bei der EZB liegen lassen. Seit Mitte 2014 beträgt dieser negative Einlagenzins minus 0,4 Prozent, er dürfte auf minus 0,5 oder 0,6 Prozent gesenkt werden. Für die Banken bedeutet das Mehrbelastungen in Milliardenhöhe. Trotz des Negativzinses haben sie aber das bei der EZB geparkte Zentralbankgeld enorm erhöht – es stieg von knapp 70 Milliarden Euro im April 2015 auf über 600 Milliarden Euro in diesem Frühjahr. Das Geld ungenutzt zu lassen statt es an Investoren weiterzugeben, war vielen Kreditinstituten offenbar lieber – entweder weil die Kreditnachfrage zu gering gewesen ist oder weil sich der Aufwand bei den derzeit geringen Kapitalmarktzinsen für sie nicht gelohnt hat.
Die Kosten, die ihnen die EZB aufbrummt, versuchen manche Banken an ihre Kunden weiterzugeben, indem sie für deren Spareinlagen ihrerseits Negativzinsen verlangen. Getroffen hat das bisher fast ausschließlich Unternehmen oder große Investoren wie Fonds und wohlhabende Privatkunden. Laut einer kürzlichen Umfrage des Finanzportals Biallo unter 1200 Banken und Sparkassen kassieren derzeit bundesweit nur 30 Geldhäuser Strafzinsen auch von Privatkunden. Manche greifen ab Guthaben von 100.000 Euro zu, bei anderen liegt die Grenze höher. Firmenkunden und institutionelle Anleger wie Fonds müssen laut Biallo derzeit bei 111 deutschen Banken Negativzinsen bezahlen.
Viele Geldhäuser haben Angst, Kunden durch Strafzinsen zu verlieren. Sollte die EZB jedoch den Druck auf sie erhöhen, indem sie die Ezb-strafzinsen steigert, dürfte sich der Trend zu Negativzinsen auch für private Sparer verstärken. „Die Möglichkeiten, die zusätzlichen Belastungen über Entgelte und Zinsen weiterzugeben, sind zwar begrenzt. Aber der Druck steigt weiter, sie auszuschöpfen“, warnte unlängst Hans-walter Peters, Präsident des Bundesverbands privater Banken. „Ich persönlich könnte mir etwa vorstellen, dass viele Banken auf Dauer nicht mehr umhinkönnen, die zusätzlichen Belastungen auch in der Breite an Privatkunden weiterzugeben.“Die Banken holen sich das Geld auch über höhere Gebühren für die Girokonten zurück. Sollte die EZB ihren Strafzins am Donnerstag erhöhen, mache sie das „quasi als Strafsteuer für die Banken“, klagte Peters.
Die Gefahr zunehmender Negativzinsen für Sparer hat auch Politiker auf den Plan gerufen. Bayerns Ministerpräsident und CSU-CHEF Markus Söder hatte im August ein gesetzliches Verbot von Negativzinsen für Kleinsparer gefordert, die nicht mehr als 100.000 Euro auf dem Konto haben. Auch Finanzminister Olaf Scholz (SPD) will den Vorschlag prüfen. Kritiker warfen Söder Populismus vor: Verbote seien kein marktwirtschaftliches Instrument. Selbst die Grünen warnten vor Interventionismus. Die Banken dürften daraufhin einfach die Kontogebühren weiter erhöhen, sagte Grünen-politiker Stefan Schmidt.
Sparer müssten selbst mehr tun, um der anhaltenden Niedrigzinsphase zu trotzen, meinen Ökonomen. „Aktien oder Aktienfonds sollten wichtiger Bestandteil jedes Sparvermögens sein. Man kann das Risiko ja rund um den Globus streuen“, sagte etwa Andreas Scheuerle von der Dekabank, der Dachorganisation der Sparkassen. Mit Aktien-dividenden könnten Sparer Renditen oberhalb der Inflationsrate erzielen. „Wir rechnen jedenfalls nicht mit einer Normalisierung der Geldpolitik bis Ende 2020 – und sie wird wohl auch danach noch längere Zeit nicht kommen.“
In Frankfurt erwartet unter den Experten auch niemand, dass Christine Lagarde an der Spitze der EZB den von Mario Draghi eingeschlagenen Kurs der lockeren Geldpolitik in absehbarer Zeit ändern wird.
„Die anhaltende Negativzins-politik der EZB ist eine Strafsteuer für die Banken“Hans-walter Peters Bankenpräsident